Europawahl: Liberale triumphieren, Linke ratlos

Foto: ČTK / David Taneček

Die großen Gewinner der Europawahl in Tschechien sind die Partei Ano, die Bürgerdemokraten und die Piraten. Die Sozialdemokraten fliegen nach einer historischen Ohrfeige aus dem Europaparlament.

Partei Ano  (Foto: ČTK / Roman Vondrouš)

Foto: ČTK / David Taneček
Der große Gewinner des Abends ist die Partei Ano, die gleichzeitig stärkste Regierungskraft in Tschechien ist. Mit insgesamt 21,2 Prozent konnte die Partei ihr Ergebnis von vor fünf Jahren massiv verbessern. Damals war sie auch schon stärkste Kraft, erreichte aber nur knapp über 16 Prozent. Tschechiens Premier Andrej Babiš ist Parteichef der Ano:

„Unsere Gegner haben auf eine Anti-Babiš -Kampagne gesetzt. Gerade deshalb denke ich, dass die 500.000 Stimmen, die wir bekommen haben, ein gutes Ergebnis sind. Ich gratuliere all unseren erfolgreichen Europaabgeordneten. Das sind alles Profis, die nicht nur sprachlich gut gerüstet sind.“

Dita Chranzová  (Foto: ČTK / Roman Vondrouš)
Umso mehr würde ihn die starke Repräsentanz im Europaparlament, aber auch im Rat der Europäischen Union freuen, so der amtierende Regierungschef. Die Ano-Spitzenkandidatin für Tschechien, Dita Chranzová, sieht das gute Abschneiden als Vertrauensbeweis der Wähler:

„Das ist erst unsere zweite Europawahl, und wir haben sie gewonnen, da wir unser Team verstärkt haben. Es ist eine Art Zeugnis der Bürger für die Arbeit des Premiers in der EU, aber auch für die Arbeit von uns Europaabgeordneten. Das Vertrauen der Menschen sehen wir auch als Verpflichtung. Deshalb fangen wir schon morgen mit der Arbeit an. Bereits am Dienstag fahre ich nach Brüssel, um zu verhandeln und unser Programm umzusetzen.“

Viktor Orbán  (Mitte). Foto: ČTK / MTI via AP / Szilard Koszticsak
Bisher engagierte sich die Partei Ano im Europaparlament mit ihren damals vier Sitzen im liberalen Parteienbündnis ALDE. Wo sie sich diesmal mit ihren sechs Sitzen positioniert, ist noch unklar. Denn voraussichtlich wird zukünftig die Partei En Marche von Frankreichs Präsident Emmanuel Macron bei den Liberalen den Ton angeben. Und gerade mit Macron gibt es von Seiten der Ano zahlreiche Reibungspunkte. Unter anderem bei der Migration steht die Partei Ano beispielsweise der rechtskonservativen Fidesz aus Ungarn näher als den liberalen Franzosen. Dies betonte Babiš auch bei der Pressekonferenz in der Nacht auf Montag:

„Ich war es, der 2018 gemeinsam mit Viktor Orbán – mit dem ich vor wenigen Minuten gesprochen habe – die Flüchtlingsquoten begraben habe. Wir haben den restlichen Staaten unseren Standpunkt klargemacht, und ich habe meine Versprechen erfüllt.“

Konservative und Liberale mit gutem Ergebnis

Jan Zahradil  (Foto: ČTK / Kateřina Šulová)
Politologen sehen jedoch einen Wehrmutstropfe im guten Abschneiden der Partei Ano. Daniel Kunštát vom liberalen Cevro-Institut attestiert der Partei, nicht ihr komplettes Wählerpotenzial ausgeschöpft zu haben. Laut Lubomír Kopeček von der Masaryk-Universität in Brno / Brünn ist das Ergebnis der stärksten tschechischen Partei sogar ein Fiasko. Die potenziellen Ano-Stammwähler hätten sich schlicht nicht für die Wahl interessiert, so der Experte gegenüber der Presseagentur ČTK.

Zweitstärkste Kraft wurden die Bürgerdemokraten, sie stellten mit Jan Zahradil gesamteuropäisch den Spitzenkandidaten der euroskeptischen Fraktion der Konservativen und Reformisten. Nach der Schlappe von vor fünf Jahren konnten sie ihr Ergebnis mit diesmal weit über 14 Prozent so gut wie verdoppeln. Gegenüber dem Nachrichtenportal idnes.cz betonte Zahradil, dass nun Zeit sei für massive Reformen in der EU, Zitat:

Jiří Pospíšil  (Foto: ČTK / Michal Krumphanzl)
„Die europäischen Wähler aus den verschiedenen Ländern haben ihren politischen Eliten unterschiedliche Signale gesendet. Wenn sie Parteien gewählt haben, die kritisch zu einer tieferen Integration stehen, sollten die Eliten das ernst nehmen. Dann sollten sie von ihrem Mantra von ‚mehr Europa‘ absehen.“

Die Bürgerdemokraten stellen in der neuen Zusammensetzung des Europaparlaments vier Sitze.

Ebenfalls gute Ergebnisse erreichten die derzeitigen tschechischen Vertreter der Europäischen Volkspartei, die nach wie vor die stärkste Fraktion im Straßburger Plenarsaal bleiben wird. Das Parteienbündnis „Verbündete für Europa“ aus Top 09, Stan und Unabhängigen kam auf fast zwölf Prozent der Stimmen und drei Sitze. Obwohl die Partei im Vergleich zur Wahl 2014 Stimmen einbüßte, sieht sich deren Spitzenkandidat Jiří Pospíšil optimistisch:

Ivan Bartoš  (Foto: ČTK / Kateřina Šulová)
„Glücklicherweise ist den Leuten klargeworden, dass wir alle Europa sind und die EU das Geschehen in Tschechien massiv beeinflusst. Und vor allem haben sie verstanden, wie unverantwortlich es ist, auf Europa zu pfeifen. Schön ist, dass wir mit unserem Programm viele Erstwähler erreichen konnten und stärkste Kraft in Prag geworden sind.“

Die zweite tschechische Partei in der EVP-Familie, die Christdemokraten, kamen auf knapp über sieben Prozent und damit insgesamt zwei Sitze.

Neu im Europaparlament sind die tschechischen Piraten. Sie wurden mit fast vierzehn Prozent drittstärkste Kraft. Parteichef Ivan Bartoš zeigte sich von dem guten Abschneiden seiner Partei begeistert, obwohl er etwas mehr erwartet hätte:

Foto: ČTK / Dalibor Glück
„Unser Ziel für die Europawahl war etwas ehrgeiziger, immerhin hatte man uns ein Potenzial von 20 Prozent der Wählerstimmen zugestanden. Ich denke aber, unser Ergebnis ist trotzdem gut. Vor allem konnten wir im Vergleich zu den vergangenen Wahlen zum Abgeordnetenhaus weitere vier Prozent zulegen.“

Linke Parteien im Sturzflug und Skepsis gegenüber EU-Feinden

Ein katastrophales Ergebnis fuhren wiederum die Sozialdemokraten ein. Mit nicht einmal vier Prozent verpasste der Regierungs-Juniorpartner das erste Mal in 15 Jahren den Einzug ins Europaparlament. Parteichef und Vize-Premier Jan Hamáček bezeichnete dies kurz nach Bekanntgabe der Ergebnisse als schmerzhaft:

Jan Hamáček  (Foto: ČTK / Michal Kamaryt)
„Das Ergebnis ist ein heftiger Schlag, das können wir nicht von der Hand weisen. Für eine Analyse der Gründe ist es noch zu früh. Jetzt schon können wir aber sagen, dass wir die Wähler nicht mit den richtigen Themen erreicht haben. Außerdem ist es als Teil des Kabinetts schwer, als Protestpartei gegen die Regierungspolitik aufzutreten.“

Lubomír Kopeček von der Brünner Masaryk-Universität sieht in dem Absturz einen langfristigen Trend, der die Sozialdemokraten seit der vergangenen Parlamentswahl begleitet. Der liberale Politologe Daniel Kunštát warnt nun davor, dass die Partei ganz von der politischen Szene in Tschechien verschwinden könnte, sollte sie keine passende Strategie für die kommenden Jahre finden. Eine Gefahr für die bestehende Regierungskoalition durch das Debakel der Sozialdemokraten sehen beide Experten jedoch nicht.

Vojtěch Filip  (Foto: ČTK / Václav Pancer)
Auch die Kommunisten schnitten mit knapp sieben Prozent bei dieser Europawahl schlechter ab als vor fünf Jahren. Immerhin sind sie aber weiterhin im Europaparlament vertreten, wenn auch nur noch mit einem Mandat. Man wolle das Ergebnis im Juni analysieren, wobei man es nicht als Zeugnis für die nationale Politik sehe, meinte Parteichef Vojtěch Filip am Sonntagabend vor Journalisten.

Ganz rechts hingegen zeigte sich die Partei „Freiheit und direkte Demokratie“ (SPD) nicht ganz so stark wie die Partnerparteien innerhalb der „Bewegung für ein Europa der Nationen und der Freiheit“. Schließlich ist Marine Le Pen mit ihrem „Rassemblement national“ aus derselben Parteienfamilie stärkste Kraft in Frankreich geworden, genauso wie Matteo Salvini mit seiner Lega Nord in Italien. Trotzdem sieht SPD-Chef Tomio Okamura die Position der EU-Skeptiker in Tschechien selbst gestärkt:

„Nur ein Mandat wäre eine Enttäuschung gewesen. Mit den zwei Mandaten hat unsere Partei genau ihren Plan erfüllt. Das zeigt, dass wir fest in der politischen Szene in Tschechien verankert sind. Wir wollen weiter an der Umsetzung unseres Programms arbeiten und sind deshalb froh, auf einer weiteren parlamentarischen Ebene vertreten zu sein.“

Ein positives Signal in Tschechien war auf jeden Fall die Wahlbeteiligung. Diese lag mit über 28 Prozent zwar immer noch extrem niedrig. Doch dies bedeutete einen Rekordwert seit dem EU-Beitritt des Landes vor 15 Jahren. Zur Erinnerung: Bei der vergangenen Europawahl vor fünf Jahren gingen gerade einmal 18,2 Prozent der tschechischen Wähler zu den Urnen.