Finanznot im tschechischen Sozialversicherungssystem

Herzlich willkommen bei einer weiteren Ausgabe unserer Magazinsendung mit Themen aus Wirtschaft und Wissenschaft, am Mikrofon begrüßen Sie Martina Schneibergova und Rudolf Hermann. Hilf dir selbst, so hilft dir Gott, lautet das Sprichwort. Geht es um das tschechische Rentensystem, so müsste es folgendermassen abgeändert werden: Hilf dir selbst, denn der Staat kann dir nur wenig helfen. Diesen Eindruck erhält man zumindest, wenn man sich ausrechnet, auf was für eine Rente man nach vierzigjähriger Berufsausübung Anspruch haben wird. Es ist nämlich so wenig, dass man ohne eigenes Rentensparen den Lebensstandard deutlich zurückschrauben muss. Weshalb das so ist, und was die Bevölkerung für Möglichkeiten hat, sich ein komfortableres Leben im Alter einzurichten, ist Gegenstand der folgenden Minuten, zu denen wir guten Empfang wünschen.

Von den Rentnern ist in der Tschechischen Republik immer dann die Rede, wenn das Gespräch auf die Verlierer der Wirtschaftsreformen nach der Wende kommt. Denn während in gewissen Berufsgruppen ein deutliches Lohnwachstum gegenüber früher festgestellt werden konnte, sind die Pensionäre kaum in den Genuss eines entsprechenden Anwachsens ihrer Renten gekommen. Und werden auch kaum in diesen Genuss kommen, denn die Renten kosten den Staat viel Geld. Sie kosten ihn gegenwärtig sogar deutlich mehr, als er eigentlich zur Verfügung hätte, denn das Minus auf dem Sozialversicherungskonto machte 1999 schon mehr als 20 Milliarden Kronen oder rund 2000 Kronen pro Kopf der Gesamtbevölkerung aus. Und ein Trend zur Umkehr der Verhältnisse ist nicht abzusehen, ganz im Gegenteil. Halten die derzeitigen demographischen Trends an, dann kann das Defizit in den nächsten 20 Jahren nach Berechnungen des Internationalen Währungsfonds auf 3 Billionen Kronen anwachsen - eine Höhe, die sich eigentlich gar niemand vorstellen kann. Denn der demographische Trend besagt, dass auf Grund der Leistungen der Medizin die Menschen immer länger leben, dass gleichzeitig die Geburtenrate zurückgeht und dass damit immer weniger Arbeitskräfte mit ihren Sozialabzügen immer mehr Rentenbezüger finanzieren müssen.

Damit ist auch gesagt, dass das tschechische Rentensystem auf dem sogenannten Umlageverfahren basiert. Dieses bedeutet, dass eben die arbeitende Bevölkerung sowie die Arbeitgeber dem Staat Sozialversicherungsbeiträge abliefern und der Staat dieses Geld gleich wieder für die Rentner ausgibt. Das Problem besteht nun darin, dass das Umlageverfahren in Tschechien die Hauptlast der Altersvorsorge trägt, dass es keine tragfähigen Zusatzsysteme gibt. In anderen europäischen Ländern, auch Transformationsländern wie etwa Polen, kommt ein sogenanntes Dreisäulensystem zur Anwendung: Die erste Säule entspricht dem tschechischen Umlageverfahren mit Zahlungen nach Lohnprozenten, das heisst ein Solidarsystem, in dem die besser verdienenden höhere Beiträge abliefern und damit die ärmeren Schichten unterstützen. Prozentual ist die Rente, die einem Arbeitnehmer mit tiefem Einkommen ausbezahlt wird, an diesem Einkommen gemessen höher als die Rente eines Arbeitnehmers mit hohem Einkommen. Durchschnittlich beträgt die Höhe der Rentenbezüge 67 % gemessen an den Einzahlungen.

Die zweite Säule besteht in einem obligatorischen, aber individuellen Rentensparen, das ebenfalls Arbeitgeberbeiträge beinhalten kann. Diesmal spart der Arbeitnehmer für sich selbst, das heisst, das Geld, das er einzahlt, bleibt ihm für das Alter erhalten. Die dritte Säule schliesslich bildet freiwilliges Rentensparen etwa bei einem Fonds, einer Lebensversicherungsgesellschaft oder auch durch andere Sparformen, die allenfalls vom Staat unterstützt oder steuerbegünstigt werden. Der Sinn des Dreisäulensystems besteht darin, den Staat von der Finanzbürde der Rentenzahlungen etwas zu entlasten und die Bevölkerung zu eigener, wenn auch staatlich geförderter Vorsorge anzuhalten. In diesem Systém spielt die erste Säule, also die Rentenzahlungen nach dem Solidarsystem, die Rolle der materiellen Grundversorgung, aber nicht mehr. Die zweite Säule soll ein würdiges Leben im Alter ermöglichen, und wer an seinem früheren Lebensstandard keine Abstriche machen will, muss sich mit der dritten Säule finanziell darauf vorbereiten.

Die tschechische Bevölkerung allerdings, wie sie auch sonst an einen eher freigiebigen Sozialstaat gewöhnt ist, erwartet von der ersten Säule mehr, als diese auch in reicheren Ländern leisten kann. Die einen dabei mit Recht: Wer heute im Pensionsalter ist, hatte früher keine Möglichkeit, sich durch günstige Zusatzversicherungen etwas dazuzusparen. Und wer kurz vor dem Pensionsalter steht, für den sind die Möglichkeiten auch nur sehr beschränkt.

Die finanziellen Probleme, die unweigerlich auf den Sozialversicherungssektor zukommen, würden eigentlich schon seit einiger Zeit eine Sozialversicherungsreform nahelegen. Zu einer solchen konnten sich aber schon die konservativen Regierungen nicht durchringen, die Tschechien zwischen 1992 und 1998 regierten, und auch die jetzige sozialdemokratische Minderheitsregierung will sich bei den Wählern damit nicht in die Nesseln setzen. Denn populär ist es keinesfalls, der Bevölkerung zu sagen, dass sie selbst mehr zur Altersvorsorge beitragen müsse.

Allerdings führt in der einen oder anderen Form kein Weg an unpopulären Massnahmen vorbei. Ist eine Umwandlung des heutigen Systems in ein vollwertiges Zwei- oder gar Dreisäulensystem nicht absehbar, so bleiben drei grundsätzliche Auswege: Entweder muss schrittweise das Pensions-Eintrittsalter angehoben werden. Oder aber die Sozialabzüge vom Lohn, also die Arbeitgeber- und Arbeitnehmerbeiträge müssen erhöht werden. Oder, drittens, die Rentenzahlungen, gemessen am früheren Lohn, müssen gekürzt werden. In der ersten Variante könnte es beispielsweise bis 2005 zur schrittweisen Anhebung des Rentenalters auf 64, bis 2010 auf 65 und bis 2020 sogar auf 69 Jahre kommen. In der zweiten Variante müsste, um das Rentenbudget einigermassen im Griff zu behalten, das Gesamtvolumen der Sozialabzüge für die Rentenversicherung von heute 26 auf 37 Prozent erhöht werden, was einer nicht unbeträchtlichen Steuererhöhung gleichkäme. Oder, wenn der Weg über die Verminderung der Quote Lohn-Rente führen soll, dann würden im Jahr 2010 die Rentenbezüger nur noch durchschnittlich 60 % ihres früheren Lohns beziehen statt wie heute 67, im Jahr 2020 sogar nur noch 50 %.

Warum eine Rentenreform aus politischen Gründen unpopulär ist, wurde schon gesagt. Dennoch wäre es wohl das vernünftigste Mittel. Und wenn es nicht dazu kommt, muss die drohende Finanzknappheit der Bevölkerung eigentlich Warnung genug sein, selbst etwas zu unternehmen. Das kann schon heute getan werden, und je früher jemand beginnt, desto besser. Aus einer Berechnung des Wochenmagazins Tyden geht hervor, dass für einen 20jährigen, der gleich mit Rentensparen beginnt, eine monatliche Einlage von 130 Kronen, also etwa das Äquivalent von zehn Bieren, ausreicht, um bis zum Eintritt ins Rentenalter eine volle Million zusammengespart zu haben. Wer erst mit 30 beginnt, hat es schon schwieriger: Für das gleiche Ergebnis ist eine dreimal höhere Monatsrate nötig. Und wer erst mit 40 auf den Gedanken des Rentensparens kommt respektive früher keine Möglichkeit dazu hatte, muss noch tiefer in die Tasche greifen: Jetzt macht die monatlich vorzunehmende Einzahlung schon 1300 Kronen aus.

Autoren: Martina Schneibergová , Rudi Hermann
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