Geschichte des tschechisch-deutschen Verhältnisses - Teil 3

Im neuen Staat-Von 1914 bis 1920, so lautet der Titel des dritten Teils unserer Serie "Geschichte des tschechisch-deutschen Verhältnisses". Damit willkommen zur Sendung "Kapitel aus der tschechischen Geschichte". Am Mikrophon sind Jitka Mladkova und Danilo Höpfner, Redaktion der Sendung hat Lenka Cabelova.

Die letzte Ausgabe unserer Reihe endete vor dem Grossen Krieg, also dem ersten Weltkrieg. Dieser Krieg sollte - unter anderem - ein Mitteleuropa nach deutschen Vorstellungen bilden. Doch "das Gegenteil war der Fall. Beide Nationen haben ihre Stellung in der politischen Hierarchie der böhmischen Länder getauscht" kommentiert der tschechische Historiker Jaroslav Kuèera die Ergebnisse des Krieges in seinem Buch "Aussiedlung oder Vertreibung?". Der Krieg stellte beide Nationen feindlich gegenüber. Ihre Vorstellungen über die künftige Ordnung waren nicht in Einklang zu bringen. Beide versuchten, ihre Träume zu verwirklichen.

Der Traum der Tschechen mußte jedoch erst reif werden. Zu Beginn des Krieges war die Mehrheit der tschechischen Bevölkerung zwar skeptisch, dennoch loyal zur Monarchie. Keine tschechisch-politische Strömung hatte vor dem Krieg einen eigenen Staat zum Ziel gehabt. Es war vor allem eine sogenannte "ausländische Aktion", denn Masaryk, Benes und Stefanik waren es, die sich im Exil für die Idee eines Staates einsetzten, nachdem die Hoffnungen auf eine Lösung innerhalb der Monarchie schwanden. Die Kriegsereignisse haben den Hunger nach Unabhängigkeit auch in der tschechischen Bevölkerung geweckt bzw. gestärkt.

Das Ende des Krieges hat paradoxer Weise beide gegeneinander kämpfende Seiten in eine noch stärkere Verbindung gebracht. Diese Verbindung wurde nicht mehr vom Aussen bestimmt, keine der Seiten war von dieser Verbindung begeistert, doch beide mußten sich damit abfinden. Die Tschechoslowakei entstand als ein Nationalstaat, nicht als ein Vielvölkerstaat, was der Realität mehr entsprochen hätte. Fast ein Drittel der Bevölkerung des Landes war deutsch. Ihre Integration in den neuen Staat und der Erwerb ihrer Sympathien für den Staat war die Schlüsselbedinung für die Lebensfähigkeit der Tschechoslowakei - wie es sich am Ende der 30. Jahre noch zeigen sollte. Von Beginn an wurde das Recht auf Selbsbestimmung unterschiedlich interpretiert.

Dieses damals sehr populäre Prinzip hat die Bemühungen um etnisch möglichst homogene Staaten gefördert. Wäre diese Idee in Mitteleuropa konsequent verwiklicht worden, hätte es eine Stärkung des besiegten Deutschlands bedeutet, doch das wollten die Siegermächte natürlich nicht zulassen.

Die erste Reaktion der Sudetendeutschen war eine strikte Ablehnung ihres Verbleibens im neuen Staat. Sie haben das Angebot der Tschechen, sich an der Regierung zu beteiligen, abgelehnt. Ihren Vorstellungen nach hätten sie zunächst Österreich und schliesslich Deutschland angeschlossen werden sollen, inklusive des Territoriums, auf dem sie lebten. Aus den erwähnten Gründen war das jedoch nicht realisierbar.

Hinzu kam, daß die historische Grenze des Königreichs Böhmen nicht nur ein Erbe der Vergangenheit war, sondern auch eine Basis für die Sicherheit und Lebensfähigkeit des Staates. Man nannte es "strategische und ökonomische Aspekte". Die tschechische Regierung war der Ansicht, daß das überwiegend deutsche industrialisierte Grenzland mit dem tschechischen und überwiegend landwirtschaftlich genuzten Raum im Inneren des Landes eine fungierende Gesamtheit bildeten. Ausserdem hätte das Grenzgebirge mit einem Netz militärischer Festungen eine gute Verteidigungslinie sein können. Die Sudetendeutschen waren nun gezwungen, sich all diesen Realitäten anzupassen. Sie waren sogar wörtlich dazu gezwungen. In das Grenzgebiet wurden Militäreinheiten entsannt, um Ruhe und Ordnung zu schaffen. Auf der tschechischen Seite erweckten die deutschen Forderungen lediglich Mißtrauen und Argwohn.

"Die Durchsetzung der tschechoslowakischen nationalstaatlichen Konzeption in den historischen Grenzen der Böhmischen Länder rief beträchtliche Enttäuschung unter den Deutschen hervor" charakterisiert die tschechisch-deutsche Historikerkommission die Gefühle der Gegenseite im Buch "Konfliktgemeinschaft, Katastrophe, Entspannung". So war das Verhältniss der Tschechen und Sudetendeutschen von Beginn an traumatisiert.

Für die Mehrheit der tschechischen Gesellschaft waren die Deutschen eher ein fremdes und im Staat nur geduldetes Element, mit dem man aber weiter einen zerstörerischen Kampf führen sollte. Auch bei der deutschen Bevölkerung der Tschechoslowakei arbeiteten überwiegend die alten Denkmechanismen und viele haben sich mit der neuen Situation nie abfinden können", so Jaroslav Kucera. Die Grundlage jedes modernen Staates ist seine Verfassung. Es ist sinvoll, wenn sie auf Grund eines Konsenses eine möglichst grosse Mehrheit unter der Bevölkerung findet. Die Sudetendeutschen waren aber von den Vorbereitungen dieser Verfassung ausgeschlossen.

Es war ein Fehler. Wie bereits erwähnt, wollten sie sich nicht am Aufbau des neuen tschechoslowakischen Staates unmittelbar nach seiner Gründung beteiligen. Noch als die Verfassung vorbereitet wurde, hofften sie auf einen Anschluss an das benachbarte Österreich. Die politischen Repräsentanten der Sudetendeutschen wären bereit gewesen, mit den Tschechen zu verhandlen, allerdings nur wenn die Tschechen das Sudetenland als ein Subjekt internationalen Rechts anerkannt hätten. Das war für diese aber nicht akzeptabel.

Schliesslich wurde die Verfassung von der Volksversammlung ohne Teilnahme irgendeiner Minderheit angenommen. Das Fernbleiben der Deutschen war jedoch für die tschechische politische Repräsentanz in gewisser Hinsicht nicht unwillkommen. Selbst Präsident Masaryk bemerkte, daß es zwar legitim wäre, wenn erst die gewählte Volksversammlung über die Verfassung verhandelte, auf der anderen Seite könnte sich dann die unausweichliche Teilnahme der nationalen Minderheiten kontraproduktiv auswirken. So oder so, die Versammlung verabschiedete "eine parlamentarisch-demokratische, wenngleich vornehmlich auf das "tschechoslowakische" Staatsvolk zugeschnittene Verfassung" charakterisiert die Historikerkommission die damalige Situation. Die Verfassung garantierte gleiche Rechte allen Bürgern ohne Rücksicht auf ihre Nationalität. Es waren natürlich nur individuelle Rechte, keine kollektiven Minderheitenrechte. Die Minderheiten, so die Kommision "konnten ihre Interessen allerdings ... durch ihre Parteien im parlamentarischen System ungehindert wahrnehmen".

Man sollte dabei nicht vergessen, daß gerade die Deutschen die zweitstärkste Nationalität des Staates waren. Das bedeutet, daß sie in einem proportionalen Verhältniswahlsystem nicht gerade geringe Chancen hatten, ihre Belange durchzusetzen, theoretisch zumindest, aber dazu kommen wir später. Nach vier Kriegsjahren und den nachfolgenden Monaten staatsrechtlicher Unsicherheit waren viele Sudetendeutsche verständlicherweise ermüdet. Die Lebensmittelversorgung im Sudetenland war damals katastrophal. Das Begehren der Sudetendeutschen fand nirgendwo in Europa Unterstützung, nicht einmal im damaligen Deutschland, das sich für die Sudetendeutschen derzeit noch nicht interessierte.

Die sudetendeutschen Industriekreise begannen zu verstehen, daß ein Anschluß an Deutschland eine übermächtige wirtschaftliche Konkurrenz bedeutet hätte. Dazu wucherten in Deutschland die Räterepubliken und harte Kämpfe zwischen den Rechten und Linken. Die Tschechoslowakei bot dagegen Ruhe und übrigens auch die Sicherheit altbewährter Lebensweisen. Viele Sudetendeutsche begannen diese Sicherheiten Kämpfen vorzuziehen, die mit einer Loslösung von der CSR verbunden gewesen wären. Leider aber waren die Weichen für das künftige Zusammenleben bereits gestellt, als man zu dieser Erkenntnis gelangte.