Freilichtoper: Rusalka in der Wilden Scharka
Es war ein Kulturereignis, worüber in der Prager Gesellschaft noch lange gesprochen wurde: Die Verkaufte Braut auf der Freilichtbühne in der Divoka Sarka / Wilde Scharka. 1913 wurde das so genannte "Theater in der Natur" mit der populärsten Oper von Bedrich Smetana im Naturpark Scharka feierlich eröffnet. Die letzte Vorstellung fand in der Scharka 1922. Danach ist die Bühne allmählich in Vergessenheit geraten. Dank einigen passionierten Theaterfans wurde das Theater in der Scharka nun wieder ins Leben gerufen.
Die Holzkonstruktion der Bühne wurde vorne mit Rasenziegeln belegt. Die Zuschauer sollten die Konstruktion nicht sehen und den Eindruck haben, dass wirklich direkt in der Natur gespielt wird. Am 16. Mai 1913 wurde Smetanas Oper "Verkaufte Braut" als die erste Vorstellung in der Scharka aufgeführt. Sie wurde vom Ensemble des Prager Nationaltheaters einstudiert. Wie die Theaterwissenschaftlerin Tatjana Souckova meint, war das Theater in der Scharka etwas ganz Besonderes.
"Die Freilichtbühne in der Scharka war eigentlich die erste Bühne dieser Art in Böhmen überhaupt. Sie entstand nach dem Vorbild von ähnlichen erfolgreichen Theatern aus Deutschland. Nach dem Erfolg der Scharka-Bühne sind weitere Naturbühnen entstanden - beispielsweise in Plzen / Pilsen oder in Krc bei Prag. Einige von den Theatern haben die Bühne in der Scharka überlebt. In der Scharka begann man 1913 zu spielen. Während des Ersten Weltkriegs gab es dort keine Vorstellungen. Erst 1919 wurde das Scharka-Theater wieder belebt. Die Inszenierungen waren jedoch viel bescheidener als vor dem Krieg. In der Scharka wurde bis 1922 gespielt. Während meiner jüngsten Forschungen kam ich zum Schluss, dass das Ende dieser einst so bewunderten Theaterbühne durch eine geplatzte Opernvorstellung mit dem damals berühmten Tenor Otakar Marak verursacht wurde. Die Zuschauer sind gekommen, aber die Künstler nicht, da die Verträge nicht in Ordnung waren. Dies bedeutete einen großen finanziellen Verlust und der führte wahrscheinlich zur Schließung der Bühne."
Die letzte Vorstellung in der Scharka war ein Gastspiel der russischen Schauspieler, die am 6. Juli 1922 das historische Spiel "Jan Hus" vom russischen Dramatiker Alexander Kotomkin aufgeführt hatten. Die russischen Theaterleute waren Emigranten, die 1917 aus Russland geflüchtet waren und dann im Kammertheater spielten. Dieses hatte im Svanda-Theater seinen Sitz, das bis heute in Prag-Smichov steht. In der Scharka wurde fast alles gespielt, sagt die Theaterwissenschaftlerin - von der Oper über Operette bis zu Dramen. 1919 - nach der Entstehung der Tschechoslowakei - wurden dort beispielsweise Stücke mit der Thematik aus dem Leben der tschechischen Legionäre aufgeführt. 1922 sang die weltberühmte Sopranistin Ema Destinova (1878-1930) in der Scharka, und zwar die Titelrolle in Puccinis Madame Butterfly, sagt die Theaterwissenschaftlerin und fügt hinzu:
"Ich habe in der damaligen Tagespresse gefunden, dass das Interesse für die Vorstellungen im Jahre 1913 so groß war, dass die Leute darauf aufmerksam gemacht wurden, dass sie einige der Wege, die zum Theater führten, nicht mehr benutzen können, weil es bei der Menschenmenge schon gefährlich war. Es kam damals sogar zu einigen Verletzungen. Die Bühne sowie der Zuschauerraum wurden 1913 von den beiden Initiatoren Emil Pollert und Antonin Fencl wirklich großartig vorbereitet. Die Kapazität des Zuschauerraums betrug 18.000 Zuschauer. Viele hatten nur Stehplätze, es gab dort damals aber auch Logen. Die Karten waren nicht gerade billig. Trotzdem sehnten sich die Prager sehr danach, eine der Vorstellungen in der Scharka zu sehen. Die Eisenbahn von Bustehrad stellte Züge zur Verfügung, mit denen die Theaterfans nach Veleslavin reisen konnten. Es war damals eine bewundernswerte Leistung, 18.000 Leute in die Scharka zu bringen."
Auf die Idee, die einstige Freilichtbühne in der Scharka wieder zu beleben, kam die Anwohnerin und Theaterliebhaberin Jana Divisova. Sie sagt, sie habe gewusst, dass in der Scharka einst Theater gespielt wurde:"Der Ort befindet sich unweit des Hauses, wo ich fast vierzig Jahre lang wohne. Ich begann historische Materialien zu studieren. Im Archiv des Prager Nationaltheaters habe ich eine Eintrittskarte aus der Scharka gefunden, es war eine Karte für die Stehplätze. Ich sammelte weitere Materialien über die Scharka-Bühne und kam auf die Idee, das es gar nicht schlecht wäre, an die Geschichte dieses Theaters zu erinnern und zu erläutern, wer die Bühne gegründet hatte, wer dort gespielt hatte und was alles dort aufgeführt wurde."
Die Akustik war Jana Divisova zufolge in der Scharka herrlich. Der Raum war natürlich nicht so dicht bewachsen, wie es heute der Fall ist. Viele Fotos zeugen davon, wie viele Besucher gekommen waren, sagt Divisova:"Dabei muss man sich dessen bewusst werden, dass die Stadt Prag damals an dem heutigen ´Kulatak` - dem Siegesplatz - in Dejvice endete. Von dort musste man noch acht Kilometer zurücklegen, um die Bühne zu erreichen. Wir bewundern heute auch die Geschwindigkeit, mit der das Theater in Betrieb genommen wurde. Im März wurde der Vertrag über die Mietung des Grundstücks unterzeichnet und schon im Mai wurde die Verkaufte Braut in der Scharka gespielt."
Die Verkaufte Braut wurde in der Divoka Scharka auch 2005 aufgeführt. Der sechste Stadtbezirk, zu dem das Gebiet von Divoka Scharka gehört, hat die Initiative des so genannten "Originellen Musiktheaters Prag" unterstützt, das an die Tradition der einst berühmten Bühne anknüpfen wollte. Im Unterschied von 1913 gab es jedoch weder Sitz- oder Stehplätze, noch eine richtige Bühnenkonstruktion. Gespielt wurde in der Natur, und das Publikum setzte sich ins Gras, wo es Platz gab. Nach dem Erfolg von 2005 wurde die Vorstellung vor einem Jahr noch einmal in der Scharka wiederholt.Dieses Jahr bereiteten die Leute um Jana Divisova eine Rusalka-Vorstellung vor. Die Titelrolle übernahm Sopranistin Helena Kaupova. Die Aufführung in der Natur unterscheidet sich ihrer Meinung nach doch bedeutend von einer Vorstellung beispielsweise im Nationaltheater:
"Ich würde sagen, es ist wie ein spannender Roman aus dem Wilden Westen. Denn wir wissen nie, womit uns das Wetter überraschen wird. Voriges Jahr habe ich mit Neugier das ständig wechselnde Wetter beobachtet. Als ich die Arie ´Es kommt ein Sturm zu uns´ gesungen habe, hatte ich das Gefühl, dass das wirklich stimmte. Denn es kam ein Sturm. Ich hoffe aber, dass eine Vorstellung in der Natur für die Zuschauer ein ungewöhnliches Erlebnis ist."Darin hat Helena Kaupova Recht, denn die wilde Landschaft verleiht gerade der Rusalka einen besonderen Zauber. Gern verzeiht das Publikum den Theaterleuten einige technische Fehler, die man bei einer solchen Vorstellung kaum vermeiden kann. Da der Theaterraum nicht eingezäunt ist und durch die Scharka zahlreiche Wanderwege führen, kam es hie und da zu einem lustigen Intermezzo, wenn inmitten der tanzenden Wassernixen plötzlich ein Tourist mit Rucksack auftauchte, der die Felsenlandschaft von Scharka zu erobern versuchte.
Das Publikum jedenfalls war begeistert. Hoffentlich werden die Veranstalter auch nächstes Jahr wieder eine Opernvorstellung in der Scharka aufführen können.