Gemeinnützige Organisationen in Tschechien
Seit einigen Jahren ist nicht nur in Westeuropa oder den Vereinigten Staaten ein neuer Trend zu verzeichnen. Wichtige Aufgaben, die bis dahin von staatlichen Stellen wahrgenommen wurden, werden immer öfter an gemeinnützige und Freiwilligen-Vereine überführt. Es gibt mittlerwiele sogar Bereiche, die ohne die Hilfe von diesen nicht staatlichen Institutionen kaum mehr auskommen würden. Wie es um die Stellung und Arbeit von gemeinnützigen Vereinigungen in Tschechien bestellt ist, das erfahren sie nun von Robert Schuster in einer weiteren Folge unserer Sendereihe Schauplatz.
Auf das Engagement von Freiwilligen sind insbesondere die zahlreichen s.g. "Nonprofit Organisations" - d.h. nicht auf Gewinn ausgerichteten Vereinigungen -angewiesen. Sie bilden mit ihren Tätigkeiten und auf Grund ihrer Organisation innerhalb der Gesellschaft quasi eine Art dritte Säule neben den staatlichen Stellen und dem Unternehmenssektor. Die Aufgabe der "Nonprofit Organisations" ist es somit, all jene Bereiche abzudecken, für die dem Staat entweder die Mittel und das Personal fehlen oder die für auf einen möglichst großen Gewinn ausgerichtete Unternehmer wenig attraktiv sind. Auch in Tschechien gibt es groben Schätzungen zu Folge mittlerweile bereits mehrere Zehntausende von diesen Vereinigungen. Die genaue Zahl lässt sich jedoch nicht genau feststellen, wie Marek edivý vom Prager Informationszentrum der gemeinnützigen und nicht gewinn-orientieren Organisationen (ICN) gegenüber Radio Prag erläutert:
"Eine Sache, welche immer jegliche Zahlen stark relativiert ist die, dass eine gemeinnützige Organisation vom Gesetz her verpflichtet ist, ihre Gründung registrieren zu lassen. Andersrum funktioniert das aber leider nicht. Wenn sie also keine Tätigkeit mehr ausübt und faktisch zu existieren aufhört, dann muß sie das nirgendwo verkünden. Gegenwärtig sind in Tschechien offiziell etwa rund 45 000 gemeinnützige Vereinigungen registriert. Ich schätze aber, daß es da eine beträchtliche Dunkelziffer gibt und dass man insgesamt von etwa 60 000 solchen Organisationen ausgehen kann."
Diese relativ großen Zahlen zeugen heute von einer einigermaßen intakten Bürgergesellschaft in Tschechien. Das war aber nicht immer so. Vor allem vor 1989 war jegliche, vom Staat und dessen Kontrollmechanismen unabhängige Tätigkeit stark eingeschränkt. Es gab zwar natürlich auch damals gemeinnützige Vereinigungen, diese standen jedoch unter der Aufsicht der kommunistisch dominierten Nationalen Front. Somit waren auch gleichzeitig die Grenzen für die Arbeit im kulturellen Bereich oder bei der Jugend ziemlich klar gezogen. Dabei waren vor dem zweiten Weltkrieg gerade in der damaligen Tschechoslowakei gemeinnützige und nicht auf Gewinn ausgerichtete Vereinigungen sehr verbreitet und bildeten ein dichtes Netz von Institutionen, die auch große gesellschaftliche Brüche zu überwinden halfen, welche z.B. Anfang der dreißiger Jahre, als Folge der Weltwirtschaftskrise, die Gesellschaft heimsuchten. Was unter heutigen Maßstäben als Freiwilligenarbeit bezeichnet würde, galt damals schlicht als Philantropie. Es war eben allgemein üblich, dass nicht nur die höheren gesellschaftlichen Schichten, sondern insbesondere der Mittelstand regelmäßig entweder aktiv oder passiv zu diesen Aktivitäten beitrug.
Gerade der fehlende oder immer noch sehr schwach entwickelte tschechische Mittelstand ist es, der den Aktiven aus dem gemeinnützigen Sektor, wie Marek Sedivý, heute die meisten Sorgen bereitet. Sedivýs Informationszentrum versucht schon seit einigen Jahren als eine Art Börse für den gemeinnützigen Sektor zu funktionieren, wo Interessierte Informationen und Erfahrungen austauschen können. In vielen Fällen ist das Prager ICN, welches mittlerweile auch einige Zweigstellen in den tschechischen Regionen errichtete, auch erster Ansprechpartner und Ratgeber im Zusammenhang mit gemeinnützigen Vereinigungen. Laut edivý fehle es vielen von diesen Institutionen nicht etwa an guten Ideen und Projekten, sondern an den notwendigen Geldquellen im Lande - nicht zuletzt, weil immer noch, wie es Marek edivý gegenüber Radio Prag bezeichnet, eine Art Kultur des Spendens fehle. Gerade in dieser Hinsicht kam unmittelbar nach der Wende den zahlreichen neu gegründeten gemeinnützigen Organisationen jene finanzielle Unterstützung zu Gute, die von etablierten ausländischen Stiftungen kam, wie sich edivý im Rückblick erinnert:
"Ein großes Verdienst an der Entwicklung des gemeinnützigen Sektors hatten vor allem amerikanische Stiftungen. Das war nach 1989 die Hauptquelle, aus der das meiste Geld in die damalige Tschechoslowakei gekommen ist. Zu erwähnen sind aber auch Stiftungen aus Deutschland - insbesondere die Robert-Bosch-Stiftung. Bei diesen Vereinigungen gab es damals sogar spezielle Fonds zur Unterstützung der neuen Demokratien aus Ost- und Mitteleuropa. Das war für uns alle enorm hilfreich - aber nicht nur des Geldes wegen. Sie brachten uns eigentlich die wichtigsten Prinzipien bei, welche für das Überleben jeder gemeinnützigen, von Spenden abhängigen Vereinigung von äußerster Wichtigkeit sind: Die vorhandenen Mittel effizient einzusetzen und vor allem ein Höchstmaß an Transparenz zu wahren."
Das Engagement der ausländischen Stiftungen und gemeinnützigen Organisationen in Tschechien hat jedoch laut dem ICN-Chef in den letzten beiden Jahren abgenommen. Das hängt damit zusammen, daß diese Vereinigungen ihre Tätigkeitsfelder weiter in Richtung Osten verlagert haben. Das war für viele tschechische Institutionen aus dem Non-Profit-Sektor zwar anfänglich ein Schock, aber er brachte laut Marek edivý auch viele positive Seiten mit sich - vor allem aber die Notwendigkeit sich auf eigenen Beine zu stellen und unabhängig zu werden. Er gibt jedoch gleichzeitig auch zu, daß einige tschechische gemeinnützige Vereinigungen dadurch mächtig ins Straucheln geraten sind.
Was sind eigentlich die wichtigsten Bereiche in denen sich die tschechischen gemeinnützignen Organisationen engagieren, fragten wir Marek edivý:
"Die Tätigkeit der gemeinnützigen Vereinigungen ist auf das Spektrum der ganzen Gesellschaft ausgedehnt. Es gibt heute praktisch keinen Bereich, wo es nicht die eine oder andere Nonprofit-Organisation geben würde. Ich denke, dass man aber schon sagen kann, dass diese Vereinigungen vor allem im sozialen und karitativen Bereich zum Zug kommen, wobei das nicht nur eine für Tschechien oder andere Länder des ehemaligen Ostblocks spezifische Entwicklung ist, sondern durchaus auch auf Deutschland oder andere westliche Länder zutrifft. Um bei der Tschechischen Republik zu bleiben. Im vergangenen Jahr sind etwa 49 %, also knapp die Hälfte aller Mittel, welche den gemeinnützigen Vereinigungen zur Verfügung standen, in den Sozialbereich geflossen. Ganz konkret waren es etwas mehr als zwei Milliarden vergleichsweise attraktiven Bereiche wie Sport und Kultur."
Gerade bei den erwähnten hohen Summen, die in den Sozialbereich fließen, zeigt sich das Dilemma, in welchem sich viele gemeinnützige Organisationen in Tschechien befinden: Sie sollen zwar laut dem Gesetz über gemeinnützige Vereinigungen unabhängig vom Staat sein, übernehmen jedoch gleichzeitig auf bestimmten Feldern Aufgaben, die eigentlich der Staat erfüllen sollte. Dafür erhalten sie dann natürlich auch die entsprechenden Mittel aus dem Staatshaushalt. Ein klassischer Fall ist die Pflege von Langzeitkranken in Hospizen oder Altersheimen. So besteht laut Marek edivý vom Prager Informationszentrum der Non-Profit-Organisationen die Gefahr, dass die gemeinnützigen Vereinigungen mit der Zeit zu einer Art Vollzugsorgan der jeweiligen staatlichen Stellen und somit von ihnen finanziell abhängig werden. Damit wäre jedoch die ursprüngliche Idee der Non-Profit-Organisationen stark in Frage gestellt
Könnte da vielleicht auch eine konkrete Absicht dahinter stecken, durch die regelrechte Umarmung von Seiten der Ministerien und Behörden den gemeinnützigen Sektor unter Kontrolle zu bringen? Denn es gibt ja durchaus Politiker in Tschechien, die den Tätigkeiten von unabhängigen gemeinnützingen Einrichtungen milde gesagt sehr reserviert gegenüber stehen, fragten wir abschließend etwas provozierend Marek Sedivý?
"Die Politiker verhindern vielleicht ungeahnt gewisse Veränderungen, welche die gesellschaftliche und gesetzliche Stellung der gemeinnützigen Vereinigungen in Tschechien verbessern könnten. Aber ich glaube nicht, dass sie Angst hätten, einen Teil ihrer Macht oder ihres Einflußes zu verlieren und deshalb glauben, die gemeinnützigen Organisationen an sich binden zu müssen oder irgendwelche Abhängigkeiten vom Staat entstehen zu lassen. Ich fürchte, dass die von Ihnen erwähnte Reserviertheit mancher Politiker eher dadurch entsteht, dass sie ganz einfach nicht wissen, wie solche Non-Profit-Organisationen funktionieren und welche Chancen sie in sich bergen. Ich muß aber auch etwas selbstkritisch zugeben, dass das vielleicht auch unser Fehler ist, weil wir ganz einfach zu stark atomisiert und nicht fähig sind, einheitlich aufzutreten."
Soviel die Worte von Marek Sedivý, dem Leiter des Prager Informationszentrums der gemeinnützigen Organisationen.