Gefährdete Feuchtgebiete – Tschechiens erste Rote Liste der bedrohten Biotope

Foto: Dáša Kubíková, Archiv des Tschechischen Rundfunks

Welchen Schaden der Mensch der Natur zufügt, das lässt sich auch in Tschechien sehen. Unzählige Biotope wurden hierzulande schon zerstört. Und viele weitere sind in Gefahr, wie aus der ersten Roten Liste bedrohter tschechischer Biotope hervorgeht, die ein großes Team an Wissenschaftlern und Naturschützern erstellt hat.

Wer wissen will, welche Biotope besonders gefährdet sind, kann zum Beispiel mit Michal Krátký einen Spaziergang machen. Der Naturschützer vom Verband „Sagittaria“ nimmt den Besucher mit an den Rand von Olomouc / Olmütz. Dort wo früher mal ein wertvolles Biotop war.

„Der Boden von Mooren zeichnet sich dadurch aus, dass er kohlenstoffreich und deswegen schwarz ist. Dadurch ist er aber auch besonders fruchtbar. Deswegen gehören Moore zu den stark bedrohten Biotopen. Schließlich versucht der Mensch immer, die fruchtbaren Böden für sich zu nutzen und hat viele Moore entwässert“, so Krátký.

Moor bei Olomouc-Černovír  (Foto: Archiv des Verbandes „Sagittaria“)

Das Moor bei Olmütz hieß einst Červenovírské slatiniště. Heute finden sich dort eine Plattenbausiedlung, eine Fabrik, ein Rangierbahnhof sowie die Haupteisenbahnverbindung nach Prag. Nur auf einer Wiese nahe den Schienen haben sich seltene Pflanzen und Tiere erhalten:

„Es gibt hier zum Beispiel die stark bedrohte Zottige Wolfsmilch. Und die gefluteten Polder werden im Frühling vom kritisch bedrohten Kammmolch genutzt und von der Rotbauchunke. Früher war das hiesige Moor der einzige Ort in Tschechien, an dem die Strauch-Birke wuchs. Sie verschwand Anfang des 20. Jahrhunderts, als das Moor trockengelegt wurde, um Trinkwasser zu gewinnen.“

Internationale Systematik

Milan Chytrý  (Foto: Tschechisches Fernsehen)

Welche Biotope hierzulande drohen zu verschwinden, zeigt erstmals auch eine Rote Liste. Die Bestände wurden von einem Team aus Wissenschaftlern und Naturschützern erhoben. Die Untersuchung geleitet hat der Biologe Milan Chytrý von der Masaryk-Universität in Brno / Brünn. Gegenüber Radio Prag International sagte er:

„Wir haben insgesamt 157 Biotope bewertet, die in einem entsprechenden Katalog für die Tschechische Republik aufgeführt sind. Anhand dieses Handbuchs wird ungefähr seit dem Jahr 2000 die Entwicklung dieser geschützten Lebensräume beobachtet. Wir haben die Biotope nun anhand einer internationalen Methode analysiert und festgestellt, dass rund die Hälfte von ihnen allgemein gefährdet ist. Sie gehören damit zu den Kategorien ‚akut bedroht‘, ‚bedroht‘ und ‚gefährdet‘.“

Foto: Jiricek72,  Pixabay / CC0

Akut bedroht oder bedroht sind demnach rund 29 Prozent der Biotope. Das träfe besonders auf jene Lebensräume zu, die vom Wasser abhängig seien, erläutert Chytrý weiter:

„Diese haben wir unterteilt zum einen in Moore, also Feuchtgebiete, in denen sich pflanzliche Reste ansammeln und charakteristische Biotope entstehen lassen. An zweiter Stelle sind dies Feuchtgebiete im engeren Sinn – also ohne die Moore. Vor allem handelt es sich dabei um unterschiedliche Typen von Sümpfen und Biotopen, die an Wasser der Umgebung gebunden sind. Und das dritte sind Wasserflächen als solche.“

Laut dem Biologen sind aber auch Biotope auf vielen Wiesen- und Weideflächen in Tschechien mittlerweile stark gefährdet. Weitere Lebensräume haben sich jedoch als stabiler erwiesen.

„Relativ weniger gefährdet sind die Wald-Biotope, obwohl es auch da einige bedrohte oder sogar akut bedrohte gibt. Am wenigsten in Gefahr sind die Biotope in Sträuchern oder an Felsen oder im Schutt – also mit steinigem Untergrund“, so Milan Chytrý.

Mäander  (Foto: Archiv des Tschechischen Rundfunks - Radio Prague International)

Bei den stark gefährdeten Feuchtgebieten in Tschechien spielt auch der Klimawandel eine Rolle. Aber am meisten ist die Versiegelung der Natur das Problem. Deswegen seien wasserhaltende Maßnahmen notwendig, fordert der Fachmann:

„Zum einen wurden die Wasserläufe reguliert, also begradigt. Es wäre gut, sie in Teilen zu revitalisieren, so dass Mäander entstehen und das Wasser nicht so schnell abfließt. Zum anderen müssten nicht so rentable landwirtschaftliche Nutzflächen so umgewandelt werden, dass es dort wieder Feuchtgebiete gibt.“

Anders sieht es bei den Wiesen- und Weideflächen aus. Dort müsse entweder regelmäßig gemäht werden, oder es sollten dort Tiere weiden, meint der Wissenschaftler. Letzteres sei allerdings schwer zu realisieren.

„Heute ist das an vielen Standorten nicht mehr rentabel. Das heißt, das müsste im Rahmen des Naturschutzes finanziell gefördert werden“, sagt Chytrý.

Viertes Land in Europa

Rote Liste der bedrohten Biotope in Tschechien  (Quelle: Ecological Indicators,  vol. 106: Red List of Habitats of the Czech Republic)

Zwei Jahre lang haben die Wissenschaftler und Naturschützer die Daten für die Rote Liste zusammengetragen. Zuvor hatte die staatliche Agentur für Natur- und Landschaftsschutz für das erwähnte Handbuch ermitteln lassen, wo überall im Land welche Lebensbereiche für Tiere und Pflanzen schützenswert sind. Später sei dann auch eine Systematik entstanden, um den Zustand von Biotopen international zu vergleichen, sagt Milan Chytrý:

„Erst 2013 wurde eine internationale Methodik für die Erstellung von Roten Listen für bedrohte Biotope veröffentlicht. Seitdem haben unterschiedliche Länder weltweit begonnen, solche Listen anhand dieser Vorgaben zu schreiben und herauszugeben. In Europa haben dies bisher die Schweiz, Norwegen und Finnland gemacht. Tschechien ist also der vierte Staat auf unserem Kontinent, der den Zustand all seiner schützenswerten Biotope nach der Methodik der Weltnaturschutzunion bewertet hat.“

Foto: Archiv des Tschechischen Rundfunks - Radio Prague International

Interessant wird sicher, in einigen Jahren die Entwicklung erneut zu beurteilen. Ohnehin schreibt die Europäische Union jedem Mitgliedsland vor, alle sechs Jahre einen Bericht anzufertigen über den Zustand seiner Biotope.

„Dadurch gelangen wir an neue Daten. Und daher denke ich, dass es Sinn haben würde, nach zehn Jahren eine neue Rote Liste zu erstellen“, findet der Biologe aus Brünn.

Damit da nicht alles noch roter wird, müssen wohl dringend viele der ohnehin geplanten wasserhaltenden Maßnahmen umgesetzt werden. In diesem Jahr stehen dafür hierzulande zwei Milliarden Kronen (74 Millionen Euro) zur Verfügung. Weil Tschechien ganz besonders von der anhaltenden Dürre der vergangenen Jahre betroffen ist, hat die Politik mittlerweile sogar eine „Nationale Koalition gegen die Trockenheit“ gebildet.