Fliegeroffizier Čeřovský: "Mein Schicksal wurde am 21. August ´68 besiegelt"
Der Einmarsch der Warschauer-Pakt-Truppen vor 40 Jahren ist den meisten Tschechen bis heute als traumatisches Datum in Erinnerung. Für den Fliegeroffizier Zbyněk Čeřovský bedeutete dies einen tiefen Schnitt im Leben. Er stellte sich gegen den Einmarsch und wurde so zum Verfolgten des kommunistischen Regimes, dem er zuvor als Militärangehöriger gedient hat. 1984 wurde Čeřovský zur Emigration gezwungen und lebte sechseinhalb Jahre in München. Vor 18 Jahren aber kehrte er wieder in seine Heimat zurück – Till Janzer hat Zbyněk Čeřovský über seine Lebensgeschichte befragt, die am 21. August 1968 geschrieben wurde.
Herr Čeřovský, Sie waren im August 1968 Leiter des Fliegergeschwaders auf dem Militärflughafen im ostböhmischen Hradec Králové. Wie begann für Sie der schicksalhafte 21. August 1968. Erfuhren Sie noch vor Ihrem Dienstantritt, dass Truppen der Warschauer-Pakt-Staaten die Grenze zur Tschechoslowakei überschritten hatten?
„Mich hat gegen halb drei in der Früh die Flughafenaufsicht geweckt und mich über die Invasion informiert. Ich dachte, dass sei ein Witz. Und das, obwohl wir bereits so eine Ahnung von einer militärischen Aktion hatten. Einer unserer Piloten war zum Beispiel aus dem Urlaub in der Karpatho-Ukraine zurückgekehrt und hatte dabei große Armeeeinheiten mit Panzern und ein Flughafen voller Flugzeuge gesehen. Auf jeden Fall wartete ich auf den Fahrer mit unserem Auto, der mich abholen sollte zum Treffen mit den anderen Leitern auf dem Flughafen. Da es eine klare Nacht war, hörte und sah ich lauter Flugzeuge aus dem Osten in Richtung Prag ziehen. Mir war also klar, dass wir uns in einer außergewöhnlichen Lage befanden.“
Als Sie auf dem Flughafen waren, haben Sie die Soldaten wecken lassen. Vor allem aber erhielten Sie zwei widersprüchliche Befehle…
„Beide Befehle waren fast identisch, nur in einem Punkt unterschieden sie sich. Staatspräsident Svoboda teilte mit, dass die Tschechoslowakei besetzt, aber dass wir den Invasionstruppen weder technische noch materielle Hilfe leisten sollen und jeglichen bewaffneten Konflikt verhindern sollen. Der Befehl des Verteidigungsministers Martin Dzúr, der später eintraf, ordnete hingegen an, den Truppen Hilfe zu leisten. Ich hielt mich an den Befehl von Ludvík Svoboda, er war schließlich der oberste Militärbefehlshaber im Land.“
Wann kam es dann zur Besetzung des Militärflughafens in Hradec Králové, den sie damals geleitet haben?
„Um halb sieben landete die erste russische MiG-17 und heraus stieg der Unteroffizier Gaponow, den ich im Juni bereits bei der Militärübung Šumava kennen gelernt hatte. Er ging an mir vorbei, als wäre ich nicht vorhanden, direkt zum Flughafen-Tower. Dort ordnete er an, Landehilfe für seine Flugzeuge zu leisten. Ich ging hinter ihm und befahl meinen Leuten, alle technischen Vorrichtungen inklusive dem Radar wieder auszuschalten, den Tower zu verlassen, abzuschließen und wegzugehen. Gaponow ging nun zu seiner MiG und dirigierte in per Bordfunk sowjetische Jagdflugzeuge sowie polnische Hubschrauber und Transportmaschinen auf den Boden. Zudem landete eine Iljuschin, aus der sowjetische Offiziere ausstiegen. Wir vermuteten, dass dies Leute vom sowjetischen Geheimdienst KGB sein müssen, und das erwies sich später auch als richtig.“
Was geschah dann danach mit Ihnen?
„Wir waren in mein Büro gegangen und diskutierten über die Lage. Wir hatten Waffen, aber kei ne Munition, konnten uns also nicht wehren. Unteroffizier Jelínek und ich gingen raus und verhinderten einen Konflikt zwischen unseren Soldaten und den russischen und polnischen. Unsere hatten angefangen diese zu beschimpfen und mit Tomaten und Kartoffeln zu bewerfen. Polnische Elitesoldaten drängten uns zum Hangar, befahlen uns die Hände zu heben und richteten ihre Waffen auf uns. Sie waren wie außer sich.“
Wie haben Sie die Lage empfunden, hatten Sie Angst?
„Ich hatte noch nie zuvor direkt in einen Gewehrlauf geschaut. Es dauerte für unser Gefühl eine Ewigkeit, wir wussten nicht, ob sie uns erschießen oder nicht. Wenn ich mir das im Nachhinein durch den Kopf gehen lasse, dann lässt sich nicht sagen, dass ich in dem Moment Angst empfunden habe. Ich war nur sehr überrascht, dass die verbündeten Soldaten, mit denen wir laut dem Eid zusammen unsere Heimat gemeinsam verteidigen sollten, nun die Waffen auf uns richteten und vielleicht sogar entschlossen waren, uns zu erschießen.“
Sie wurden nicht erschossen, sie wurden sogar wieder frei gelassen. Aber Ihr Schicksal war durch den passiven Widerstand, den Sie geleistet hatten beschieden…
„Zehn Tage später begann bereits der so genannte Normalisierungsprozess. Wir erhielten den Befehl, den Truppen Hilfe zu leisten. Zuvor hatten wir ihnen weder Wasser, noch Essen gegeben und auch keinen Treibstoff, den hatten wir ohnehin nicht. Und nun wurde auch Druck ausgeübt. Wir mussten eine Einverständniserklärung unterschreiben, in der wir der brüderlichen Hilfe, wie die Invasion genannt wurde, zustimmten. Nicht zu unterschreiben, bedeutete sein Schicksal zu besiegeln. Über uns hatten jedoch die KGB-Offiziere, die ebenfalls gelandet waren, bereits alle Informationen gesammelt. Unser Schicksal, das hatten wir bereits am 21. August besiegelt.“
Sie wurden 1970 aus der Armee ausgeschlossen und Ihr weiteres Schicksal ist das eines politisch Verfolgten mit Haft, Schwierigkeiten bei der Arbeitssuche für Sie und Ihre Familie, Schulden. Sie haben auch die Charta 77 unterschrieben. 1984 drängt das Regime in der sogenannten Aktion Asanace auf die Ausweisung vieler Dissidenten – und sie gehörten dazu.
„Damals endete meine zweijährige Haftzeit und mich suchte ein Geheimdienstoffizier mit dem Decknamen Smetana auf. Es ist mir bisher nicht gelungen, seine wahre Identität herauszufinden. Jedenfalls sagte er, dass wir wegziehen müssen. Wenn wir dies nicht täten, müsste ich mit erneuter Haft rechnen. Ich wusste damals nicht, dass es diese Ausbürgerungsaktion Asanace gab. Ich war damals aber schon längst in Kontakt mit der deutschen Botschaft. Wir erhielten von der Botschaft einen Brief, dass uns die Bundesrepublik Deutschland Asyl gewährt. Meine Frau löste das mit den Geheimdienstmitarbeitern so, dass meine beiden Söhne vorreisen sollten. Wir wollten nicht riskieren, dass sie als Geiseln dableiben mussten. Am 1. September 1984 sind wir mit den nötigsten Sachen im Gepäck unseres Autos über die Grenze gefahren. In Rozvadov haben sie uns noch neun Stunden festgehalten, um uns die Ausreise möglichst unangenehm zu machen. Auf der deutschen Seite trafen wir dann unsere Söhne, fuhren nach München und dann ins Lager in Allach. Von den Amerikanern wurden wir in ihrem Hotel in München-Giesing einquartiert. Ein halbes Jahr später erhielten wir vom Sozialamt eine Wohnung und es begann des Flüchtlingsleben.“Sechseinhalb Jahre waren Sie dann in Deutschland. Sobald es ging, sind Sie aber in Ihre Heimat zurückgekehrt. Sind Sie damals rehabilitiert worden?
„Wir sind praktisch im Jahr 1990 zurückgekehrt. Mir wurde mein militärischer Rang mit allen Auszeichnungen zurückgegeben, ich wurde aber nicht reaktiviert. Paradox ist, dass mich ein General rehabilitiert hat, der in den Listen des Geheimdienstes als Agent geführt wurde und meine Reaktivierung die damals noch existente militärische Spionageabwehr überprüfte. Dieselben Leute, die mich verfolgt hatten, prüften, ob ich wieder in der Armee dienen darf. Sehr getroffen hat mich, dass damals in der tschechoslowakischen Armee Leute mit verdächtiger Vergangenheit waren und bis heute noch in der tschechischen Armee diese Leute zu finden sind, die ihre Karriere auf unseren Rücken aufgebaut haben.“
Am Donnerstag hat Staatspräsident Václav Klaus die ehemaligen Militärangehörigen geehrt, die sich vor 40 Jahren den Invasionstruppen des Warschauer Paktes entgegen gestellt hatten - unter ihnen auch Zbyněk Čeřovský. Es war die erste offizielle Ehrung der Militärs für ihr Verhalten im August 1968.