Fall Fremr: Verfassungsrichter-Kandidat hat politische Urteile aus kommunistischen Zeiten größtenteils verschwiegen

Robert Fremr

Eigentlich wollte Staatspräsident Petr Pavel an diesem Dienstag zwei neue Verfassungsrichter ernennen. Doch einer der Kandidaten für den Posten, Robert Fremr, steht mittlerweile unter scharfer Kritik: Er soll große Teile seiner Arbeit als Richter zu kommunistischen Zeiten verschwiegen haben.

Robert Fremr gilt eigentlich als angesehener Jurist: Von 2018 bis 2021 war er Vizepräsident des Internationalen Strafgerichtshofs in Den Haag. Seine Karriere startete er bereits zu kommunistischen Zeiten.

Marek Hilšer | Foto: Martin Vaniš,  Radio Prague International

Vergangene Woche wurde Fremr vom tschechischen Senat beurteilt, ob er als Kandidat zum Verfassungsrichter geeignet ist. Die Parlamentskammer gab grünes Licht, wenn auch nur mit knapper Mehrheit. Bei der Anhörung hatte Kandidat Fremr auch zugegeben, an einem politischen Prozess gegen drei Jugendliche beteiligt gewesen zu sein. Doch nur einen Tag später erhielten einige Senatoren die Information, dass der Richter zudem über 100 Urteile gegen Republikflüchtlinge gefällt haben soll. Dazu Senator Marek Hilšer (Stan):

„Sicher ist es schmerzhaft, solche Dinge zu reflektieren. Aber ein Kandidat zum Verfassungsrichter sollte dies tun. Wir haben das Gefühl, dass Herr Fremr uns nicht alles gesagt hat und sich nicht auf angemessene Weise mit seiner Vergangenheit auseinandergesetzt hat.“

Hana Kordová Marvanová | Foto: Michaela Danelová,  Tschechischer Rundfunk

Hilšer und seine Kollegin Hana Kordová Marvanová (parteilos) schrieben daher Staatspräsident Petr Pavel einen Brief. In seiner Kompetenz liegt nämlich die Ernennung neuer Verfassungsrichter. Pavel hat mittlerweile entschieden, Robert Fremr erst einmal nicht zu ernennen…

„Da es Informationen gibt, die als neu gelten, möchte ich erst einmal den Raum haben, mich selbst mit ihnen vertraut zu machen. Zudem möchte ich mich Experten darüber beraten, in welchem Maß ihnen diese Informationen relevant erscheinen – und eventuell ihre Empfehlungen anhören“, so der Staatspräsident.

Pavel Rychetský,  Petr Pavel und Josef Baxa | Foto: Patrik Uhlíř,  ČTK

Nach der Niederschlagung des Prager Frühlings im August 1968 flohen viele Menschen aus der damaligen Tschechoslowakei in den Westen. Ab 1969 galt dies als Republikflucht, und die Geflüchteten wurden nicht selten in Abwesenheit abgeurteilt. Die Urteile gingen hoch bis zu zehn Jahren Haft. Folgen hatte dies aber vor allem für die Angehörigen und Verwandten, die im Land geblieben waren.

Petr Blažek | Foto: Martina Schneibergová,  Radio Prague International

„Die Urteile wurden ohne Bewährung gesprochen. Zudem wurde die Republikflucht damit bestraft, dass das Vermögen dem Staat zufiel. Und das betraf auch die erweiterte Familie. Kaum etwas lässt sich so klar als politische Justiz klassifizieren als dieses Vorgehen. Nicht zufällig waren dies auch die häufigsten Urteile, die nach 1989 revidiert wurden“, sagt der Historiker Petr Blažek vom Institut für das Studium totalitärer Regime (Ústav pro studium totalitních režimů) in Prag.

Zwar urteilten die Richter in der ČSSR formal korrekt nach dem Paragraphen 109 des damaligen Strafgesetzbuches. Aber spätestens ab 1975 verstießen sie gegen internationales Recht, zu dessen Einhaltung sich das Regime in Prag verpflichtet hatte. Und das haben die Richter wohl auch gewusst.

Prokop Tomek | Foto: Karolína Němcová,  Tschechischer Rundfunk

Fremr ist dabei kein Einzelfall, denn die Zahl der Urteile gegen Republikflüchtlinge war hoch. Der Militärhistoriker Prokop Tomek erläuterte dies am Dienstag in den Inlandssendungen des Tschechischen Rundfunks:

„In den 20 Jahren bis 1989 wurden mehr als 100.000 solche Urteile gefällt. Mit Sicherheit galten solche Prozesse als Formalität, sodass die Verhandlungen nicht lange gedauert haben dürften.“

Im Fall Fremr hat nun das Institut für das Studium totalitärer Regime weitere Nachforschungen gestartet. Die Historiker wollen auch noch einmal das Urteil des Richters gegen die drei Jugendlichen von 1988 unter die Lupe nehmen. Fremr hatte behauptet, er habe nicht gewusst, dass die tschechoslowakische Staatssicherheit StB die Beweise gegen die angeblichen Täter gefälscht hatte.

Jiří Přibáň | Foto: Jana Přinosilová,  Tschechischer Rundfunk

Allerdings glaubt der Rechtsphilosoph und Soziologe Jiří Přibaň von der Universität in Cardiff, dass im Fall Fremr nicht vorrangig mögliche Verfehlungen aus den 1980er Jahren zur Diskussion stünden:

„Es handelt sich nicht so sehr um einen Streit über die Vergangenheit, als über die Gegenwart. Also darum, ob die konkrete Person die Wahrheit über ihre Vergangenheit gesagt oder sie verschwiegen hat. Schließlich sind damals über 300.000 Menschen aus der kommunistischen Tschechoslowakei geflohen. Und alle diese Fälle mussten strafrechtlich beurteilt werden. Das würde bedeuten, man müsste alle ehemaligen Strafrichter vom Dienst ausschließen.“

Hilšer und Kordová Marvanová sind jedoch der Ansicht, dass der Senat anders abgestimmt hätte über Robert Fremr, wenn seine Urteile gegen Republikflüchtlinge bekannt gewesen wären.