Gefängnis für Pazifisten: Kriegsdienstverweigerer im Kommunismus

Säbelrasseln und mit Hurra ins Gefecht – das war in den vergangenen 140 Jahren nicht gerade die Sache der Tschechen. Dennoch zogen auch sie während dieser Zeit in den Krieg – wohl oder übel. Im Ersten Weltkrieg zwang sie dazu die Habsburger Monarchie und im Zweiten Weltkrieg der Widerstand gegen Nazi-Deutschland. Die stärkste Militarisierung erfuhr die tschechische oder besser tschechoslowakische Gesellschaft allerdings erst danach – während des Kommunismus, ausgerechnet in der Friedenszeit. Doch auch damals gab es jene, die da nicht mitmachen wollten. Das Regime verfolgte Kriegsdienstverweigerer jedoch entschieden.

Selbst Václav Havel dürfte Schießübungen absolviert haben, er gehörte damals im Kommunismus nicht zu den Kriegsdienstverweigerern. Dafür brauchte es großen Mut und eine ausgesprochen feste Überzeugung - wie bei Ladislav Kirilenko:

„Ich bin Zeuge Jehovas. Für uns ist die Bibel sehr wichtig. Dort steht bei Jesaja im zweiten Kapitel, vierter Vers: Es wird kein Volk wider das andere ein Schwert aufheben und werden nicht mehr kriegen lernen.“

Seinen ersten Einberufungsbescheid hält Ladislav Kirilenko 1980 in den Händen. Auf dem Kreiswehramt sagt er jedoch, dass er aus Glaubensgründen nicht einrücken werde. Damals ist er bereits 29 Jahre alt, zuvor wurde er aus gesundheitlichen Gründen mehrfach zurückgestellt. Kirilenko erhält eine Woche Bedenkzeit, doch schon am nächsten Tag geht er erneut aufs Kreiswehramt: Er werde seine Meinung nicht ändern. Nächster Aufzug: das Militärgericht im mährischen Brno / Brünn. Hier argumentiert er aber nicht mit der Bibel.

„Ich habe mich damals auf die Verfassung berufen. Dort stand, dass man gerade aus Glaubensgründen den Wehrdienst verweigern kann.“

Foto: Filip Jandourek,  Archiv des Tschechischen Rundfunks
Zudem hatte die Tschechoslowakei - wie weitere Warschauer-Pakt-Staaten - 1975 die Helsinki-Schlussakte unterschrieben. Kirilenko beharrt auch aus diesem Grund auf der Gewissensfreiheit.

„Der Richter hörte sich das an, alles wurde notiert, und dennoch erhielt ich zwei Jahre Haft ohne Bewährung“, so Kirilenko.

Auch das Berufungsverfahren endet nicht zugunsten von Ladislav Kirilenko. Zwei Jahre verbringt er deswegen in einem Gefängnis bei Žatec / Saaz in Westböhmen. Ein Jahr nach der ersten Haft wiederholt sich das ganze Spiel. Kirilenko kommt sogar in genau dieselbe Zelle, in der er bereits zuvor war. Doch dauert dieser Aufenthalt hinter Gittern drei Jahre.

Ladislav Kirilenko ist der typische Fall jener Wenigen, die dem Regime in Sachen Armee die Stirn boten. Mehr als einige Hundert waren es in den gesamten vier Jahrzehnten nicht. Vor allem sind es die Angehörigen kleinerer Religionsgemeinschaften. Fünf Jahre Gefängnis für Totalverweigerer wie bei Kirilenko gehörten dabei noch zum Durchschnitt, in manchen Fällen waren es sogar zehn. Die Praxis in der Tschechoslowakei war nicht nur im Vergleich zum Westen besonders hart. In Rumänien, Ungarn und Polen wurden religiöse Gründe für die Verweigerung anerkannt – nicht immer, aber immerhin. Und in der Deutschen Demokratischen Republik wurden 1962 die so genannten Bausoldaten geschaffen, eine Art Zivildienst auf dem Bau. Petr Blažek ist Historiker am Prager Institut für Zeitgeschichte der Akademie der Wissenschaften und Herausgeber eines wissenschaftlichen Sammelbandes zum Thema Kriegsdienstverweigerung im Kommunismus:

Petr Blažek
„Im Unterschied zur DDR gab es in der Tschechoslowakei nie die Möglichkeit, als so genannter Bausoldat einen Dienst komplett ohne Waffe abzuleisten. Hier gab es nur einen Ersatzwehrdienst, der auch eine fünfmonatige Grundausbildung an der Waffe vorsah, auch wenn man die restliche Zeit in einem Industriebetrieb zubringen konnte.“

Dieser Ersatzwehrdienst war eigentlich nur bestimmten privilegierten Gruppen vorbehalten: Vätern kinderreicher Familien, Funktionärssöhnchen und landwirtschaftlichen Arbeitern. Es gab aber auch Ausnahmen. Jan Hrabina zum Beispiel, einer der Signatare der Charta 77.

Im Kreiswehramt ist bekannt, dass aus Hrabina kein Soldat zu machen ist. Er tritt also den Ersatzwehrdienst an und arbeitet zuerst 19 Monate im Prager Maschinenbauwerk ČKD. Dann soll er noch fünf Monate Grundausbildung an der Waffe leisten. Er bittet darum, auch den Rest in einem Betrieb verbringen zu können. In seiner Begründung argumentiert er mit den öffentlichen Friedensbekenntnissen der kommunistischen Machthaber:

„In Wien haben sich bereits zum 26. Mal die Vertreter vieler Staaten getroffen, um über die Verkleinerung der Truppen in Mitteleuropa zu verhandeln – bisher ohne sichtbares Ergebnis. Ich bin überzeugt, dass zur Formung wirklichen Friedens zwischen den Völkern nicht nur diplomatische Gespräche genügen, sondern auch der persönliche Einsatz jener hinzukommen muss, die im Wehrdienst als solchem die Vorbereitung eines Krieges sehen.“

Hrabina regt an, einen Dienst ohne Waffe auch in der Tschechoslowakei zu schaffen. Dies greift auch die Tschechoslowakische Liga für Menschenrechte in ihrem Jahresbericht auf. Jan Hrabina wird zudem von Amnesty International als politischer Gefangener adoptiert. Doch helfen kann auch das nichts. Der Verweigerer sitzt zwei Jahre im Gefängnis. 1984, einige Monate nach seiner Entlassung aus der Haft, meldet sich erneut das Kreiswehramt. Das jedoch ist für Hrabina zu viel.

„Ich hatte nicht den Mut, mich zum zweiten Mal wegschließen zu lassen. Das wären wohl vier bis fünf Jahre Gefängnis gewesen. Als ich also einen erneuten Einberufungsbefehl zu dem fünfmonatigen Dienst bekam, bin ich hingegangen“, sagt der heute 54-Jährige.

Für Hrabina, Kirilenko und weitere Verweigerer war der Leidensweg mit der Wende von 1989 nicht zu Ende. Sie wollten rehabilitiert werden und gingen vor Gericht. Doch auf Verständnis trafen sie selten, auch weil dort teils dieselben Leute saßen, die zuvor Kriegsdienstverweigerer ins Gefängnis geschickt hatten. Die Gerichte nahmen dann zwar die Strafe als solches zurück, doch die Schuld ließen sie bestehen.

„Wir hatten das Gefühl, dass wir uns damals aber nicht schuldig gemacht haben. Denn unsere Verweigerung stimmte mit den damaligen Gesetzen überein“, spricht Ladislav Kirilenko vor allem für seine Mitbrüder bei den Zeugen Jehovas.

Aber anderen ging es genauso. Allein im vergangenen Jahr entschied daher der Oberste tschechische Gerichtshof in 26 Fällen, dass die Rehabilitierung nicht vollständig erfolgt war.

„Bei mir zieht sich das Gerichtsverfahren bis heute hin, es ist auch nach 18 Jahren noch nicht gelöst“, erläutert Kirilenko.

Kriegsdienstverweigerung ist also selbst noch 2008 ein heißes Thema, obwohl vor drei Jahren die letzten Rekruten eingezogen wurden – denn Tschechien hat heute nur noch eine Berufsarmee.