Gemeinden in Tschechien kämpfen um den Erhalt ihrer Dorfläden

Das Gemeindeamt in Janoušov, wo sich auch das örtliche Geschäft befindet

Aus historischen Gründen ist Tschechien ein Land der kleinen Dörfer. Die absolute Mehrheit der Gemeinden hierzulande hat weniger als 500 Einwohner. Und diese quält ein gemeinsames Problem: dass es dort immer weniger öffentliche Dienstleistungen gibt, von der Bücherei, über den Frisör bis zum einfachen Dorfladen. Gerade für den Erhalt wenigstens der Einkaufsmöglichkeit haben die Gemeinden unterschiedliche Konzepte.

Marie Hédlová | Foto: Jana Beránková,  Tschechischer Rundfunk

Marie Hédlová ist Inhaberin des Dorfladens in der Gemeinde Janoušov / Janauschendorf nordöstlich von Šumperk / Mährisch Schönberg:

„Ich komme gerne in den Ort und bemühe mich, alles Nötige im Angebot zu haben“, sagt die Unternehmerin, die noch in anderen Gemeinden der Umgebung weitere Läden führt.

Dreimal in der Woche öffnet Hédlová das Geschäft in Janoušov. Es handelt sich um eine der kleinsten Gemeinden in Tschechien, nur 43 Einwohner leben hier. Und die sind froh um die Einkaufsmöglichkeit…

„Wir kaufen hier alles ein: Gemüse, Milchprodukte, Fisch, Mehl und für meinen Mann auch Bier“, sagt Frau Uherková.

Foto: Andrea Brtníková,  Tschechischer Rundfunk

Dabei ist der betrieb für die Ladeninhaberin ein Zuschussgeschäft. Und alle Waren muss sie dazu auch noch selbst heranschaffen. Deswegen spielte sie mit dem Gedanken, ihren „Tante-Emma-Laden“ zu schließen. Zugleich stellte sie aber einen Antrag auf einen Förderbeitrag des Kreises Olomouc / Olmütz. Und der wurde positiv beschieden…

„Aktuell sind die Zeiten für den Betrieb schwer. Aber jetzt sehe ich, dass ich dem Druck wohl standhalten kann. Es scheint, dass ich die Förderung erhalte. Am 30. Januar habe ich einen Brief bekommen, in dem stand, dass meinem Antrag zugestimmt wurde. Allerdings muss ich nun noch einige Nachweise erbringen, aber ich hoffe, dass das klappt. Und dann bekäme ich einmalig 130.000 Kronen (knapp 5500 Euro, Anm. d. Red.) als Jahresbeitrag“, sagt Hédlová.

Auch das Rathaus hilft bei der Finanzierung des Dorfladens. Denn diesem werden kostenfrei Räume im Gemeindeamt zur Verfügung gestellt. Jan Kubíček (parteilos) ist Bürgermeister von Janoušov:

„Der Laden hat für uns Priorität, deswegen braucht es diese Art der Kooperation. Aus eigenen Mitteln ließe sich das Geschäft nicht weiterbetreiben. Dass Frau Hédlová weiterhin hier ist, verdanken wir ihrem Wohlwollen. Wir von unserer Seite versuchen, ihren Bedürfnissen entgegenzukommen.“

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Landesweites Förderprogramm

Für die Förderung des Dorfladens in Janoušov ist zwar der Kreis Olmütz zuständig, aber das Geld dafür erhält er rückwirkend aus einem landesweiten Programm. Dieses wurde 2021 vom Industrie- und Handelsministerium aufgelegt und nennt sich „Obchůdek 2021+“ (Lädchen 2021+). Damit werden die Krämerläden in Gemeinden mit bis zu 1000 Einwohnern gefördert. Das Programm läuft vorerst bis 2025. Minister Jozef Síkela (parteilos) sagte aber vergangene Woche bei der Konferenz „Leben in den Gemeinden“ im ostböhmischen Pardubice / Pardubitz, dass er innerhalb der Regierungskoalition eine Verlängerung bis 2030 erreichen wolle.

Regional- und Lokalpolitiker halten die Förderung für essentiell. Jan Ryba ist Vorsitzender der lokalen Selbstverwaltungseinheiten im Kreis Karlovy Vary / Karlsbad:

„Das ist natürlich auch von der Größe der Gemeinde abhängig. Es macht einen großen Unterschied, ob man einen Laden in einem Dorf mit 300 Einwohnern erhalten will, aus dem die Menschen meist für die Arbeit anderswohin fahren und dort auch einkaufen, oder in einem Ort mit 1000 Einwohnern. Dort liegt die Kaufkraft bereits höher. Aber in den kleinen Gemeinden lassen sich die Läden sicher nicht ohne Förderung halten.“

Dieses Problem besteht sicher auch in Deutschland. Doch die Siedlungsstruktur in Tschechien ist viel kleinteiliger. Die durchschnittliche Größe einer Gemeinde hierzulande liegt bei rund 1600 Einwohnern. Und in etwa 60 Prozent der Gemeinden leben noch nicht einmal 500 Menschen.

Foto: Václav Plecháček,  Tschechischer Rundfunk

Aus unterschiedlichen Gründen rechnet sich der Betrieb von Dorfläden in Tschechien immer weniger. So verschwanden innerhalb der vergangenen zehn Jahre in den Gemeinden bis 200 Einwohner rund 20 Prozent der Krämerläden, in der nächsten Kategorie bis 400 Einwohner gingen 10 Prozent der Geschäfte verloren. Dabei könne auch der größte Supermarkt in der nächsten Bezirksstadt die Händler nicht ersetzen, betont Ryba.

„Der Lebensmittelladen hat in kleinen Gemeinden auch eine wichtige soziale Funktion. Die Menschen kommen dort zusammen und unterhalten sich über alles Mögliche. Es geht also nicht nur darum, irgendwo schnell noch hingehen zu können, wenn etwas zu Hause fehlt, sondern auch um die Tradition der Dorfläden – vor allem wenn schon die Kneipe oder das Postamt zugemacht haben. Zudem altert die Bevölkerung auf dem Land, und diese Menschen sind froh um ein Geschäft in der Nähe“, so der Verbandsvorsitzende.

Foto: Václav Plecháček,  Tschechischer Rundfunk

Allerdings zweifelt Jan Ryba daran, dass sich auf längere Sicht die Dorfläden durch Bezuschussung erhalten lassen:

„Man kann schwer jemandem vorschreiben, wo er einkaufen gehen soll. Und wenn er auf dem Heimweg von der Arbeit die Möglichkeit hat, unter einem Dach einen Großeinkauf zu machen – na dann weiß ich auch nicht mehr…“

Bürgermeister hinter der Ladenkasse

Foto: Václav Plecháček,  Tschechischer Rundfunk
Vielen kleinen Gemeinden ist aber ein gewisses Dienstleistungsangebot weiterhin sehr wichtig. Und sie suchen nach unterschiedlichen Lösungen. Das kann die Stärkung des regionalen Sortiments sein – oder auch ein multifunktionales Dorfzentrum. Genau das gibt es in der Gemeinde Skočice nahe Vodňany / Wodnian in Südböhmen. Bürgermeister Jan Šídlo (Christdemokraten) trifft man dort höchstpersönlich an.

„Wenn jemand wegen der Post hierherkommt, gehe ich in den Postbereich, und wenn jemand etwas einkaufen will, dann gehe ich in den Ladenteil“, sagt der Lokalpolitiker.

Vor zweieinhalb Jahren entschloss sich die Gemeinde, alle Dienstleistungen selbst in die Hand zu nehmen. Als die frühere Ladenbetreiberin weggegangen war, fand man keine Nachfolge in dem Ort mit etwas mehr als 200 Einwohnern.

„Wir haben damals entschieden, es selbst zu versuchen. Dafür haben wir den gemeinnützigen Verein ‚Dienstleistungen Skočice‘ gegründet. Dieser betreibt den Laden, die Post und die hiesige Kneipe. Der Grund ist, dass es in der Gemeinde auch etwas Leben geben soll, ansonsten verkommt sie zu einer Schlafburg. Die Menschen sollen ein Grundangebot haben, selbst wenn der Laden nicht mit dem Sortiment eines Supermarktes mithalten kann. Und die Anwohner wissen, wo sie den Bürgermeister finden – auch außerhalb der Amtszeiten. Sie können eben auch im Laden nachfragen. Deshalb haben wir hier alles kombiniert“, so Šídlo.

Foto: Václav Plecháček,  Tschechischer Rundfunk

Man könnte meinen, dass Jan Šídlo mit seinen drei Funktionen zusammen schon genug zu tun hat. Doch dem ist längst nicht so:

„Neben meiner Aufgabe als Bürgermeister, Postbeamter und Ladenbetreiber arbeite ich noch beim Schreibartikelhersteller Koh-i-Noor – und zwar zu 40 Prozent. Ich versuche eben, alles unter einen Hut zu bringen.“

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Dorfladenboxen für den späten Kauf

Dorfladenboxen in Přívrat | Foto: Gemeinde Přívrat

Ein weiterer Trend zur Rettung der Dorfläden ist zumindest in Tschechien relativ jung.
„Wir haben hier zwei Kühlboxen. Das heißt, wir können auch Tiefkühlprodukte anbieten“, sagt Jan Stránský (parteilos).

Er ist Bürgermeister der Gemeinde Přívrat / Pschiwrat in Ostböhmen. Für die rund 350 Einwohner des Dorfes bei Česká Třebová / Böhmisch Trübau gibt es seit ein paar Tagen sieben sogenannte Dorfladenboxen. Damit hat das örtliche Geschäft praktisch einen 24-Stunden-Betrieb. Zu den normalen Öffnungszeiten steht Kateřina Lorencová als Ladeninhaberin an der Kasse. Und sie bedient auch die Boxen:

„Die Kunden schicken entweder eine SMS mit ihrer Bestellung, oder sie rufen auf der Dienstnummer an. Ich bereite die Waren dann vor und lege sie in die Boxen. Dann erhalten die Kunden eine Bestätigungs-SMS mit einem PIN-Code. Diesen geben sie in das Display an der jeweiligen Box ein, nachdem sie am Bezahlautomaten die Rechnung beglichen haben. Dann öffnet sich die Tür der Box.“

Die sieben Boxen haben zusammen rund 250.000 Kronen (10.560 Euro) gekostet. Diese Investition sei jedoch wichtig gewesen, betont Bürgermeister Stránský:

„Wir versuchen den Dorfladen mit allen Mitteln zu erhalten und haben überlegt, wie wir das Angebot ausweiten können. Dabei kam uns der Gedanke, dass jene Leute, die bis abends arbeiten, aber unseren Laden unterstützen wollen, es meist nicht mehr rechtzeitig hierher schaffen. Wenn ihnen also auf der Arbeit in den Sinn kommt, dass sie noch etwas brauchen, können sie dies auf dem Heimweg in den Boxen abholen.“

Foto: Lucie Suchánková Hochmanová,  Tschechischer Rundfunk

Der Kreis Pardubice fördert als erster in Tschechien das Aufstellen solcher Dorfladenautomaten. Miloš Krčil (parteilos) ist im Kreisamt zuständig für den ländlichen Bereich:

„Der Ausbau gerade solch hybrider Dienstleistungsangebote ist sicher einer der Wege in die Zukunft. Die Ausgabe-Boxen in Přívrat sind eines unserer beiden Pilotprojekte. Das andere läuft in der Gemeinde Bítovany. Dort ist der Laden komplett hybrid. Beide Konzepte halten wir für interessant für die Zukunft.“

Solche Dorfladenboxen sind auch im Sinn des landesweiten Förderprogrammes, wie Industrie- und Handelsminister Síkela bei der Konferenz in Pardubice in der vergangenen Woche betonte. Im Übrigen unterstützt das dortige Kreisamt bereits seit 2009 den Erhalt der Geschäfte in den kleinen Gemeinden.

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Autoren: Till Janzer , Kristýna Barchini , Jana Beránková , Barbora Soukupová
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