Extremismus in Tschechien: Rechte ziehen sich zurück, Linke sind aktiver

Foto: Archiv des Tschechischen Rundfunks - Radio Prag

Vor zwei Jahren noch marschierten Neonazis zusammen mit aufgebrachten Wutbürgern durch die Straßen. Doch die Welle der rassistischen Demonstrationen gegen die Roma-Minderheit in Tschechien ist verebbt. Stattdessen wurde jüngst zum Beispiel ein geplanter Anschlag durch Autonome bekannt, was es zuvor nicht gegeben hat. Der Extremismus-Bericht des Innenministers spiegelt diese Entwicklung wieder. Dazu unter anderem ein Interview mit dem Politologen Miroslav Mareš aus Brno / Brünn.

Neonazis  (Foto: Archiv des Tschechischen Rundfunks - Radio Prag)
Bis vor einigen Jahren war die rechtsradikale Szene in Tschechien noch sehr aktiv. Dazu gehörten auch häufig Konzerte von neonazistischen und rassistischen Bands. David Janda ist Extremismus-Experte bei der tschechischen Polizei:

„Die Konzerte waren eindeutig eine Form der Finanzierung für die Szene. Sie bildeten ihren wirtschaftlichen Arm“, so Janda gegenüber dem öffentlich-rechtlichen Tschechischen Fernsehen.

Dutzende solcher Konzerte fanden alljährlich in Tschechien statt, im vergangenen Jahr zählte die Polizei nur noch einzelne Auftritte. Insgesamt ist die rechtsradikale Szene zusammengeschrumpft. Robert Šlachta leitet die Polizeieinheit zur Aufklärung organisierten Verbrechens:

Robert Šlachta  (Foto: ČT24)
„Damals gab es 400 bis 500 Leute, die zum harten Kern gehörten, und rund 5000 Sympathisanten. Heute sind es insgesamt noch einige Hundert Leute.“

Auch weil die Szene zersplittert ist, waren die Rechten im Jahr 2014 nicht mehr so aktiv. Von den knapp 300 extremistischen Aktionen unterschiedlicher Art ging weniger als die Hälfte auf ihr Konto. Erstmals habe sich das Blatt in Richtung linkem Extremismus gewendet, konstatiert daher das Innenministerium in seinem neuesten Bericht. Große Aufmärsche von Neonazis und Skinheads wie im Sommer 2013 oder auch in den Jahren zuvor gab es praktisch keine mehr. Diese Aufmärsche richteten sich fast überall gegen die örtliche Roma-Minderheit, ob im nordmährischen Ostrava / Ostrau, im nordböhmischen Duchcov / Dux oder im südböhmischen České Budéjovice / Budweis. Damals schlossen sich ihnen auch solche Leute an, die man mittlerweile als fremdenfeindliche Wutbürger bezeichnen könnte.

Roma-Feindlichkeit nimmt nicht ab

Roma  (Illustrationsfoto: Filip Jandourek,  Archiv des Tschechischen Rundfunks)
Der Politologe Petr Kupka bezweifelt jedoch, dass sich mit dem Niedergang der rechtsradikalen Szene auch die Stimmung gegenüber Roma verbessert habe. Ganz im Gegenteil:

„Die Roma-Feindlichkeit, auf die sich der Rechtsextremismus gestützt hat, haben mittlerweile große politische Parteien übernommen – auch wenn sie andere Begriffe benutzen und zum Beispiel von ‚nicht angepassten Bürgern‘ sprechen. Das heißt, die rechtsradikalen Parteien und Vereinigungen können sich nicht mehr auf die Roma-Feindlichkeit stützen. Sie müssen andere Themen in den Vordergrund rücken. Wir werden sehen, welche das sind.“

Milan Chovanec  (Foto: Archiv des Abgeordnetenhauses des Parlaments der Tschechischen Republik)
Im Bericht des Innenministeriums wird auf der anderen Seite von 158 Aktionen linksradikaler Gruppierungen gesprochen. Anfang Mai wurde sogar bekannt, dass die Polizei einen möglichen Terroranschlag verhindert haben soll. Mit Sprengstoff sollte ein Schienentransport militärischer Güter in die Luft gejagt werden, hieß es. Laut Medienberichten wird die Planung dem linksextremen „Netzwerk revolutionärer Zellen“ angelastet. Politologen wie Kupka weisen jedoch darauf hin, dass niemand bisher wisse, ob es tatsächlich ein solches Netzwerk gebe oder es sich nicht vielleicht nur um mögliche Einzeltäter handele. Außerdem würden viele zu den linksextremen Gruppen gerechnete Leute jegliche Gewalt ablehnen, so Kupka. Innenminister Milan Chovanec ist sich jedoch sicher, dass ein Teil der autonomen Szene in Tschechien radikalisiert ist:

„Auch die Geheimdienste müssen diese Bereiche beobachten, der Polizeieinsatz gegen das Netzwerk zeigt, dass sich kriminelle Vorhaben rechtzeitig aufdecken lassen. Dabei ist es egal, ob es sich um Links- oder Rechtsextremismus handelt. Man muss gegen jede Form solcher Straftaten kämpfen. Die Polizei und die Geheimdienste haben dafür ihre Mittel.“


Politologe Mareš: Rechtsextreme sind desillusioniert

Miroslav Mareš  (Foto: Archiv der Karlsuniversität in Prag)
Zum Thema Extremismus in Tschechien nun ein Interview mit einem der anerkanntesten Experten, dem Politologen Miroslav Mareš von der Brünner Masaryk-Universität.

Herr Mareš, im neuen Extremismusbericht heißt es, dass die rechtsradikale Szene an Stärke verliert. Was hat sich verändert, und wo sehen Sie die Gründe für diese Entwicklung?

„Also erstens: Es lassen sich keine großen Anti-Roma-Demonstrationen wie noch vor etwa zwei Jahren beobachten. Und wir sehen nur relativ beschränkte Zahlen an Teilnehmern an den verschiedenen rechtsextremistischen Demonstrationen. Dazu kommt ein relativ niedriges Niveau rechtsextremistischer Gewalt. Warum? Einerseits findet ein Generationswechsel innerhalb der rechtsextremistischen Szene statt. Wir beobachten nur eine relativ limitierte Anzahl neuer Aktivisten. Und die polizeilichen Operationen gegen die rechtsextremistische Szene zeigen Einfluss. Andererseits sind viele Aktivisten desillusioniert wegen der langen Zeit ihrer Nichterfolge. Denn die rechtsextremistischen Parteien hatten unter anderem bei den letzten zwei Parlamentswahlen und bei Regionalwahlen keinen Erfolg. Und viele Leute, die sich schon im Parlament sahen, sind jetzt enttäuscht.“

Foto: ČT24
Auf der anderen Seite wird laut dem Bericht die linksextreme Szene aktiver. Welche Art Gruppen sind das und welche Art Aktivitäten unternehmen sie?

„Ich möchte betonen, dass auch diese Zahlen nicht so hoch sind wie in bestimmten anderen Ländern. Aber wir beobachten eine neue Form des Aktivismus, die im westlichen Europa oder in Südeuropa schon lange bekannt ist. Dazu gehören Aktionen militanter Sabotage, nach einzelnen Berichten ließen sie sich auch als Terrorismus bezeichnen. Es existierte oder möglicherweise existiert noch eine Gruppe namens ‚Netzwerk revolutionärer Zellen‘. Diese Gruppe war für verschiedene Brandattacken zum Beispiel gegen Polizeiautos oder gegen kapitalistische Firmen verantwortlich. Diese Gruppe hat hierzulande eine neue Art Aktionismus bedeutet.“

Lässt sich aber sagen, dass Extremismus allgemein in Tschechien eher ein geringes Problem darstellt?

„Wenn wir diese möglicherweise traditionelle militante Szene betrachten, also die neonazistische und die anarchistische oder sehr dogmatisch kommunistische Szene, dann können wir das ein Randphänomen nennen, mit beschränktem Einfluss aus kriminologischer Sicht. Denn beide Szenen sind für Straftaten verantwortlich, aber sie stellen keine Gefahr für demokratische Mechanismen in der Tschechischen Republik dar. Andererseits lassen sich andere Gefährdungen sehen. Das sind zum Beispiel neue Einflüsse aus Russland oder die Probleme innerhalb der tschechischen Demokratie, einschließlich der Mediendemokratie. Aber diese Probleme werden in Regierungsberichten nicht als Extremismus betrachtet.“