Geschichte verbindet – Studenten treffen Zeitzeugen
Die Geschichte des 20. Jahrhunderts erscheint den meisten Jugendlichen heutzutage fremd. Seit 2010 bietet das Collegium Bohemicum in Ústí nad Labem / Aussig Jugendlichen die Möglichkeit, Zeitzeugen zu treffen, die historische Ereignisse erlebt und überlebt haben. Am Donnerstag kamen Studenten nach Ústí, um die Geschichte der Stadt einmal durch die Perspektive von Zeitzeugen zu betrachten.
Der Blick verschmitzt, die Augen glänzend - tough erscheint Ernestine Meißner. Mit der ein oder anderen Anekdote aus ihrem Leben bringt sie das junge Publikum zum Lachen: „Ich habe mich noch mit 86 Jahren in Bayern für die Sozialdemokraten aufstellen lassen. Ich hätte den Laden schon ordentlich aufgemischt“. Am Donnerstag erzählt die 92-Jährige aber von ihrem Leben in Ústí nad Labem und der Aussiedlung nach dem Krieg. Ihre Erfahrungen sollen im Rahmen des Projekts „Geschichte verbindet“ an junge Menschen weitergegeben werden. Was genau das Zeitzeugenprojekt ist, erklärt der Koordinator des Programms, Thomas Oellermann:
„Im Rahmen dieses Zeitzeugenprojektes führen wir Zeitzeugenbegegnungen an tschechischen, speziell nordböhmischen Schulen und an sächsischen Schulen durch. Wir bieten den Schulen, als Ergänzung zum üblichen Geschichts- oder Politikunterricht, Zeitzeugengespräche an. Das bedeutet, wir bieten es zu verschiedenen Zeiträumen an. Das beginnt mit Zeitzeugen zum Holocaust, also mit Überlebenden von Konzentrationslagern. Es sind allerdings auch Geschichten von Gegnern des Nationalsozialismus.“
Darüber hinaus sprechen aber auch Menschen, die im Kommunismus, sowohl in der DDR, als auch in der Tschechoslowakei gelebt haben. So berichtet am Donnerstag noch Jan Šícha, wie er 1989 am Studentenstreik an der Universität in Ústí nad Labem beteiligt war und wie die Studenten damals dem kommunistischen Regime die Stirn boten. Seine Ausführungen fesseln die Teilnehmer und verdeutlichen, wie wichtig das Projekt für die heutige Generation ist:
„Wir wollen das Bewusstsein unter den jungen Menschen für einen gemeinsamen historischen Raum schärfen. Denn wir sagen: Nordböhmen und Sachsen, das ist ein gemeinsamer historischer Raum, auch wenn dort eine Grenze existiert. Es gibt eine gemeinsame Geschichte. Nur wenn man sich mit der Geschichte auseinandersetzt und die in irgendeiner Form verarbeitet, gibt es eine gemeinsame Basis für die Gegenwart. Das ist unser Ziel, wir wollen junge Menschen dazu motivieren, sich mit der Geschichte ihrer Region, ihrer Stadt oder ihres Dorfes auseinanderzusetzen“, so Thomas Oellermann.
Das Konzept kam bei den Studenten an, sie empfanden den Tag als sehr aufschlussreich:
„Es war sehr angenehm und sehr interessant. Ich bin selbst Historiker und beschäftige mich mit der deutschen Aussiedlungspolitik während des Zweiten Weltkriegs und kann daher gewisse Zusammenhänge sehen. Vor allem die Tatsache, dass die Aussiedlung sowohl für Tschechen als auch für Deutsche sehr schwer war.“
Finanziert wird das so genannte Ziel-3-Projekt von der Europäischen Union, die in der Region Sachsen-Nordböhmen die grenzüberschreitende Zusammenarbeit fördert. Bis zum 31. Dezember dieses Jahres haben Schüler und Studenten noch die Möglichkeit Zeitzeugen zu begegnen.