Gedenken an 1968: Rundfunk zeigte Mut und Größe, Abgeordnete weit weniger
Der offizielle Gedenkakt zur Erinnerung an die Niederschlagung der Reformbewegung des Prager Frühlings fand wie immer vor dem Haupteingang des Tschechischen Rundfunks statt. Aus gutem Grund, denn der Rundfunk versuchte bis zuletzt, die Bevölkerung über die wahren Geschehnisse im Land aufzuklären, und rief dabei die Bürger wiederholt zu Besonnenheit und Vernunft auf. Nach den Kranzniederlegungen am Denkmal der Opfer der gewaltsamen Übergriffe sprachen mehrere führende Politiker des Landes zu den Teilnehmern des Gedenkaktes.
„Man werde vermutlich nicht mehr lange senden können, denn vor dem Rundfunk operiere bereits eine sowjetische Infanterieeinheit, die sicher schon bald das Gebäude besetzen werde. Im Namen aller Mitarbeiter des Rundfunks bitte er die Bevölkerung jedoch, ein Höchstmaß an Ruhe zu bewahren.“ Mit diesen Worten wandte sich der damalige Rundfunkredakteur und spätere Außenminister Jiří Dienstbier an die tschechoslowakische Bevölkerung.
In seiner Ansprache auf dem Gedenkakt würdigte der Generaldirektor des Tschechischen Rundfunks, Peter Duhan, die Kompetenz und Hingabe der damaligen Kollegen. Mit ihrem mutigen Einsatz hätten sie dafür gesorgt, dass im Land keine große Panik ausgebrochen ist und die Bevölkerung bis zur letzten Sendeminute umfassend über die aktuelle Lage informiert wurde, so Duhan.
Die Vorsitzende des tschechischen Abgeordnetenhauses, Miroslava Němcová, griff den von Duhan gesponnenen Faden auf und blickte ihrerseits zurück in die Arbeit ihrer Vorgänger, den Abgeordneten des sozialistischen Parlaments. Beim Durchforsten des Archivs sei sie auch auf das Protokoll der außerordentlichen Sitzung der Nationalversammlung von 18. Oktober 1968 gestoßen, bei der dessen Vorsitzender Josef Smrkovský zu Beginn verkündet habe:„Ich gebe bekannt, dass der einzige Punkt der heutigen Verhandlung der Vertrag zwischen der Regierung der ČSSR und der Regierung der UdSSR über die Bedingungen des vorübergehenden Aufenthalts der sowjetischen Streitkräfte auf dem Gebiet der Tschechoslowakischen Sozialistischen Republik ist.“
Mit dem Verlesen von Auszügen aus diesem Protokoll wurde den Anwesenden – darunter viele Augenzeugen von 1968 und Kämpfer für eine demokratische Tschechoslowakei – wieder vor Augen geführt, wie radikal und skrupellos die damalige Reformbewegung erstickt wurde. Entgegen dem Willen des Volkes stimmten die Gesetzesvertreter dem skandalösen Vertrag zu, doch unter dem Druck von Panzern und Gewehren sei eine freie Entscheidung so gut wie unmöglich gewesen. Dennoch habe es auch einige mutige Abgeordnete gegeben, so Němcová:„Von den 242 Abgeordneten der Nationalversammlung enthielten sich zehn Mutige der Stimme und vier noch Mutigere stimmten dagegen.“
Vor dem abschließenden Beifall der Anwesenden meinte Němcová, dass die Selbstauflösung ihres Hauses am Vortag kein Akt gewesen sei, der dem Parlament eines demokratischen Staates besonders gut zu Gesicht stehe. Im weiteren Verlauf des Gedenkaktes würdigten der scheidende Premier Jiří Rusnok und weitere Politiker all jene Bürger, die sich 1968 gegen die Okkupation ihrer Heimat gestellt hatten. Verbeugen wir uns vor denen, die sich nicht gebeugt haben, so die einhellige Meinung.