Eu öffnet sich mehr und mehr gegenüber den Kandidatenländern aus Mittel- und Osteuropa

Seit einigen Monaten ist innerhalb der Europäischen Union eine interessante Entwicklung zu verzeichnen: Sie öffnet sich nämlich mehr und mehr gegenüber den Kandidatenländern aus Mittel- und Osteuropa. Nicht nur, dass diese sich seit Anfang März an den Beratungen des Konvents beteiligen, auch bei den EU-Gipfeltreffen bekommen diese Länder zunehmend Gewicht. Näheres erfahren Sie nun von Silja Schultheis und Robert Schuster in einer weiteren Folge unserer Sendereihe Schauplatz.

Seit einigen Jahren sind sie von den großen Familienfotos, welche regelmäßig auf den Gipfeln der Europäischen Union fester Bestandteil des Protokolls sind, nicht mehr wegzudenken: Die Regierungschefs jener Länder, die in naher Zukunft die Reihen der ursprünglichen Sechser-Gemeinschaft erweitern werden. Vor allem die Zeitungsleser in Westeuropa bekommen also auf diese Art und Weise immer wieder die Möglichkeit, sich langsam aber sicher an die Gesichter von Politikern wie Milos Zeman, Viktor Orban, oder Mikulas Dzurinda, um nur einige zu nennen, zu gewöhnen.

So war dies auch während des letzten europäischen Gipfeltreffens, welches vor einer Woche in Barcelona unter spanischem Vorsitz stattfand. Einst als symbolische Geste gegenüber den Reformstaaten Ost- und Mitteleuropas gedacht, ist die Teilnahme der Regierungschefs an den EU-Gipfeln mittlerweile zur Normalität geworden. Welche Stellung haben aber die Vertreter dieser Nichtmitglieder auf dem Gipfel wirklich? Werden sie von den Großen in der Runde nur geduldet, oder wird ihnen schon jetzt, im Zusammenhang mit der nahenden Mitgliedschaft, bereits ein gewisses Mitspracherecht gewährt? Radio Prag fragte das die Europa-Expertin der Wochenzeitschrift Respekt, Kateøina Šafaøíková. Seitdem Milos Zeman und Co. regelmäßig zu diesen Treffen eingeladen werden, konnte sie das schon mehrmals aus nächster Nähe beobachten. In Bezug auf den letzten Gipfel von Barcelona meint sie deshalb im folgenden:

"Man kann schon sagen, dass es da zu einer gewissen Veränderung gekommen ist. Es fragt sich nur, ob das auch künftig anhalten wird. Auf dem Gipfel von Barcelona durften die Vertreter der Bewerberstaaten zum erstenmal wirklich als vollwertige Mitglieder in der Runde auftreten, durften ihre Positionen darlegen, mitdiskutieren. Der ungarische Regierungschef Viktor Orban war sogar einer der Hauptredner auf diesem Gipfel und ihm wurde das Wort gleich nach dem Regierungschef des Gastgeberlandes, also Jose Maria Aznar aus Spanien, erteilt. Vieles hängt aber davon ab, wie die künftigen Gipfeltreffen von dem vorsitzführenden Land angelegt werden. Es ist nämlich anzunehmen, dass in einer Union mit fast 30 Mitgliedern es immer schwerer sein wird, Beschlüsse zu fassen, und es wird sicherlich die Gefahr bestehen, dass das Ganze bloß zu einem großen Familientreffen degradiert wird, wo schöne Fotos für das heimische Publikum geschossen werden."

Das Stichwort ist somit eigentlich schon gefallen: Selbst wenn, wie vorgesehen, in zwei Jahren nur die Hälfte der jetzigen zwölf Kandidatenländer beitreten sollte, gelangt die Union auf jeden Fall an den Rand ihrer Entscheidungsfähigkeit. Die Folge dessen könnten nicht nur endlose Marathonsitzungen werden, sondern auch ein Verlust an Ansehen in den Augen der europäischen Bevölkerung sein, denn schließlich erwarten diese zurecht, dass die Politiker für ihre Steuergelder Entscheidungen treffen. Aus der Sicht eines kleinen Mitgliedslandes, zu welchen Tschechien sicherlich gezählt werden kann, kommt noch ein weiter Aspekt hinzu: Werden dann bei einer so großen Runde die wichtigen Entscheidungen nicht doch nur die Vertreter der großen Mitgliedsstaaten in Mehraugengesprächen untereinander ausmachen? Welche Rolle werden die Gipfeltreffen künftig überhaupt noch spielen? Kateøina Šafaøíková meint dazu:

"Ob die Gipfel auch weiterhin nach dem gleichen Muster abgewickelt werden können, wie unlängst in Barcelona, ist fraglich. Man muss sich das nur vorstellen: Schon jetzt, also im Rahmen der 15 Mitglieder zählenden Gemeinschaft kommt jede Delegation mit mindestens 10 Personen angerollt - darin einbezogen sind die Premiers, die wichtigsten Minister und Berater. Das macht zusammen mindestens 150 Teilnehmer, wenn aber dann noch die ganzen Kandidatenländer aufgenommen werden, dann kann diese Zahl schnell auf mehr als 300 anwachsen."

Als einziger Ausweg scheint der Redakteurin der Wochenzeitschrift Respekt folgende Losung:

"Immer mehr Arbeit wird tatsächlich im Vorfeld der Gipfeltreffen erledigt werden müssen. Das hat sich eigentlich schon auf dem letzten großen Reformgipfel in Nizza vom Dezember 2000 gezeigt, wo wichtige Teile der Delegationen der Mitgliedsstaaten bereits einige Tage zuvor angereist sind, um den Regierungschefs den Weg zu einer Einigung zu ebnen. Aber auch dort hat sich gezeigt, dass die Entscheidungen über die heikelsten politischen Fragen letztendlich den Premierministern vorenthalten blieben. Das führte übrigens dazu, dass der Gipfel um fast zwei Tage verlängert werden musste. Zusammengefasst heißt das, dass auch künftig die großen Entscheidungen auf den Gipfeln fallen werden, die Kleinarbeit wird aber quasi in die Vorzimmer verlagert werden.

Auf diese Weise würde dann der Großteil der wichtigen Entscheidungen auf Beamtenebene gefällt werden. Schon heute ist es in der bestehenden 15 Mitglieder zählenden Union nämlich so, dass die ständigen Vertreter der jeweiligen Länder in Brüssel einen Großteil dieser Kleinarbeit übernehmen und somit ihren Regierungschefs den Rücken freihalten. Eine weitere Lösung wäre, wie Šafaøíková hinzufügt, auch eine stärkere Einbeziehung von bereits bestehenden regionalen Kooperationsformen in die Entscheidungsabläufe und Entscheidungsfindungen der Gemeinschaft. Tschechien ist ja, genauso wie z.B. die Slowakei, Polen oder Ungarn, Mitglied in der Visegrad-Gruppe, die bereits vor mehr als zehn Jahren ins Leben gerufen wurde. Unabhängig von den gegenwärtigen Spannungen innerhalb der Vierergruppe rechnen übrigens alle beteiligten Länder damit, dass sie auch nach einem Beitritt versuchen werden, ihre Europa-Politik zu koordinieren.

"Auf jeden Fall wird das gemeinsame Vorgehen schon im Vorfeld behandelt werden müssen. Das ist auch deswegen wichtig, weil das helfen kann, die Abläufe innerhalb der Union nicht zu verzögern und somit die Entscheidungsfähigkeit der Gemeinschaft wahren kann. D.h. regionale oder Ad-hoc-Koalitionen werden innerhalb der Union immer wichtiger werden."

Aber nicht nur die EU-Gipfeltreffen allein sind die ausschließlichen Foren, wo sich Länder wie Tschechien, also Staaten, deren Beitritt erst noch bevorsteht, in die gesamteuropäische Debatte mit einbringen können. Seit fast einem Monat gibt es auf europäischer Ebene sogar ein spezifisches Gremium, das über die Zukunft der Gemeinschaft nachdenken soll und wo auch die Beitrittsländer mit von der Partie sind. Gemeint ist der s.g. Konvent der Europäischen Union, dessen vorrangiges Ziel es ist, die Abläufe innerhalb der Union transparenter zu gestalten und etwa die Verträge zu reformieren. Dennoch hat dieser Konvent aus der Sicht Tschechiens und der übrigen Kandidatenländer einen beträchtlichen Schönheitsfehler: Die Reformländer aus Mittel- und Osteuropa dürfen zwar mitreden, sind aber nicht im Präsidium vertreten, also jenem wichtigen Gremium, welches u.a. die Tagesordnung festsetzt und eine wichtige Rolle bei der Formulierung der Konventsbeschlüsse spielen wird. Im Vorfeld der ersten Sitzung wurde Kritik von Seiten der Kandidatenländer laut, einige EU-Staaten haben eine entsprechende Änderungen nicht ausgeschlossen. Zeichnet sich da irgendein Kompromiss ab? Das war unsere nächste Frage an Kateøina Šafaøíková von Respekt:

"Viele Persönlichkeiten haben die Forderungen der Beitrittskandidaten nach einem Vertreter im Präsidium unterstützt, aber unter diesen Befürwortern war wiederum niemand von den wirklich maßgeblichen Politikern innerhalb der EU - und das sind immer noch in erster Linie z.B. der spanische Regierungschef oder seine Amtskollegen aus Deutschland oder Frankreich."

Der Konvent, der Ende letzten Jahres aus der Taufe gehoben wurde, hat in den vergangenen Wochen und Monaten trotz allem viele Vorschusslorbeeren bekommen. Viele Kommentatoren haben seine Einberufung begrüßt und sehen in dem Gremium den Beweis dafür, dass auch die wegen ihrer oft nicht demokratisch legitimierten Entscheidungsabläufe ins Schussfeld der Kritik geratene EU die Kraft hat, sich selber zu reformieren. Kateøina Šafaøíková bringt jedoch abschließend ihre Skepsis zum Ausdruck, ob der Konvent der Europäischen Union die großen Erwartungen erfüllen und die Zukunft der Gemeinschaft ma0geblich beeinflussen kann:

"Die Frage ist, ob dieses Gremium auch wirklich etwas Entscheidendes dazu sagen kann. Erstens sind die Beschlüsse des Konvents nicht verbindlich und die Mitgliedsstaaten werden sich damit gar nicht befassen müssen. Zweitens: auch wenn es dort zu solchen Entscheidungen kommen sollte, wird es vor allem vom vorhandenen politischen Willen abhängen, ob die Beschlüsse verwirklicht werden oder nicht.