Gegenwartsgeschichte anders lernen: Arbeit mit Quellen im Fokus
Der Geschichtsunterricht wird bald an einigen Schulen in Tschechien anders aussehen. Anstelle Daten zu büffeln, sollen die Schüler lernen, mit historischen Quellen zu arbeiten. Mit den neuen Möglichkeiten der Wissensvermittlung machten sich Lehrer/Innen aus ganz Tschechien in diesen Tagen vertraut.
Das Projekt heißt „Geschichte Plus“. 50 Lehrer/Innen nahmen an einer Sommerschule im mährischen Olomouc / Olmütz teil, um sich auf die neuen Unterrichtsmethoden vorzubereiten. Im Fokus des Projekts steht die Geschichte des 20. Jahrhunderts. Eine der Aktivitäten der Teilnehmer beschreibt Petr Sokol. Er arbeitet als Lektor im Institut für das Studium totalitärer Regime (ÚSTR), das die Veranstaltung organisierte.
„Es geht darum, den vorbereiteten Text in einem Titel und einem Untertitel zusammenzufassen. Die Titel müssen das, wonach im Text gesucht wird, treffend zum Ausdruck bringen. Damit wird überprüft, ob die Lehrer an der Sommerschule oder später die Schüler den Text verstehen.“
Die Lehrer arbeiten in kleinen Gruppen und lesen vorbereitete Texte durch.
Einer der Teilnehmer dazu:
„Wir befassen uns mit dem KZ Theresienstadt und mit der Frage, ob die tschechischen Gendarmen, die dort arbeiteten, Schuld für das Leiden der Gefangenen mitgetragen haben. Wir lasen Erinnerungen von vier Zeitzeugen, die unterschiedliche Haltungen der Gendarmen beschreiben.“
So erfuhren die Lehrer beispielsweise, dass einer der tschechischen Beamten den Gefangenen Brot brachte, das er eigentlich für Hunde bekam, die er betreute. Als Titel für den Text wählte eine der Lehrergruppen die Worte „Auch in den Zeiten des Unrechts siegen Mut und Menschlichkeit“. In einer anderen Gruppe entschied man sich wiederum für den Titel „Hungrige Hunde von Theresienstadt“. Die Zeitzeugen beschrieben jedoch auch grausame Erfahrungen mit den Beamten.
David Lopaur unterrichtet Geschichte an einer Grundschule in Olomouc. Er lobt die Sommerschule.
„In diesem Projekt lernen wir, den Kindern eine historische Erfahrung zu vermitteln, dass die Geschichte aus den verschiedenen Blickwinkeln für die Menschen unterschiedlich sein kann. Es ist unmöglich, sich mit einer einzigen richtigen Lösung zu begnügen.“
Lopaur wird genauso wie andere Teilnehmer der Sommerschule in den folgenden Wochen die Erkenntnisse weiteren Kollegen vermitteln. Sie wollen anschließend ihre neuen Unterrichtsmethoden miteinander konsultieren. Darauf freut sich auch Geschichtslehrer Aleš Sedlmayer aus Prag:
„Ich halte es für wichtig, die Erfahrungen mit anderen Pädagogen in der Region zu teilen. Ich finde es einzigartig, dass sich Lehrer aus verschiedenen Schulen in der Region treffen, denn oft begegnen sie sich kaum. Dies ist eine hervorragende Möglichkeit, eine Gruppe von Lehrern zu bilden, die über methodische Unterlagen für den Unterricht verfügen und nach deren Anwendung im Unterricht sie im Rahmen der Gruppe auswerten wird.“
Es handelt sich um eine bedeutende Änderung im Geschichtsunterricht. Zuvor habe es an Unterstützung vom Bildungsministerium gemangelt, meint Jaroslav Pinkas. Er arbeitet als Historiker und Didaktiker im Institut für das Studium totalitärer Regime.
„Der Beitrag des Projekts besteht vor allem in der systematischen Arbeit. Unser Institut ist mehr als zehn Jahre im Bereich der Weiterbildung von Lehrern aktiv. Aber bisher hatten wir nicht die entsprechenden Bedingungen, was die Zusammenarbeit weiterer Institutionen betraf. Die Schulungen für Lehrer wurden in der Form von einmaligen Kursen durchgeführt. Wir bemühten uns um eine systematische Weiterbildung. Aber die Schuldirektoren sowie die Lehrer wurden nicht dazu motiviert, an längeren Kursen teilzunehmen. Diese stellten für sie sogar eine Komplikation dar. Es gelang uns, diese Barriere abzuschaffen.“
Binnen zwei Jahre werden sich zehn Prozent der Grundschulen in Tschechien am Projekt „Geschichte Plus“ beteiligen.