First Life statt Pappbecher - Prager Kaffeehauskultur heute

Prager Kaffeehäuser und ihre Welt – unter diesem Titel unternimmt das Prager Stadtmuseum derzeit einen groß angelegten Rückblick in die gute alte Zeit der Prager Kaffeehausseeligkeit. Vor zwei Wochen haben wir Ihnen die Ausstellung an dieser Stelle vorgestellt. Gibt es das Prager Kaffeehaus also nur noch in Museumsvitrinen? Thomas Kirschner hat sich für den folgenden Kultursalon auf die Suche nach der Gegenwart der böhmischen Kaffeehaus-Traditionen gemacht.

Müll und Schutt stehen am Anfang – die Kaffeehaus-Schau des Prager Stadtmuseums beginnt mit einem düsteren Vorzeichen, mit dem Abriss des Café Union Ende der vierziger Jahre – dem Ende einer Kaffeehaus-Ära. Das Prager Kaffeehaus aber ist nicht tot, sagt Silvio Spohr. Er muss es wissen – denn er war es, der mit der Wiedereröffnung des traditionsreichen Café Louvre in der Nationalstraße 1992 den ersten Impuls für die Wiederbelebung des klassischen Prager Kaffeehauses gesetzt hat.

„Ganz sicher gibt es wieder eine Kaffeehauskultur in Prag! Sie kann auf eine große Tradition zurückschauen, auch wenn die lange unterbrochen war. Prag war eine Kaffeehaus-Stadt - Cafés gab es früher buchstäblich an jeder Ecke. Ich glaube, heute besteht wieder ein Verlangen danach und die Zahl der Cafés wird wieder zunehmen. Prag gehört mit Wien und Budapest zu den klassischen Kaffeehaus-Metropolen - an diese Kultur können wir anknüpfen, und das gelingt uns auch.“

Besonders an der ausgeprägten Wiener Kaffeehauskultur haben sich die Pioniere der Revitalisierung des Prager Kaffeehauses orientiert – und daran, wie die ehemalige Hauptstadt der Monarchie die Einflüsse der Kronländer aufgesogen hat:

„Wenn man nach Wien kommt, dann findet man da ein ganz typisches Angebot an Kaffeesorten und Kaffeehausspeisen. Und da hat Wien es einfach geschafft, sich das Beste aus den Ländern der Monarchie auszuwählen – das Gulasch aus Ungarn, das typische Wiener Schnitzel, das eigentlich ein italienisches ´Cottoletta a la Milanese´ ist oder eben die Kolatschen aus Böhmen und den Prager Schinken. Kurzum: in Wien gibt es das Beste aus allen Regionen, und so war das früher auch in Prag. Prag und Wien, das sind Schwesterstädte.“

Während aber die Tradition des Wiener Kaffeehauses ungebrochen ist, sind die großen Jahre des klassischen Prager Kaffeehauses durch die deutsche Okkupation des Landes, spätestens aber durch den Aufstieg des Kommunismus beendet worden. Das Kaffeehaus war ein Ort für Lebenskünstler, Grübler und Genießer – und die anbrechenden neuen Zeiten waren diesem Personal nicht eben zugetan. Die Cafés, die sich in Prag trotzdem über die dunklen Jahre retten konnten, wurden dann oft vom wilden Kapitalismus der neunziger Jahre dahin gerafft, erinnert sich der bekannte Architekt und bekennende Kaffeehaus-Geher David Vavra.

„Es ist seltsam, dass viele Kaffeehäuser den Bolschewismus einigermaßen überlebt haben und dann zu Beginn der neunziger Jahre reihenweise eingegangen sind. Aber dann, in der zweiten Hälfte der Neunziger, hat allmählich die Wiederauferstehung begonnen – das gilt auch für gute Bars und Restaurants. Die Leute suchen wieder eine angenehme Atmosphäre, guten Kaffee und ausgezeichnete Kuchen. Ich glaube, gerade erleben wir eine neue goldene Ära des Kaffeehauses.“

Und tatsächlich: es gibt sie wieder, die alten Namen: Das Savoy am Ujezd, das kubistische Grand Café Orient im Haus der Schwarzen Muttergottes am Obstmarkt, das Nachtcafé Montmarte, das herrschaftliche Slavia am Nationaltheater, das nach langer Schließung Wiederauferstehung gefeiert hat, das prächtige und frisch rekonstruierte Imperial, das Café Arco des Prager deutschen Schriftstellerkreises, oder eben das Louvre von Silvio Spohr. Was aber sind die Zutaten, die ein Café zu einem wirklichen Kaffeehaus adeln?

„Das ist eine ganze Reihe von Dingen – zuerst einmal die Atmosphäre, freundliches Personal, eine gute Lage, wo viele Leute vorbeikommen, gute Öffnungszeiten, schon am Morgen, damit man schon zum Frühstück ein Ei im Glas bekommen kann. Zu einem guten Kaffeehaus gehört eine Uhr, damit man den Fluss der Zeit spürt, Zeitungen, ein gutes Angebot über den ganzen Tag und natürlich gute Kuchen und Torten – ohne die geht es nicht.“

Ein Posten kommt in der Aufzählung erstaunlicherweise nicht vor: guter Kaffee! Kein Zufall, versichert Kaffeehausbesitzer Silvio Spohr:

„Es ist gut, guten Kaffee zu haben – aber paradoxerweise habe ich festgestellt, dass das nicht das Wichtigste ist. Der Genius loci entsteht nicht aus der Qualität des Kaffees.“

Und um den Genius loci, den Geist des Ortes geht es im Kaffeehaus. Den aber schafft allein das Leben - der Architekt, so weiß David Vavra, kann allenfalls die Grundvoraussetzungen beisteuern.

„Es müssen da vor allem die Stühle, Tische und Fenster in Ordnung sein. Das ist die Basis: ein guter Blick auf das vorbei treibende Leben auf der Straße. Aber wichtiger als die Architektur ist die Atmosphäre – das Gefühl und die Stimmung ist bei einem Kaffeehaus immer wichtiger als das Design. Es gibt viele Cafés, die einfach irgendwie aussehen und viel besser sind als die, bei denen sich Architekten mit Mühe etwas ausgedacht haben. Das Kaffeehaus hat seine Poesie eher darin, dass es von seinen Gästen mit Geschichte gefüllt wird.“

Und genau das unterscheidet das Kaffeehaus von den Filialen der modischen Schnellbrüher-Ketten, die mit ihren trendigen Take-away-Kaffees im Pappbecher das Lebensgefühl des modernen Großstadthektikers bedienen. Silvio Spohr will dazu ein Gegengewicht setzen:

„Wir sind kein Trend-Café, wo sich die Dinge alle paar Wochen ändern. Uns geht es um eine dauerhafte Qualität - darum, dass man den alten Kaffeehaus-Geist wieder spüren kann, der mit Trends und Moden nichts zu tun hat. Wir suchen eher nach den alten Zeiten, die noch nicht so hektisch waren. Bei uns lebt man nicht Second life, sondern First life!“

Kubistisches Grand Café Orient
First life – das einfache Leben im Hier und Jetzt, das ist auch das Motto von Architekt David Vavra – und damit verkörpert er geradezu das Idealbild des Kaffeehaus-Stammgastes:

„Ich gehe nur in einziges Café – ich habe es gern, wenn man sich die Dinge im Leben einfach macht. Ich gehe immer ins selbe Café, ich mache immer die gleichen Dinge am gleichen Tag, damit die Welt für mich einfacher wird. Und in diesem Café spielen sich dann alle Arbeits- und Geschäftstreffen ab. Das Café ist einfach ein toleranter Raum – noch toleranter vielleicht als Bars und Bierstuben.“

Das Kaffeehaus ist tolerant gegenüber stillen Denkern und Jungverliebten, gegen Tanzstundenpärchen und verzweifelte Existenzen, gegen Zeitungsleser und Geschäftsleute, die das Kaffeehaus in ihr verlängertes Wohnzimmer oder Büro verwandeln. Der Stammgast ist die Seele des Kaffeehauses, meint Silvio Spohr:

„Wir haben viele, viele Stammgäste, und schon dadurch, dass wir im ersten Geschoss liegen, sind wir ein Café für Stammgäste. Der ganze Betrieb beruht auf Stammgästen – Leute die in der Umgebung wohnen und arbeiten. Viele Gäste haben sich bei uns ihr zweites Büro eingerichtet, so wie das auch früher schon war. Das Kaffeehaus ist ein Ort der Begegnung, und dass man hier einen Kaffee bestellt, das ist ein Obulus, den die Gäste für den Ort entrichten. Und damit sind wir wieder dabei, dass die Qualität des Kaffees eigentlich nicht so wichtig ist.“

Und die Tatsache, dass sich die amerikanisch angehauchten Café-Ketten immer weiter verbreiten? In Prag haben sie inzwischen sogar die traditionsreiche Malostranská kavárna, das Kleinseitner Kaffeehaus, eingenommen. Realität mit der man leben muss, meint Silvio Spohr:

„So ist das eben – damit muss man sich abfinden und nach vorne schauen. Wer weiß was kommt – vielleicht kehrt das Kleinseitner Kaffeehaus ja einmal zurück. Wenn ich die Räume mieten könnte, dann würde ich da aber das Café Radetzky wiedereröffnen, das dort noch früher gewesen ist. Denn das ganze war ja der Radetzky-Platz mit dem Radetzky-Denkmal – und deshalb würde ich hier auch das Radetzky-Cafe wieder aufmachen, als klassisches Kaffeehaus mit allem Drum und Dran!“

Kurzum: das Prager Kaffeehaus lebt – und Träumen ist wieder erlaubt…