„Kulturnation Tschechien - ein Mythos“ –Kuratorin Lindaurová über tschechische Kulturpolitik
Tschechische Politiker rühmen sich gerne mit der reichen Kulturtradition ihres Landes. Doch keinem der vielen wechselnden Minister der letzten Jahre ist bisher eine nachhaltige Kulturpolitik gelungen. Keine Visionen, kein Geld. Kein anderes Ressort ist in Tschechien so schnell von Kürzungen bedroht wie die Kultur – und dabei wird ohnehin schon auf Sparflamme gekocht: Gerade einmal 0,7 Prozent des Staatshaushalts fließen in Tschechien dorthin – in anderen europäischen Ländern ist ein Prozent üblich. Seit einigen Wochen nun hat Tschechien einen neuen Kulturminister – Jiří Besser. Was von ihm zu erwarten ist und woran es im Kulturbereich am meisten hapert – darüber hat Silja Schultheis mit der Kuratorin Lenka Lindaurová gesprochen, Mitbegründerin der Initiative „Čas na změnu“ – Zeit für einen Wandel (in der Kulturpolitik).
„Die Initiative ist damals entstanden, weil ein Teil der Künstlerszene schon längere Zeit unzufrieden war mit der Situation in unseren wichtigsten Galerien. Der Höhepunkt war die Nationalgalerie, deren Direktor, Milan Knížák, seit zehn Jahren in der Kritik steht, aber praktisch Narrenfreiheit hat, weil er politisch protegiert wird. Und weil wir uns dafür vor unseren ausländischen Kollegen schämten und ja auch alle übrigen Kulturinstitutionen irgendwie von der Nationalgalerie beeinflusst werden, haben wir uns gesagt, gegen diese Hilflosigkeit müssen wir etwas tun. Und so haben wir einen Brief geschrieben. Und der Vorgänger des jetzigen Kulturministers hat dann schließlich den Chefsessel in der Nationalgalerie neu ausgeschrieben. Aber er hatte nicht den politischen Mut, das Verfahren auch durchzuziehen. Es endete wie immer: mit intransparenten Regeln. Und am Ende macht dann doch jeder Minister wieder, was er will. Das ist ein ziemlich arrogantes Verhalten. Und ich habe das Gefühl, alle Versuche, eine breitere Debatte darüber in Gang zu kriegen, sind vergeblich. Als normaler Bürger kann man hier nichts verändern, man wird hier absolut zur Passivität erzogen. Und dazu kommt noch, dass hier ohnehin die Meinung vorherrscht, Kultur ist überflüssig. Diese Meinung teilt ja auch Staatspräsident Václav Klaus. In den 1990er Jahren war es noch absolut üblich, dass sich Politiker mit Vertreten von Künstlerinitiativen trafen und mit ihnen redeten. Heute sitzen die Politiker in ihrem Elfenbeinturm und haben überhaupt keine Ahnung, was in der Kulturszene los ist. Und dazu kommt, dass sie selber überhaupt keine Erfahrung im Kulturbereich haben, wie etwa der jetzige Kulturminister.“
Was sind Ihrer Meinung nach die größten Defizite in der tschechischen Kulturpolitik? Ist es die Situation in der Nationalgalerie?
„Die Nationalgalerie ist nur ein Beispiel dafür, wie bei uns Kulturpolitik funktioniert: Es wird nicht klar gesagt, welche konkreten Prioritäten es gibt. Stattdessen nur allgemeine Phrasen, unter denen sich ein normaler Mensch gar nichts vorstellen kann. Um mehr Gelder für die Kultur freizumachen, müsste bei uns eine Reihe von Gesetzen geändert werden. Ich bin keine Juristin, aber ich weiß, dass man über Steuerpolitik die Kultur unterstützen kann. Zum Beispiel über Steuerabschreibungen für private Sammler und vieles andere. Und ein weiterer Punkt ist, dass tschechische Kulturinstitutionen immer noch nicht fähig sind, europäische Gelder zu nutzen. Keiner bringt ihnen das bei und es gibt niemand, der ihnen dabei hilft. Hier wäre der Staat gefragt, er müsste dafür sorgen, dass es Möglichkeiten gibt, die auch bekannt sind und genutzt werden.“
Nun wird oft argumentiert: Für Kultur ist in Zeiten der Finanzkrise einfach kein Geld da. Ist das nicht zurzeit überall so? Worin unterscheidet sich die Situation in Tschechien von der in anderen europäischen Ländern?
„Aber im Westen gibt es doch Mäzene und Spender, die auf unterschiedliche Weise Kultur fördern. Und es ist üblich, dass große Firmen einen Teil ihres Gewinnes für die Kultur geben. In Tschechien gibt es keinerlei gesetzliche Maßnahmen, mittels derer der Staat bei den Firmen Gelder für die Kultur eintreiben könnte. Natürlich hat der Staat selbst kein Geld, das ist klar, aber auf diese Weise kann er sich helfen.“
Versprechen Sie sich von dem neuen Kulturminister Jiří Besser irgendwelche Änderungen in der Kulturpolitik?
„Ich will nicht von vornherein sagen, dass ich mir nichts von ihm verspreche. Ich würde gerne daran glauben, dass sich etwas tut in der Kulturpolitik. In dem Beratungsgremium, das der Minister jetzt einberufen hat, sitzen kompetente Leute, und ich hoffe, dass es nicht nur pro forma tagen wird, sondern tatsächlich etwas bewegt. Ich glaube, die Politiker sollten klar ihre Visionen bekanntgeben und sagen, was sie machen wollen, warum und welchen Nutzen das hat. Darüber sollte viel mehr öffentlich diskutiert werden. Das ist im Falle der Neuausschreibung des Direktorenpostens in der Nationalgalerie nicht geschehen und diese Entscheidung des neuen Ministers erscheint mir daher willkürlich.“Die Tschechen bezeichnen sich oft selber gerne als Kulturnation. Aus Ihren Äußerungen könnte man jetzt fast das Gegenteil schließen…
„Ich glaube, es ist wirklich ein Mythos, dass wir eine Kulturnation sind. Ich hatte in letzter Zeit ein paar Mal die Möglichkeit zu beobachten, wie wir uns mit unserer Kultur im Ausland präsentieren – bei der Vorbereitung der Expo war ich dabei und ich weiß auch, wie die Tschechischen Zentren im Ausland funktionieren. Und ich muss sagen, dass wir uns wirklich als Volk von Kulturbanausen präsentieren. Das finde ich schade, denn es gibt hier wirklich fähige Künstler. Aber in den Institutionen kommen nur die Durchschnittlichen oder Unterdurchschnittlichen zu Wort. Wir sind einfach nicht in der Lage, das was hier Qualität hat, zu nutzen. Denn das allgemeine Bewusstsein darüber, was Kultur ist und was nicht, ist nur noch so schwach ausgeprägt, dass es eine Schande ist.“Haben Sie die Hoffnung schon aufgegeben, mit Initiativen wie Ihrer irgendetwas zu bewirken?„Ich habe das Gefühl, dieser legitime Weg funktioniert hier nicht. Wirkungsvoller sind da schon irgendwelche Happenings, die bringen mehr Aufmerksamkeit. Heute kommt man nur durch Skandale in die Medien. Wenn man einfach seine Meinung sagen will, und sei sie noch so kompetent, bekommt man dafür keinen Platz. Aber auch bei Skandalen ist nach ein bis zwei Tagen alles wieder beim Alten.“