Gibt es gemeinsame europäische Kultur?

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Was ist die europäische Kultur? Gibt es überhaupt eine gemeinsame europäische Kultur? Was prägt und was bedroht sie? Und was ist eigentlich die Kultur? Wie kann man sie definieren? Diese Fragen versuchen wir im heutigen Kultursalon zu beantworten. Kurz vor dem EU-Beitritt Tschechiens werden ähnliche Fragen immer häufiger nicht nur in publizistischen Texten, sondern auch bei verschiedenen Debatten und Konferenzen gestellt. Markéta Maurová hat eine solche Veranstaltung besucht, die von der Akademie der Wissenschaften der Tschechischen Republik organisiert wurde. Über Europa und seine Kultur hat sie sich mit dem Soziologen, Prof. Jirí Musil, unterhalten.

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Die heutige Debatte gilt der Kultur, dem Nationalismus und Rassismus. Können wir zunächst die Kultur definieren. Dieser Begriff wurde hier in zwei Bedeutungen gebraucht.

"Ja, man kann, oder man soll in der Tat zwischen der Hochkultur und der Kultur im anthropologischen Sinne unterscheiden. Die erste Bedeutung wird ganz üblich benutzt, das heißt man spricht über Musik, über Literatur, auch über Wissenschaft, und das ist die Kultur im engeren Sinne des Wortes. Im sozial-anthropologischen Sinne meint man mit dem Begriff Kultur die Werte, Wertorientierungen, Lebensweisen, die Anpassung an ökologische Bedingungen, also eine Art des Lebens. Diese Art unterscheidet sich und hat auch historische Gründe. Sie ändert sich selbstverständlich, aber in gewissem Sinne langsam."

Wenn wir diese beiden Bedeutungen der Kultur in Betracht ziehen, kann man von der europäischen Kultur sprechen? Hier wurde dieser Begriff gewissermaßen in Frage gestellt...

"Da ich ein wenig auch außerhalb Europas reise, bin ich persönlich überzeugt, dass es etwas gibt, was für diesen Teil der Erde gemeinsam ist. Es sind Begriffe wie Rationalität, kritisches Denken, Christentum, Menschenrechte, und ich würde noch Demokratie und eine moderne Version des Sozialstaates hinzufügen."

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Einerseits wird von einer gemeinsamen Kultur ausgegangen, andererseits wurden hier auch die Mannigfaltigkeit bzw. verschiedene Strömungen innerhalb dieser Kultur erwähnt. Es wurde von den Unterschieden zwischen Nord und Süd gesprochen, Sie betonen die religiöse Tradition...

"Selbstverständlich, dieser Kontinent ist sehr differenziert. Mann kann schon mit den geografischen Tatsachen beginnen: Wenn Sie sich die Karte anschauen, dann sehen Sie, wie viele verschiedene Gegenden, wie viele Halbinseln es gibt. Also die geografische Struktur ist unglaublich interessant, und dazu kommen die Verschiedenheiten der kulturellen und ethnischen Gesellschaften und Gemeinschaften. Und das alles führt zu dieser Einheit mit Diversifikationen, zu dieser Balance zwischen Unterschieden und einer Art von Einheit. Das ist etwas sehr Typisches für Europa."

Sie haben auch die religiöse Tradition erwähnt, die Unterschiede...

"Ja, die sind für mich,... erlauben Sie mir das persönlich zu sagen: Ich befasse mich mit dem Soziologen Max Weber und für mich ist sehr wichtig zu verstehen, dass es gewisse Lebensweisen gibt, die an die tiefsten Gedanken, an das Weltbild der Menschen geknüpft sind, und in dieser Hinsicht glaube ich, dass der Unterschied zwischen den größten christlichen Religionen in der Formierung der Unterschiede, die gleichzeitig auch eine Einheit bilden, eine riesige Rolle spielte. Das heißt Lutheranismus auf der einen Seite und Katholizismus auf der anderen, oder die Orthodoxie im Osten, also dass diese Gesellschaften, wo es für Jahrhunderte diese Religionen gab, sich nicht nur im religiösen Sinne unterscheiden, sondern auch in der Wertorientierung, Politik, Wirtschaft usw."

Der Nationalismus ist ein weiteres Thema: Im Zusammenhang mit der Integration Europas wird von dem Ende der Nationalstaaten gesprochen. Gleichzeitig kann man aber in vielen Ländern Europas eine Steigerung des Nationalismus beobachten.

"Ja, ich glaube, dass diese Steigerung teilweise ein Resultat dieser Integration ist. Man reagiert auf diese Integrationsprozesse mit einer Unterstützung der Identitäten, der Nationen, und es ist eine Art von Furcht vor dem Verschwinden der eigenen Identität. Und wie einer der Teilnehmer dieser Konferenz sagte: Wir leben alle in einer Risikogesellschaft und haben Angst, die Identität zu verlieren, da ist ein Stimulus für eine neue Welle des Nationalismus, die wir in Europa sehen. Leider."

Und können Sie die weitere Entwicklung voraussagen? Kann man vielleicht eine europäische Idee finden und den Leuten anbieten, die diese Furcht und Angst ersetzen würde?

"Ja, ich glaube, es ist möglich, aber es wird eine Zeit dauern. Ich bin überzeugt, es gibt Möglichkeiten eine europäische Idee langsam, aber systematisch aufzubauen. Und ich wiederhole, sie soll in unserer Zeit auf Menschenrechten, auf einer Demokratie und auf einer humanistischen Tradition, die wir doch haben, aufgebaut werden. Ich weiß, dass Europa auch ein Kriegsfeld war, dass die Kriege hier üblich waren, aber wenn man sieht, was nach dem Zweiten Weltkrieg geschah, man sieht, dass Europa ruhig, relativ ruhig im Vergleich mit anderen Teilen der Welt ist. Und wenn wir es schaffen, diese Art von Toleranz und Zusammenarbeit und eine gewisse positive Haltung weiter aufzubauen, dann gibt es eine Chance, dass sich Europa langsam zu einem friedlichen Teil der Welt entwickelt."

Und wie sehen Sie in diesem Kontext die Tschechische Republik, die Stellung der tschechischen Gesellschaft?

"Wieder, ich bin ein Optimist. Ich glaube, es gibt hier eine alte, sehr alte Tradition des Humanismus. Eine kleine Nation oder ein kleines politisches Gebilde muss auf der Charta der Zusammenarbeit dieser Ideen aufbauen. Ich bin daher überzeugt davon, dass die Tschechen, wenn sie sich auf diese Tradition zurückbesinnen, einen aktiven und ich glaube auch einen interessanten Teil des Europa-Konzerts mit aufbauen werden."