Frost, Pollen und hungernde Bienen: Der Klimawandel bringt die tschechische Natur aus dem Takt

Teil des phänologischen Gartens

Der Klimawandel verschiebt auch in Tschechien die Jahreszeiten. Der Frühling kommt früher und der Herbst später. Das hat Folgen – nicht nur für die Tier- und Pflanzenwelt, sondern auch für die Menschen.

Teil des phänologischen Gartens | Foto: Wiebke Pfohl,  Radio Prague International

Die Natur verändert sich über das Jahr hinweg. So lässt sich etwa beobachten, wie die Hasel ihre ersten Blätter bildet und ihre Blüten, die an Raupen erinnern. Im Herbst kann man dann die Haselnüsse vom Wegrand klauben und dabei zusehen, wie sich die Blätter erst bunt färben und dann zu Boden fallen. Auch die Vogelzüge sieht man jedes Jahr im Herbst und im Frühling. Aufmerksame Beobachter können sogar ein paar Jungvögel in ihrem Nest erspähen. Die Natur hat ihren eigenen Rhythmus. Doch der Klimawandel bringt ihn durcheinander.

Damit kennt sich die Wissenschaftlerin Lenka Hájková aus. Sie untersucht am tschechischen Hydrometeorologischen Institut jene Erscheinungen in der Natur, die Jahr für Jahr wiederkehren. Phänologie nennt sich diese Forschung.

Lenka Hájková | Foto: Wiebke Pfohl,  Radio Prague International

„Wir beobachten, wann die Bäume zu sprießen beginnen, wann sie blühen, die Früchte reifen, wann die Blätter sich bunt färben oder wann sie zu Boden fallen. In der Tierphänologie haben wir früher etwa die Ankunft der Zugvögel oder die Vogelbrut beobachtet“, erläutert Hájková.

Diese Forschung wird unter anderem verwendet, um Pollenvorhersagen zu erstellen. Aber nicht nur Menschen mit Allergien profitieren davon. Auch für Landwirte ist der Forschungszweig essentiell. Er hilft ihnen, sich auf den Anbau von Feldfrüchten oder auf den gefürchteten Spätfrost im Frühling vorzubereiten. Und – last but not least – zeigt die Phänologie, wie der Klimawandel auch in Tschechien auf die Natur wirkt. Ein Beispiel: Neben der Wetterstation Doksany / Doxan, in der Hájková arbeitet, steht ein Kirschbaum. Anfang November sind seine Blätter noch weitestgehend grün. Damit ist er nicht alleine. Die Forscherin:

Station Doksany und der Kirschbaum | Foto: Wiebke Pfohl,  Radio Prague International

„Wir können diesen Herbst sehen: Die Blätter färben sich und fallen im Moment 14 bis 21 Tage später als noch im Durchschnitt in den Jahren 1991 bis 2020. Bei der Station in Chřibská etwa, im Norden des Landes, verfärben sich die Blätter der Birke mit 18 Tage Verspätung.“

Der Beginn der Blattfärbung etwa oder die ersten reifen Früchte – all diese Jahr für Jahr wiederkehrenden Ereignisse nennt man phänologische Phasen. Die Jahreszeiten beginnen in der Phänologie nicht zu einem bestimmten Datum, sondern mit einer bestimmten Phase. Acht solcher Jahreszeiten gibt es in Tschechien. Der Vorfrühling etwa wird von den Schneeglöckchen eingeläutet, der Spätherbst von den bunten Blättern der europäischen Lärche. Und der Klimawandel verschiebt nicht nur den Herbst zeitlich nach hinten.

Messgeräte hinter der Station | Foto: Wiebke Pfohl,  Radio Prague International

„Phänologie ist der empfindlichste Bioindikator für den Klimawandel. Die Temperatur ist der Hauptauslöser dafür, dass Pflanzen zu sprießen oder zu blühen beginnen. Wir können also sehen, dass der Klimawandel hier ist. Die phänologischen Phasen im Frühling verschieben sich zu einem früheren Datum hin, die Phasen im Herbst dagegen zu einem späteren Zeitpunkt“, sagt die Wissenschaftlerin.

Das hat Folgen, auch in Tschechien. Etwa für Pollenallergiker wird das zum Problem. Die Pollensaison verändere sich, erläutert die Forscherin. Früher hätten Pollenallergiker im Januar noch keine Probleme gehabt, inzwischen jedoch schon. Denn die Hasel blühe dann bereits. Außerdem breite sich nun im Süden Tschechiens die Ambrosia aus. Die Pollen der Pflanze sind ein sehr starker Allergie-Auslöser. Haselsträuchern kann es dagegen auch selbst zum Verderben werden, dass sie früher blühen. Hájková erläutert:

Teil des phänologischen Gartens | Foto: Wiebke Pfohl,  Radio Prague International

„Die Pflanzen haben dieses Jahr früher begonnen, zu sprießen und blühen. Doch dann gab es wieder einen Wintereinbruch, und dadurch wurde die Pflanzenentwicklung langsamer. Wir hatten dieses Jahr einen großen Zeitraum zwischen dem Punkt, an dem Pflanzen die ersten Blätter ausgebildet haben, und dem Punkt, an dem sie voller Blätter waren. Das kann man aus den Auswertungen ablesen. Die Hasel hat etwa im Januar begonnen zu blühen, da dieser Monat sehr warm war. Weil der Februar dann sehr kalt war und es Frost gab, sind einige der Haselkätzchen erfroren.“

Das kann auch bei Obstbäumen zu einem Problem werden. Blühen sie früher, können sie vom Frost überrascht werden. Der sogenannte Spätfrost hat in den Jahren 2017 und 2021 EU-weit hohe Ernteverluste verursacht.

„Ich habe das Gefühl, dass der Frost jedes oder jedes zweite Jahr kommt, während die Aprikosen blühen. Es ist nicht einfach, diese Art von Obstbäumen zu züchten. Ich glaube, die Ernte war dieses Jahr ein bisschen kleiner als in einem Jahr ohne Frost“, so Hájková.

Daher sei es wichtig, genaue Wettervorhersagen zu haben, erläutert die Expertin weiter. Das Hydrometeorologische Institut sei auch Mitglied in einem EU-Projekt, das die Frostvorhersagen verbessern soll. Relevant für die Landwirtschaft sind zudem weitere Dinge. Hájková beobachte, dass einige Pflanzen in höher gelegene Gebiete wandern und andere Pflanzen dann ihren Platz einnehmen.

Der Klimawandel beeinflusst das Bier

Teil des phänologischen Gartens | Foto: Wiebke Pfohl,  Radio Prague International

Sogar der Geschmack von Bier wird durch die verschobenen Jahreszeiten beeinflusst. Der Hopfen in Deutschland, Tschechien und Slowenien beginnt etwa 20 Tage früher zu reifen als noch in den Jahren vor 1994. Unter anderem dadurch verringern sich die sogenannten Alphasäuren im Anbauprodukt. Die Säuren sorgen für die charakteristische bittere Note im Bier. Diese Geschmacksveränderungen fanden Forscher in einer aktuellen Studie heraus, an der auch Hájková beteiligt war. Die Wissenschaftlerin berichtet noch von einer anderen kuriosen Beobachtung:

„In den Jahren 2015 und 2018 gab es sehr lange Dürrephasen. 2015 etwa war das im August. Lange regnete es nicht. Als es dann im September endlich geregnet hat, konnten wir beobachten, dass die Bäume sich so verhalten haben, als wäre der zweite Frühling gekommen. Manche haben neue Blätter oder Blüten gebildet. Wir haben dies etwa bei Holunder, Vogelbeere und Blaubeere gesehen. Allerdings trugen die Pflanzen keine Früchte.“

Dieses Jahr dagegen wurden an einem Ort im Oktober sogar das zweite Mal reife Blaubeeren beobachtet. Das schreibt das Hydrometeorologische Institut auf X (vormals Twitter). Für die Pflanzen sei das aber nicht gut, schätzt die Wissenschaftlerin ein. Sie bräuchten den Winter und die Ruhe, die damit einhergeht.

Messgeräte hinter der Station  | Foto: Wiebke Pfohl,  Radio Prague International

Doch nicht nur die Temperatur beeinflusst, wann sich Pflanzen und Tiere entwickeln. Auch die Tageslänge etwa und der Niederschlag sind wichtige Faktoren. Pflanzen und Tiere sind dabei normalerweise gut aufeinander abgestimmt. Baby-Vögel schlüpfen, wenn es am meisten Fressen für sie gibt. Bienen sind unterwegs, wenn viele Pflanzen blühen. Doch Arten sind unterschiedlich empfindlich für die Veränderungen des Klimas. Sie passen ihre Entwicklung also nicht in gleichem Maß an oder nicht einmal in die gleiche Richtung. Hájková sagt:

„In warmen Jahren haben wir beobachtet, dass die Blütezeiten der Pflanzen während der Pollensaison näher zusammenrückten. Dann sind zu bestimmten Zeiten mehr Pollen in der Luft. Das kann ein Problem für die Honigbiene sein. Die Tiere haben erst ein großes Angebot an Nahrung, und danach verhungern sie. Ein weiteres Problem: Die Hasel ist die erste Nahrungsquelle der Honigbiene. Wenn die Pflanze nun früher blüht, verpasst die Biene sie.“

Auch Bürger können forschen

Wie können die Forschenden das überhaupt alles beobachten? Dabei helfen dem Institut 29 ehrenamtliche Beobachter, die jeweils eine sogenannte Station betreiben. Die Wissenschaftlerin:

Station Doksany | Foto: Wiebke Pfohl,  Radio Prague International

„Man kann sich eine solche phänologische Station folgendermaßen vorstellen: Es ist kein spezieller Garten, sondern einfach nur ein Stück Land. Der Beobachter folgt dann immer der gleichen Strecke, an der die typischen Bäume und Pflanzen stehen. Normalerweise ist das nah an seinem Zuhause, damit er in der Hauptwachstumszeit alle zwei Tage dort entlanggehen kann.“

Zurzeit würden die Ehrenamtlichen Wildpflanzen wie Weiden, Holundersträucher oder Maiglöckchen beobachten, erläutert die Forscherin weiter. Insgesamt 45 Pflanzen sind Teil der Forschung. Alle seien für Tschechien typische Pflanzen, die man im ganzen Land finde. In vergangenen Jahren hätten sie auch Obstbäume und Nutzpflanzen im Programm gehabt, erzählt Hájková. Diese seien aufgrund von finanziellen Einsparungen aber herausgenommen worden. Die Beobachter erhalten Anweisungen und Bilder und schicken der Forscherin ihre Beobachtungen. Diese Daten kann die Wissenschaftlerin dann auswerten.

Dabei unterstützen nicht nur die 29 ehrenamtlichen Beobachter die Phänologie. Zudem gibt es ein Projekt, das Hájkovás Institut gemeinsam mit der Mendel-Universität in Brno / Brünn und dem Global Change Research Institute (CzechGlobe) betreibt. Dabei können Bürger sich auf einer Website registrieren und ihre eigenen phänologischen Beobachtungen dort eintragen. Dass so viele Menschen mithelfen, ist kein Wunder…

Teil des phänologischen Gartens | Foto: Wiebke Pfohl,  Radio Prague International

„Phänologie hat in Tschechien eine lange Tradition. Die ersten phänologischen Beobachtungen haben hierzulande die Meteorologen Stepling, Strnad und David in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts im Prager Klementinum gemacht. 1923 gründete Professor Václav Novák von der Mendel-Universität in Brünn ein Netzwerk von etwa 650 phänologischen Beobachtern. Einige der Aufzeichnungen haben wir noch in unseren Archiven“, erläutert die Forscherin.

Das Hydrometeorologische Institut kooperiert bei der Forschung mit Einrichtungen aus vielen anderen Ländern. Diese sind etwa Mitglied des Netzes der Internationalen Phänologischen Gärten. Drei dieser Gärten gibt es in Tschechien, einer direkt an Hájkovás Arbeitsplatz. Neben Geräten, die messen, wie viel Regen fällt oder wie hoch die Wolken stehen, wachsen dort einige Sträucher und Bäume. Auf den ersten Blick sehen sie unscheinbar aus, sind aber doch wichtig für die phänologische Forschung. Jedes Jahr würden sie etwa Blätter und Kätzchen der Birke nach Deutschland senden, wo diese untersucht würden, erläutert die Expertin. Und weiter:

„Wir speisen unsere Daten in die Internationale Phänologische Datenbank ein. Und wir sind auch ein Mitglied der Pan European Phenological Database. Einige europäische Länder laden dabei ihre Daten in eine gemeinsame Datenbank hoch. Und natürlich kooperieren wir mit unseren slowakischen Nachbarn.“

Auch international ist klar, dass der Klimawandel die Jahreszeiten der Tiere und Pflanzen verschiebt. Das schreibt der Weltklimarat in seinem neusten Bericht. In gemäßigten Regionen der Erde – in denen auch Tschechien liegt – würden phänologische Studien gut zeigen, wie Pflanzen und Tiere auf den Klimawandel reagieren. Und zwar mit vorgezogenen phänologischen Phasen im Frühjahr und etwas späteren im Herbst. Daraus ergebe sich eine längere Wachstumsphase.

Doch was lässt sich tun, um den phänologischen Druck auf die Pflanzen abzumildern?

„Das ist schwierig. Wir müssen als Gesellschaft anders anfangen. Wir müssen weniger Treibhausgase ausstoßen und nicht so viel konsumieren, denke ich. Wir müssen die Bedingungen für die Pflanzen durch unser Verhalten verändern.“

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Autor: Wiebke Pfohl
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