Flüchtling, Arbeitskraft, Störenfried - Ausländer in Tschechien

Ausländer in Tschechien, das sind Arbeitsmigranten, Asylsuchende und gelegentlich auch Abenteurer; Menschen, die manchmal der Zufall, manchmal das Schicksal nach Böhmen verschlagen hat. Seit Jahren nimmt die Zahl der Ausländer im Lande stetig zu - manche kommen für eine Saison, viele sind schon seit Jahrzehnten im Land. Wie aber geht es den Ausländern in Tschechien und wie geht es den Tschechen mit ihren Ausländern? Das ist Thema im nun folgenden Forum Gesellschaft mit Corinne Plaga und Thomas Kirschner.

In Tschechien gibt es viele Ausländer. Das meint, wie im vergangenen Frühjahr eine Umfrage gezeigt hat, zumindest die Hälfte der Tschechen. Nur drei Prozent der Befragten gaben dagegen an, die Zahl der Ausländer im Lande sei niedrig. Dabei ist gerade das der Fall, jedenfalls wenn man die europäischen Durchschnittszahlen zum Vergleich nimmt: Die rund 300.000 Ausländer in Tschechien machen etwa drei Prozent der Bevölkerung aus - und das ist gerade einmal ein Drittel des europäischen Durchschnitts. In Österreich und Deutschland kommt jeder zehnte Bewohner aus dem Ausland, in der Schweiz jeder Fünfte.

Zahlen aber helfen wenig, wenn es um Gefühle geht. Jahrzehntelang haben die Tschechen im wahrsten Sinne des Wortes in einer "geschlossenen Gesellschaft" gelebt. Seit der Wende strömen zunehmend Menschen aus anderen Ländern nach Tschechien - in den ersten sechs Monaten dieses Jahres allein mehr als 34.000. Und daneben gibt es noch die illegalen Migranten, deren Zahl im Dunkel liegt. Meist kommen sie zunächst mit einer gültigen Arbeitserlaubnis nach Tschechien, weiß Miroslav Smetana von der tschechischen Ausländerpolizei:

"Ihre Beschäftigung geben Sie dann entweder auf oder Sie erhalten vom zuständigen Amt keine Verlängerung der Arbeitserlaubnis, und trotzdem bleiben sie, dann eben illegal, in der Tschechischen Republik."

Und damit ist man mitten in der Diskussion um Ausländer in Tschechien, die nicht selten bei Kriminalität und Illegalität anfängt:

"Es gibt Fälle, in denen Ausländer um eine dauerhafte Aufenthaltsgenehmigung ansuchen, und bei der Überprüfung der Unterlagen wird dann festgestellt, dass zu diesem Zweck eine Scheinehe eingegangen wurde."

Die bekannteste Scheinehe in Tschechien ist allerdings immer noch die des Friedhofsmusikers Louka, der sich aus Geldnöten auf eine zweifelhafte Verbindung mit einer unbekannten Russin einlässt. Als die plötzlich verschwindet, steht Louka allein mit dem fünfjährigen Sohn seiner unbekannten Gattin da. So die Geschichte von Kolja, Jan Sveraks Oskar-Film aus dem Jahr 1996. Außerhalb des Kinos sind solche Fälle allerdings die Ausnahme. Das räumt auch Miroslav Smetana von der tschechischen Ausländerpolizei ein.

Wie aber sieht der Alltag jenseits der Kino-Geschichten aus? Ein Beispiel aus der Region: Im nordböhmischen Bezirk Usti nad Labem / Aussig leben rund 22.000 Ausländer. Um sie kümmert sich unter anderem Jan Kubicek vom multikulturellen Zentrum in Usti:

"Schwerpunkt unserer Arbeit ist die Sozial- und Rechtsberatung. Das schließt Informationen über das Sozialsystem in Tschechien ein, Hilfe bei Behördengängen und bei der Wohnungs- und Arbeitssuche. Außerdem kümmern wir uns um die Unterstützung der Hochschulstudenten aus den Reihen der Asylanten."

Einer von Kubiceks Schützlingen ist Frederic, der vor 17 Jahren als Flüchtling aus Angola nach Tschechien gekommen ist. Was war für ihn das Schlimmste nach der Ankunft in Tschechien?

"Die Einsamkeit. Und dann die Sprache. Ich kann Portugiesisch, Englisch, Französisch, aber Tschechisch, das war für mich neu. Das musste ich hier lernen, und ich lerne jetzt schon 17 Jahre, und immer klappt es noch nicht richtig."

Konnten er denn in Tschechien Arbeit finden?

"Ja, das ging. Natürlich braucht man Qualifikationen und auch ein wenig Tschechisch, aber im Ganzen hat das geklappt. Sobald ich als Flüchtling anerkannt war, habe ich Arbeit bei dem Verkehrsbetrieb CSAD gefunden."

Kann er manchmal nach Hause nach Angola reisen?

Nein, da sei er nie mehr gewesen, sagt Frederic. Und wenn er sich nach den 17 Jahren nochmals neu entscheiden sollte - würde er wieder nach Tschechien kommen?

"Ich weiß nicht - ich glaube ich würde das dem Schicksal überlassen, wohin es mich führt."

Für Jan Kubicek vom multikulturellen Zentrum in Usti ist die Arbeit nicht einfach. Er bemüht sich, Flüchtlinge und Migranten bei der Integration zu unterstützen - aber schon mit der Wohnungssuche beginnen meist die Schwierigkeiten:

"Eine Wohnung etwa für einen Klienten aus Afrika zu finden, das ist ein praktisch unlösbares Problem. Sobald der Vermieter sieht, dass da ein Schwarzer kommt, heißt es gleich ´Nein´! Anerkannte Asylbewerber haben zwar Anspruch auf eine so genannte Integrationswohnung, aber davon gibt es nur wenige. Die Wartezeit ist also entsprechend lang; das können auch schon mal fünf Jahre sein. In der Zeit wohnen sie dann eben im Wohnheim."

Ganz anders sieht die Situation der griechischen Minderheit in Tschechien aus. Im Bürgerkrieg in den Vierziger Jahren haben zehntausende griechischer Kommunisten ihre Heimat verlassen, 15 - 30.000 kamen in die damalige Tschechoslowakei. Auch wenn viele in den 80er Jahren in die Heimat zurückgekehrt sind: rund 3500 Griechen leben auch heute noch in Tschechien. Nicht die Integration, sondern vielmehr die Bewahrung der Identität ist für sie die größte Herausforderung, meint Jurgos Michaelidis:

"Man lebt in Tschechien, die Eltern reden nur Tschechisch... - ich glaube, das wichtigste sind nicht die Schulen, die die griechischen Verbände einrichten, sondern dass auch zu Hause die Eltern Griechisch reden und das auch den Kindern vermitteln - dass sie dazu drängen, ihre Muttersprache zu pflegen."

Es ist die Frage nach den Wurzeln, nach der Heimat, die auch den tschechisch-griechischen Arzt Georgios Karadzos bewegt. Er hat über sein Schicksal ein Buch geschrieben: "Ukradene slunce" - die gestohlene Sonne:

"Das ist ein Rückblick auf meine Kindheit. Ich bin im Jahre 1949 aus Griechenland hierher in die damalige Tschechoslowakei gekommen und habe dann fünf, sechs Jahre das Leben im Kinderheim auskosten dürfen. Ich weiß nicht, warum ich hier bin, warum ich nicht zu Hause bleiben konnte. Ich will mich nicht beklagen - ich bin hier vom neunten Lebensjahr an aufgewachsen, habe hier studiert, tue das, was ich tue, aber ich bin hier eben nicht zu Hause. In Griechenland haben zwei Regime gegeneinander gekämpft, uns hat man im Geiste des Sozialismus aufziehen wollen - aber die Kinder, die da geblieben sind, die sind auch irgendwie groß geworden, und sie konnten dabei zu Hause bleiben. Ich frage mich immer wieder: warum sind wir weggegangen?!"