Frauen in Tschechien: Politischer Aufstieg nach dem Ersten Weltkrieg
Frauen in politischen Spitzenämtern - das ist in Tschechien nach wie vor eine absolute Ausnahme. Auch die Parlamentswahlen Anfang Juni konnten daran nicht viel ändern. "Ein demokratisches Defizit", meinen viele Kritiker - und verweisen einmal mehr auf die, ach so vorbildlich demokratische, Tschechoslowakei der Zwischenkriegszeit. Aber waren die Frauen damals wirklich stärker in der Politik vertreten als heute? Dana Martinova ist dieser Frage nachgegangen.
"Es ist interessant, dass man in ganz Mitteleuropa eine ähnliche Situation antraf. Und wenn wir in die Nachbarländer, die Nachfolgestaaten der ehemaligen Habsburger Monarchie wie Österreich, Polen und die Tschechoslowakei, aber auch nach Deutschland schauen, dann halten wir fest, dass die Frauen das allgemeine Recht, in ein Parlament gewählt zu werden, erst nach dem Ersten Weltkrieg erhielten. Was die Tschechoslowakei betrifft, so wurde dieses Recht im Jahr 1920 in der Verfassung kodifiziert."
Zum Vergleich: Das erste europäische Land, in dem die Frauen das Wahlrecht erhielten, war Finnland. Das war bereits im Jahre 1906! Es folgte Dänemark im Jahre 1915. In weiteren europäischen Ländern gelangten die Frauen - ähnlich wie in der Tschechoslowakei - erst in der Zwischenkriegszeit in die Politik. Nichtsdestoweniger war das ein bedeutender Fortschritt, wenn wir uns bewusst machen, dass es dazu in einer ganzen Reihe europäischer Staaten erst nach dem Zweiten Weltkrieg kam, so z. B. in Ungarn im Jahre 1958 und in der Schweiz erst im Jahr 1971! Und was waren die Hauptgründe für den Eintritt der Frauen auf der politischen Bühne? Was versuchten sie durchzusetzen?
"Die hauptsächliche Mission der Frau ist die Mutterschaft. Und da man davon ausgehen konnte, dass die meisten Frauen früher oder später Mütter werden, hat man sich sehr bald für eine Verbesserung der Stellung von Frauen und Kindern eingesetzt. Weibliche Abgeordnete und Senatorinnen haben sich ohne Rücksicht auf ihre politische Zugehörigkeit dafür stark gemacht, dass Mütter und Kinder einen größeren legislativen Schutz erhalten und dass die Mütter den Vätern gleichgestellt werden. Außerdem kämpften sie für einen besseren Jugendschutz sowie für die Verbesserung der sozialen Stellung von Frauen in den Fabriken. Zu den völlig neuen und sehr wichtigen Forderungen der Emanzipation gehörten die Reformen des Ehe- und des Familienrechts, die durch eine Revision des bürgerlichen Gesetzbuches aus dem Jahre 1811 erreicht werden sollten. Und genau wie im österreichischen oder im deutschen Parlament wurde die Legalisierung der Interruption verlangt. Ein weiteres Problem, was die Frauen lösen wollten, war das Beziehungsverhältnis zwischen Eltern und Kindern. Anders ausgedrückt: Es ging darum, wer das Recht erhielt, über die Kinder zu entscheiden - entweder der Vater, wie es nach dem bürgerlichen Gesetzbuch bisher der Fall war, oder die Mutter. Wegen der noch ungeklärten Frage der Eheschließung wurde das Familienrecht jedoch bald von der geplanten Re- Kodifizierung des Gesetzbuches ausgenommen. Die im Parlament vertretenen Parteien befürchteten offensichtlich, dass sie damit in den Widerspruch zu den Interessen der Volkspartei bzw. der katholischen Kirche gelangen könnten."Praktisch alle politischen Parteien hatten in der Zwischenkriegszeit in ihre Programmdokumente größere oder kleinere Passagen zur sog. Frauenfrage aufgenommen, und sie hatten auch eigene Frauenorganisationen. Die Gründe, warum sie die Aktivitäten der Frauen unterstützten, waren offensichtlich. Frauen stellten ein bedeutendes Wählerpotenzial dar, und die Frauenorganisationen der politischen Parteien nahmen Aufgaben war, die die Parteien ohne sie nur schwer erfüllen konnten (z. B. die Wahlagitation). Sie halfen ferner, das Parteiprogramm und die Parteiideologie unter der potentiellen Wählerschaft zu verbreiten. Es ist kein Wunder, das wiederholt Parteien mit sehr großen Frauenorganisationen gute Wahlergebnisse aufzuweisen hatten - die Sozialdemokraten, die Volkspartei und die Agrarpartei. Was das Ausmaß der Mitwirkung von Frauen in der Politik betrifft, herrschten zwischen den politischen Parteien allerdings auffällige Unterschiede.
"Allgemein lässt sich sagen, dass die sozialistisch orientierten Parteien, das heißt die Sozialdemokratie, die Nationalen Sozialisten und ab dem Jahr 1920 auch die Kommunisten (KSC) die ersten waren, die den Frauen das Recht zusprachen, in die Politik zu gehen. Das heißt jedoch nicht, dass man sich vorbehaltlos für solche Frauen einsetzte. Innerhalb dieser Parteien wurden vielmehr lange Diskussionen zu diesem Thema geführt. Unter den Sozialdemokraten und unter den Nationalen Sozialisten herrschte oftmals die Befürchtung, dass das Wahlrecht der Frauen und deren Eintritt in die Politik den Klerikalismus und damit die Position der Volkspartei stärken könnten. Diese Befürchtung führte man vor allem auf die "natürlichen Eigenschaften" der Frauen zurück, denn Frauen seien sehr emotional und religiös veranlagt, hieß es. Und deswegen würden sie nicht die Partei wählen, die ihnen das Wahlrecht einräume, sondern eben sich auf christliche Werte berufende Volkspartei. Diese These lässt sich jedoch kaum belegen, da es für Männer und Frauen bis heute keine farblich abgestuften Stimmzettel gibt. Wir wissen es also nicht."
Die Volkspartei war gegenüber einer politischen Aktivität von Frauen eindeutig ablehnend eingestellt. Dem entsprachen letztlich auch ihre Kandidatenlisten. In der gesamten Zeit der Ersten Republik hatte die Volkspartei nur eine einzige ordentlich gewählte Abgeordnete, und wenn unter den Kandidaten der Volkspartei Frauen auftauchten, dann auf völlig chancenlosen Plätzen. Die Volkspartei war einfach die Partei, die vor allem die natürliche Rolle der Frau, die Mutterschaft und Ähnliches verteidigte. Wenn wir einen Blick in die katholische Frauenpresse der Ersten Republik werfen, dann können wir immer wieder nachlesen, dass "die natürliche und wichtigste Wirkungsstätte jeder Frau das Heim ist" und dass "sie sich mit jedweder beruflichen, geschweige denn politischen Tätigkeit von ihrer Hauptaufgabe entfernen". Wir erfahren, dass "Frauen keine politischen Ambitionen haben und aktiv die Karriere der katholischen Männer unterstützen sollten".
Die Meinungen zu den politischen Aktivitäten von Frauen gingen also weit auseinander; von den traditionellen, bei denen damit argumentiert wird, dass die Politik eine Angelegenheit der Männer sei und Frauen nicht dahin gehörten, bis hin zu solchen, die den Eintritt der Frauen in die Politik nicht a priori ablehnten, aber Argumente suchten, warum eine solche Tätigkeit für Frauen nicht geeignet sei. Es ist aber charakteristisch, dass nicht nur Männer, sondern oft auch Vertreterinnen des eigenen weiblichen Geschlechts die politischen Aktivitäten von Frauen kritisierten.
"Allgemein gesagt bin ich zu der Auffassung gelangt, dass der größte Gegner von Frauen, sich in der Politik zu engagieren, nicht die Männer, sondern die Frauen selbst waren. Die meisten Argumentationen von Frauen waren nämlich mehr ein Plädoyer für die Beibehaltung der traditionellen Frauenrolle, die mit einer politischen Tätigkeit unvereinbar sei. Die Politikerinnen und Aktivistinnen der Frauenbewegung, die öffentlich das Recht der Frauen auf eine politische Tätigkeit verteidigten, hatten - im Gegensatz zu den Männern - keine ausreichende Erfahrung damit, wie man zu politischer Macht gelangt, wie man sie verteidigt, und vor allem: es fehlte ihnen untereinander an einer echten Solidarität und damit an einer wichtigen Voraussetzung, um im politischen Kampf gegen die solidarischer und resoluter vorgehenden Männer erfolgreich zu sein. Unter den Männern gab es nur eine kleine Minderheit, die gegenüber einem politischen Engagement von Frauen keine Einwände hatten. Zu den bedeutendsten Vertretern dieser Minderheit gehörte der Präsident der ersten Tschechoslowakischen Republik, Tomas Garrigue Masaryk. Oft war von Seiten der Männer zu hören: ´Jawohl, Frauen gehören in die Politik, man kann ihnen im Rahmen der Emanzipation nicht das Recht auf eine Eingliederung in die politischen Strukturen aberkennen´. Aber stets wurden danach sogleich Vorbehalte laut, immer wieder gab es nach dem Ja auch sofort ein Aber..."
Der Kreis der Frauen, die sich in der hohen Politik durchgesetzt haben, war also aus subjektiven als auch aus objektiven Gründen sehr begrenzt. In der gesamten Zwischenkriegszeit erhielten Frauen keinen Zugang zu den elitären Führungspositionen, weder in der Abgeordnetenkammer noch im Senat, obwohl ihre Aktivität mit der der Männer vergleichbar war und ihnen diese Posten anhand der Anzahl der Mandate auch zugestanden hätten. Die erste weibliche Ministerin war Ludmila Jankovcova, da schrieb man schon das Jahr 1947. Aber auch das Mandat als Abgeordnete und Senatorin hatte große Bedeutung. Die Mandatsträgerinnen befanden sich nämlich auf einer gesellschaftlichen Stufe, auf die der Großteil der Frauen - aufgrund ihrer Herkunft und ihrer früheren gesellschaftlichen Stellung - vermutlich nie hingelangen würde. Verbunden mit dem Mandat ermöglichte das hohe Maß an Prestige den Politikerinnen zudem, die Rechte der Frauen intensiver durchzusetzen und auf den Ämtern der Staats- und Selbstverwaltung stärker einzugreifen, wenn die Frauen betreffende Angelegenheiten behandelt wurden.