Gaukler, Filmemacher und Laienbühnen – Kultursommer in Tschechien

DJuggledy (Foto: MH_project, Offizielle Facebook-Seite des Festivals Za dveřmi)

Die Sommerzeit ist aus journalistischer Sicht häufig eine Saure-Gurken-Zeit. Für Tschechien gilt das in diesem Jahr jedoch weder auf politischer Ebene, noch in der Kultur. Eine künstlerische Veranstaltung folgt der anderen, viele gehen sogar parallel über die Bühne: ein Rückblick auf drei besonders interessante Festivals.

Jakub Vedral  (Foto: Archiv ART Prometheus)
„Straßenkunst hat das einzigartige Potenzial, öffentliche Räume zu beleben und sich zum Teil auch als Kitt des Großstadtlebens zu erweisen.“

Jakub Vedral sagt dies, der Direktor des internationalen Straßentheater-Festivals „Za dveřmi“, auf Deutsch etwa „Draußen vor der Tür“ in Prag. Im Juli fand es in der tschechischen Hauptstadt statt. Ein Teil des Prager Wenzelsplatzes verwandelte sich in einen ungewöhnlichen Treffpunkt mit einem bunt gemischten Publikum von Touristen, Einheimischen auf dem Heimweg von der Arbeit und Obdachlosen. Straßentheater hat in Tschechien allerdings keine lange Tradition. Und so ist auch das Multi-Genre-Festival „Za dveřmi“ eine der jüngsten Veranstaltungen in der Stadt an der Moldau: Es fand erst zum fünften Mal statt.

Auf dem Programm standen 18 Inszenierungen mit Künstlern aus der Tschechischen und der Slowakischen Republik sowie aus Deutschland, Frankreich, Italien, Japan und Polen. Zu den erfolgreichsten Vorstellungen gehörte die des deutschen Performers und Jongleurs Jan Manske alias DJuggledy. Obwohl er ein Globetrotter ist, war er zum ersten Mal in Prag. Über seine Eindrücke sagte Manske gegenüber den Inlandssendungen des Tschechischen Rundfunks:

Jan Manske alias DJuggledy  (Foto: MH_project,  Offizielle Facebook-Seite des Festivals Za dveřmi)
„Bei der Straßenkunst trifft man jedes Mal auf ein anderes Publikum. In Prag ist zu spüren, dass man es mit einem postsozialistischen Publikum zu tun hat. Meine Show basiert zum Großteil auf der Animation der Zuschauergruppe, bei der alle etwas gemeinsam tun sollen. In Prag hatten aber die Leute keine sonderlich große Lust dazu. Doch auch das ist interessant. Ich kann die Menschen zu nichts zwingen. Beim Straßentheater geht es eben nicht nur um die Tricks. Man muss einen Spielraum schaffen und das Publikum hineinziehen. Das bedeutet Arbeit mit den Menschen, wozu man auch Einfühlungsvermögen braucht.“

Ebenfalls gut beim Prager Straßenfestival angekommen ist die Präsentation von Manskes Landsmann Matthias Romir. Beide Performer nahmen auch am anschließenden Straßentheater-Festival „Živá ulice“ (Lebendige Straße) im westböhmischen Plzeň / Pilsen teil.

Viele Städte hierzulande warten indes auf eine derartige Belebung des öffentlichen Raums. Es fehle die Tradition, sagt Festivaldirektor Jakub Vedral. Dabei helfe die Kunst, dem Alltag zu entkommen. Und Straßentheater spreche auch Menschen an, die ansonsten nie ins Theater gehen würden oder schon lange nicht mehr dort waren. Dies sei aus der soziokultureller Sicht sehr wichtig, so Vedral.


Ein kleines Budget, kein Wettbewerb und keine Filmstars und Regisseure, die im Blitzlichtgewitter auf dem roten Teppich posieren, aber trotzdem eine große Resonanz beim Publikum. So ließe sich die „Sommerfilmschule“ von Uherské Hradiště / Ungarisch Hradisch in Kürze beschreiben. Rund 5000 meist junge Kinofans kamen zum 39. Jahrgang des Festivals in die südmährische Stadt. Im Mittelpunkt stand diesmal das portugiesische Kino, vertreten unter anderem durch den international bekannten Regisseur Pedro Costa. Insgesamt wurden ungefähr 180 Spielfilme und über 40 Kurzfilme gezeigt, präsentiert in mehreren Sektionen. Festival-Programmdirektorin Iva Hejlíčková bilanziert:

„Große Resonanz fanden die Filme in der Sektion ´Die goldene Ära Hollywoods´. Ich persönlich habe mich aber sehr darüber gefreut, dass auch die Filme, die den Nationalsozialismus dokumentieren sollen, viel Interesse erweckt haben. Besonders attraktiv für das Publikum waren indes die neuesten tschechischen Filme, aber auch Werke von unbekannten Regisseuren wie zum Beispiel Illmar Raag aus Estland. Sein Spielfilm über Mobbing in der Schule stieß auf so viel Interesse, dass es vor der Vorstellung im größten Kinosaal von Uherské Hradiště beinahe zu einer Rauferei um die Plätze gekommen wäre.“

Iva Hejlíčková  (Foto: ČT24)
Ein gewisses Risiko bedeutete die Filmreihe mit nationalsozialistischen Propagandawerken. Iva Hejlíčková erläutert, warum sie diese Reihe mit dem schlichten Titel „1933“ ins Programm aufgenommen hatte:

„Erstens sind 80 Jahre seit der Machtergreifung der Nazis in Deutschland vergangen. Vor allem aber war unser Leitmotiv die Krise, die Europa derzeit niederwalzt. Viele Menschen sind unzufrieden oder traurig, und nicht wenige haben Angst. Dies ist in gewissem Sinn mit der Lage in den 1930er Jahren zu vergleichen. Auch damals fühlten sich viele Menschen durch die Wirtschaftskrise in ihrer Existenz bedroht, und dann bot ihnen Hitler einfache Lösungen an. Er zeigte auf die angeblich Schuldigen, versprach eine Wirtschaftsbelebung und gewann die Wahlen. Jeder der für diese Reihe ausgewählten Filme ist eine Form der ideologischen Manipulation. Mein Wunsch war also, dass sich die Zuschauer, vor allem aber die jungen Menschen im Publikum, Folgendes bewusst machen: Auch etwas, was sehr unauffällig beginnt, kann fatal enden.“

„Jud Süß“
Gezeigt wurden Streifen wie „Jud Süß“, „Die große Liebe“, „Ohm Krüger“ oder der Dokumentarfilm „Triumph des Willens“ über den Reichsparteitag von Leni Riefenstahl. Doch dies erforderte eine intensive Planung:

„Selbstverständlich mussten wir uns die Filmkopien besorgen und darüber hinaus das deutsche Außenministerium um eine Genehmigung ersuchen. Gleichzeitig mussten wir garantieren, dass die Projektion dieser Filme von jeweils einem Vortrag beziehungsweise einer Podiumsdiskussion begleitet wird.“

„Schindlers Liste“
Die 39. Sommerfilmschule wurde im Übrigen mit dem Film „Schindlers Liste“ beendet, angereist war auch der Szenenbildner des Streifens, Allan Starski. Der weltweit anerkannte Oscar-Preisträger wurde in Uherské Hradiště mit dem Jahrespreis der „Assoziation der tschechischen Filmklubs“ bedacht. Starski hat nicht nur mit Steven Spielberg zusammengearbeitet, sondern zum Beispiel auch mit Roman Polanski und Andrzej Wajda.


Foto: Datenbank des tschechischen Laientheaters
Aus Uherské Hradiště nach Hronov. In der ostböhmischen Stadt fand zum 83. Mal die europaweit älteste Leistungsschau des Laientheaters statt, bekannt als „Jiráskův Hronov“. Ins Leben gerufen wurde sie 1931, ein Jahr nach dem Tod des dort geborenen Klassikers der tschechischen Literatur, Alois Jirásek. Seitdem trägt sie auch seinen Namen. Bei dem Festival werden jedes Jahr die besten Inszenierungen tschechischer Amateurtheater präsentiert. In Tschechien bestehen 1200 Laienbühnen mit rund 18.000 Mitwirkenden. Der Weg nach Hronov ist beschwerlich. Er führt über Ausscheidungen zunächst auf regionaler Ebene und dann auf Kreisebene, wobei die Jury nur die besten Ensembles für das gesamtstaatliche Treffen nominiert. In diesem Jahr waren es nach den letzten Ausscheidungsrunden 24 Theatergemeinschaften mit rund 1000 Beteiligten. Zudem stellten sich in Ostböhmen auch je ein Ensemble aus Finnland und der Slowakei vor.

Jan Krška  (rechts) und Martin Blažíček  (links). Foto: Hana Marhanová,  Archiv des Tschechischen Rundfunks
Zu den „Auserwählten“ gehörte auch der Theaterverein in der Kleinstadt Žďár nad Sázavou („Divadelní spolek Žďár“), der auf eine lange Tradition blicken kann. Jan Krška, Mitglied des Ensembles:

„Bei unserer Gründung haben wir an ein Kindertheater angeknüpft, das bei uns in den 1950er Jahren von meinem Onkel gegründet worden war. Viele junge Menschen kamen in unser Ensemble. Heute sind sie, mich eingeschlossen, schon im Rentenalter. Unser Ensemble hat derzeit rund 40 Mitglieder, aber es besteht eine hohe Fluktuation. Die meisten unserer Gymnasiasten verlassen nach dem Abitur die Stadt, um an einer Hochschule zu studieren, und nur wenige kehren zurück.“

„Hymna aneb Urfidlovačka“  (Foto: Vladimír Trmal,  Archiv des Theatervereins Žďár)
In Hronov präsentierte sich das Amateurensemble aus Žďár mit dem Stück „Hymna aneb Urfidlovačka“ aus dem Repertoire des populären Prager Profitheaters Jára Cimrman. Der Autor des Singspiels, Ladislav Smoljak, hat dort die Geschichte der tschechischen Hymne bearbeitet. Regisseur Martin Blažíček fühlte sich vor allem von dem Humor des Stücks angesprochen:

„Das war der Hauptgrund für die Wahl. Heutzutage gibt es wenig Humor im Leben. Smoljaks Humor finde ich intelligent, nicht anbiedernd, und die Zuschauer müssen auch ein bisschen nachdenken.“

Jirásek-Theater in Hronov  (Foto: Archiv Radio Prag)
An der Einstudierung des Singspiels wurde in Žďár ein ganzes Jahr gefeilt. Das öffnete dem Amateurtheater aus der Stadt letztlich das Tor zum diesjährigen Festival in Hronov.

„Für uns ist das ein historischer Erfolg. Seit der Neugründung unseres Theaters haben wir uns immer wieder darum bemüht, aber erst jetzt hat es geklappt. Wir betrachten dies als höchste Auszeichnung“, so Martin Blažíček.