Roaming und Lebensmittelqualität: Womit Tschechien im EU-Parlament punkten konnte
Tschechien feiert in diesem Jahr 20 Jahre EU-Mitgliedschaft. Als das Land beitrat, hatten manche Bewohner Zweifel, ob die tschechische Stimme unter all den anderen überhaupt Gehör finden würde. Mit 20 Jahren Abstand kann allerdings festgestellt werden, dass die Tschechen mitunter sogar zum Hauptakteur wurden bei Entscheidungen, die sich dann auf ganz Europa auswirkten. Wir blicken auf die wichtigsten Themen zurück, und das im Gespräch mit Viktor Daňek, dem Leiter des Instituts für Europapolitik, Europeum.
Gehen wir zunächst zurück ins Jahr 2017, als in Europa die Roaming-Gebühren abgeschafft wurden. Seitdem zahlen wir in allen EU-Staaten den gleichen Preis für Telefongespräche, SMS und Internetdaten. Dies ist eines der bekanntesten Beispiele dafür, wie in der Union Barrieren auf dem gemeinsamen Markt abgebaut werden. Kaum jemand weiß heute aber noch, dass die Tschechen daran einen großen Anteil hatten.
Engagiert hatten sich zwei Abgeordnete. Ursprünglich waren Sie über die Liste von Ano ins Europaparlament gekommen, aber später trennten sie sich von der Partei trennten: Dita Charanzová und Pavel Telička. Mit dem Thema hatten beide 2014 auch Wahlkampf betrieben, sie wurden zu wichtigen Befürwortern einer Reform. Der Weg zur Abschaffung der Roaming-Gebühren war schwierig. Es waren aber gerade die EU-Abgeordneten, die dies gemeinsam mit der Europäischen Kommission durchsetzten – und sogar gegen die ablehnende Haltung der EU-Mitgliedsstaaten. Pavel Telička warnte damals davor, dass ein Kompromiss unangebracht sei:
„Was auch immer das Parlament tut, wie auch immer sich die EU also auf dem digitalen Markt verhält – die Vertrauenswürdigkeit würde in gewisser Weise untergraben, wenn wir beim Thema Roaming nur den halben Weg gehen. Dies ist ein Thema, bei dem es – zu Recht oder auch zu Unrecht – große Erwartungen gibt, die von den Institutionen der Europäischen Union selbst geweckt wurden.“
Die Idee, die Preise für den Mobilfunks im EU-Ausland zu senken, kam aber nicht von den Tschechen. Schon seit 2007 gab es einen sogenannten Eurotarif. Seine Preise lagen allerdings immer noch wesentlich höher als in den jeweiligen Ländern. Das galt vor allem bei der Nutzung von Daten. Darum folgten weitere Versuche, das Roaming komplett zu verbieten. Und die waren dann letztlich auch erfolgreich.
Es gibt zwei weitere Beispiele aus der europäischen Gesetzgebung, als Tschechien die anderen Mitgliedsländer von etwas überzeugen konnten, das vorher noch niemand hatte durchsetzen wollen. Das bekanntere von beiden ist wohl der Kampf gegen die doppelten Standards bei der Qualität von Lebensmittel. Die Tschechen haben als erste darauf aufmerksam gemacht, dass Produkte mit einem identischen Etikett in verschiedenen EU-Ländern eine unterschiedliche Zusammensetzung hatten. Dies ist der Verdienst der EU-Kommissarin für Verbraucherschutz, Věra Jourová, ebenfalls aus der Partei Ano, sowie der Europaabgeordneten Olga Sehnalová von den tschechischen Sozialdemokraten. Sie überzeugten ihre Kollegen in Brüssel, dass es da ein Problem gibt. Eine Lösung versprach der damalige Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker. 2017 sagte er in seiner jährlichen Rede vor den Parlamentariern:
„In einer Union der Gleichberechtigten kann es auch keine Verbraucher zweiter Klasse geben. Ich kann nicht akzeptieren, dass den Menschen in manchen Teilen Europas, vornehmlich in Mittel- und Osteuropa, qualitativ schlechtere Lebensmittel verkauft werden als in anderen, obwohl Verpackung und Markenkennbezeichnung identisch sind. Slowaken haben nicht weniger Fisch in Fischstäbchen verdient, Ungarn nicht weniger Fleisch in Fleischgerichten oder Tschechen nicht weniger Kakao in der Schokolade. Das EU-Recht verbietet solche Praktiken schon jetzt. Und nun müssen wir die nationalen Behörden mit umfassenderen Befugnissen ausstatten, sodass diese flächendeckend gegen diese, ja, illegalen Praktiken vorgehen können.“
Und es gelang: Der Verkauf von identischen Produkten mit unterschiedlicher Zusammensetzung wurde zu einer illegalen Handelspraxis erklärt. Dafür gibt es hohe Geldstrafen. Paradoxerweise erntete die EU in Tschechien dafür aber kein Lob, sondern Kritik. In die Gesetzgebung wurden nämlich Ausnahmen aufgenommen. Dadurch sind unterschiedliche Inhaltsstoffe erlaubt – etwa bei der Verarbeitung lokaler Zutaten. Im Wahlkampf bezeichneten die tschechischen Regierungspolitiker dies als „Legalisierung von zweierlei Qualität“.
Das zweite Beispiel stammt auch aus den Reihen der Partei Ano, nämlich aus der Feder des damaligen Finanzministers Andrej Babiš. Zur Bekämpfung von Steuerbetrug führte er die sogenannte reverse charge ein. Dies war eine neue Form der Mehrwertsteuer, die Hinterziehungen eindämmen sollte. Tschechien führte dafür sehr harte Verhandlungen. Dabei wandte man sogar eine Taktik an, bei der das Einstimmigkeitsprinzip missbraucht und anstehende Gesetzesinitiativen auf anderen Gebieten blockiert wurden. Am Ende nahm die EU die Möglichkeit der Reverse Charge, also der Steuerschuldumkehr, ins Gesetz auf – so wie von Tschechien gefordert. Paradoxerweise führte Alena Schillerová, die Amtsnachfolgerin von Babiš, das Modell letztlich nicht ein. Es blieb nur auf dem Papier bestehen.
Eine sichtbare Spur hat Tschechien auch in vielen Gesetzesinitiativen der letzten Zeit hinterlassen. Dies hängt auch mit der EU-Ratspräsidentschaft zusammen, die Tschechien in der zweiten Jahreshälfte 2022 innehatte. Das Land, das gerade den Vorsitz im Europäischen Rat ausübt, darf seinen nationalen Interessen allerdings keinen Vorrang einräumen. Es muss unparteiisch verhandeln. Dennoch ließ Tschechien seine Prioritäten einfließen. So etwa in das Notpaket gegen die hohen Energiepreise. Oder in die Klimagesetze hinsichtlich des sogenannten Verbots von Verbrennungsmotoren: Die tschechischen Diplomaten brachten dort die potentielle Nutzung von synthetischen Kraftstoffen ein. Zudem setzten sie durch, dass nach zwei Jahren das Reformtempo überprüft wird. Die Erfahrungen bleiben für Tschechien aber auch nach Beendigung der EU-Ratspräsidentschaft wertvoll. Dies zeigte sich etwa bei den Verhandlungen zur Emissionsnorm Euro 7. Dabei brachte die tschechische Regierung eine Koalition zusammen, die sich für weniger strenge Vorgaben einsetzte. Und diese war letztlich erfolgreich. Eine Rolle spielte dabei auch, dass sich Tschechien durch seine Ratspräsidentschaft viel Respekt verdient hat.
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