Frischer Wind in der Diskussion um die Benes-Dekrete

Premier V. Spidla und Aussenminister C. Svoboda in Thessaloniki (Foto: CTK)

Am Rande des EU-Gipfels in Griechenland kam es auch zu einem persönlichen Gespräch zwischen Premier Vladimir Spidla und dem deutschen Bundeskanzler Gerhard Schröder. Das Thema: die sog. Benes-Dekreten, über die in den Tagen zuvor einige bemerkenswerte Äußerungen gefallen waren. Am Mittwoch hatte die tschechische Regierung die Vertreibung der Sudetendeutschen als "aus heutiger Sicht unannehmbar" bezeichnet - ein Schritt, der in Deutschland, auch auf Seiten der Vertriebenen, durchweg positiv aufgenommen wurde. Schröder wiederum hatte die Vertreibung zuvor in einem Zeitungsinterview klar als Folge der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft benannt, was in Tschechien mit Freude zur Kenntnis genommen wurde. Was bedeuten diese Ereignisse der vergangenen Tage für das bilaterale Verhältnis - das fragte Silja Schultheis die Journalistin Lida Rakusanova, die die Diskussion um die Benes-Dekrete seit Jahren auf beiden Seiten der Grenze verfolgt.

Premier V. Spidla und Aussenminister C. Svoboda in Thessaloniki  (Foto: CTK)
Rakusanova: "Das, was hier passiert ist, bedeutet meiner Ansicht nach vor allem eins: Dass nämlich beide Seiten fest auf den Boden der deutsch-tschechischen Erklärung von 1997 zurück gekehrt sind bzw. zurückkehren wollen. Jetzt haben beide Seiten festgestellt, dass die Versöhnung vollbracht sei und die Benes-Dekrete nach dem EU-Beitritt Tschechiens immer mehr in den Hintergrund gedrängt werden. Ob das tatsächlich so sein wird, ist jetzt die Frage. Meiner Meinung nach ist der Stand jetzt so: Positive Signale wurden ausgesendet, Waffenruhe ist eingekehrt. Und jetzt herrscht eine Art Atempause bis zum EU-Beitritt. Aber ob dieser EU-Beitritt tatsächlich bedeutet, dass die Benes-Dekrete nie mehr herausgeholt werden, das bezweifle ich sehr. Weil das, was wir jetzt gehört haben, bedeutet, dass die Regierung Schröder die Dekrete nicht mehr herausholen will bzw. sie hat es ja nie getan vorher. Ob das aber eine andere deutsche Regierung, beispielsweise eine konservative, auch nicht tut, ist die Frage. Meiner Meinung nach hat Tschechien jetzt die letzte Möglichkeit, die symbolische Geste gegenüber den Vertriebenen billig zu bekommen. Sobald das Land in der EU ist, wird das teurer werden."

Schultheis: "Von einer symbolischen Geste war ja hier in letzter Zeit öfter die Rede. Es wird jetzt eine Initiative von Vizepremier Mares zur Entschädigung der deutschen Minderheit im Lande geben. Hat dieser Schritt Ihrer Meinung nach Aussicht auf Erfolg?"

Rakusanova: "Ich weiß nicht, ob das durchgeht und wirklich so gemacht wird. Aber wenn die Abgeordneten ein bisschen Verstand haben, dann werden sie dem zustimmen."

Schultheis: "Sie sagten, die tschechische Regierung kann die Versöhnung nie wieder so billig wie jetzt bekommen. Welche konkreten Schritte sollte die Regierung Ihrer Meinung nach jetzt unternehmen?"

Rakusanova: "Sie müsste die Benes-Dekrete aufhaben, damit einmal Ruhe ist. Und dann müsste sie sich mit den Sudetendeutschen darauf einigen, wie diese symbolische Geste für die Enteigneten aussehen soll. Wenn Sie das einmal zurückverfolgen, wie das nach der Wende war: Das einzige Land, das dazu den Mut fand, war Ungarn. Und sie haben das wirklich für einen Pappenstil - verglichen mit heute - bekommen, diese Ruhe, diese Vergangenheitsbewältigung."

Schultheis: "Frau Rakusanova, haben Sie herzlichen Dank für das Gespräch."