Gose, IPA, alkoholfreies Craftbeer: Minibrauereien in Tschechien entwickeln kreative Neuschöpfungen

Der Craftbeer-Trend ist bereits vor einigen Jahren über den großen Teich nach Europa geschwappt. Auch in Tschechien, dem Land mit dem weltweit höchsten Bierkonsum pro Kopf, ist die Mode längst angekommen. Fast 500 Kleinbrauereien gibt es hierzulande. Eine davon ist die Brauerei Rotor im südmährischen Kunovice / Kunowitz. Neben klassischem Lagerbier werden dort auch fruchtige Kreationen angeboten. Und man arbeitet schon am nächsten großen Wurf: einem alkoholfreien Craftbeer.

Matěj Žaba | Foto: Ondřej Tomšů,  Radio Prague International

Matěj Žaba öffnet ein großes Metallfass. Dampf steigt empor. Žaba lehnt sich darüber und schwärmt über die verschiedenen Gerüche: Zitronen, Ananas, weitere tropische Früchte – und das alles nur dank des richtigen Hopfens, meint er. Žaba ist der Braumeister von Rotor. Seine Liebe zum Gerstensaft habe bereits früh eingesetzt, erzählt er:

„Mit 15 Jahren habe ich begonnen, Bier zu brauen. Aber da war ich ja noch in der Schule. Später haben meine Freunde und ich dann Craftbeer-Bars besucht und dort alles Mögliche probiert. Ich habe mich in Kleinbrauereien verliebt, denn sie haben etwas Anderes angeboten als nur das gängige tschechische Lagerbier. Ich habe mit dem Trinken von India Pale Ale angefangen, das hat mir die Augen geöffnet.“

Matěj Žaba | Foto: Ondřej Tomšů,  Radio Prague International

Seitdem hat sich einiges getan. Žaba ist um die Welt gezogen – Bier gebraut hat er mittlerweile schon in Südkorea und Mexiko. Für die Brauerei Rotor ist er wieder in seine Heimat zurückgegangen. Aber was ist so besonders an den einheimischen Klassikern?

„Das tschechische Bier ist sehr süffig und hat einen angenehmen Geschmack. Es passt zu jedem Essen. Man kann nicht jeden Wein zu jeder Mahlzeit trinken, und mit den meisten Bieren ist das genauso. Das tschechische Bier aber ist wirklich sehr universell. Außerdem ist es sehr erfrischend im Sommer, es schmeckt allerdings auch im Winter gut. Es passt einfach immer, und das ist genau das, was das tschechische Bier einzigartig macht.“

Blackbird und UFO: Jede Sorte ist nach einem Flugobjekt benannt

Lockheed SR-71 Blackbird | Foto: USAF / Judson Brohmer – Armstrong,  Wikimedia Commons,  public domain

Josef Šilhavík ist der Geschäftsführer der Brauerei Rotor. Den Namen erklärt er im Interview für Radio Prag International wie folgt:

„Gleich hier in der Nähe befindet sich eine legendäre Flugzeugfabrik sowie ein Flugplatz. Unser Team begeistert sich sehr für die Luftfahrt. Die Brauerei sehen wir deshalb auch oft als weiteren Hangar an.“

Dieser Gedanke wird in der Benennung der einzelnen Biere weitergeführt. Jede Sorte ist nach einem Flugzeug oder einem anderen Luftfahrzeug benannt. Das beliebteste Bier der Brauerei etwa, ein Lager mit einer Stammwürze von zwölf Grad, wird „Blackbird“ genannt. Das ist der Name eines bekannten Aufklärungsflugzeugs der US Air Force, in dem der Rekord für den schnellsten bemannten Flug gebrochen wurde.

Ferdinand Hauser,  Matěj Žaba und Josef Šilhavík  | Foto: Ondřej Tomšů,  Radio Prague International

Neben einem Propellerflugzeug, einem Düsenflieger oder einem UFO findet sich auch ein Bier mit dem Namen „Mrija“ im Sortiment. Šilhavík erklärt die Geschichte hinter dem Produkt, das der Antonow-225 gewidmet ist:

„Das Bier hieß eigentlich ‚Iljuschin‘. Das ist der Name eines riesigen russischen Flugzeugs. Zu Beginn der Invasion haben die Russen aber die ‚Mrija‘ zerstört, das war das größte Flugzeug der Welt. Wir wollten das Bier sofort umbenennen. Auch das Etikett haben wir geändert. Es war ursprünglich blau-weiß, nun ist es blau-gelb.“

Antonov An-225 Mrija | Foto: Myroslav Kaplun,  Wikimedia Commons,  CC BY-SA 4.0 DEED

Matěj Žaba ergänzt: „Der Stil, der dem Bier zugrunde liegt, heißt eigentlich Russian Imperial Stout. Als wir dann sahen, wie diese Arschlöcher dieses wunderschöne Flugzeug zerstört haben, haben wir einen Schlussstrich gesetzt, und jetzt ist es ein Ukrainian Imperial Stout.“

Braustile aus der ganzen Welt, Zutaten von vor Ort

Foto: Ondřej Tomšů,  Radio Prague International

Das „Mrija“ ist nicht das einzige Bier, bei dem Rotor auf Braustile von anderswo zurückgreift. So gibt es im Sortiment auch eine Himbeer-Gose – gebraut wird sie nach der Tradition aus der Gegend von Leipzig. Zu den fruchtigeren Kreationen gehört zudem ein Holunder-Bier. Matěj Žaba erklärt, wie es dazu kam:

„Die Rezeptur ist extra für dieses Bier entstanden, wir haben also nicht einfach Bier und Holunder zusammengemischt. Pläne dafür gab es schon länger. Wir wollten mit den Jungs nach der Arbeit Holunderblüten sammeln gehen. In der Nähe der Brauerei gibt es auf einem Berg einen verlassenen Gutshof, wo viel Holunder wächst. Die Blüten haben wir dann zusammen mit dem Bier gebraut. Die Duftstoffe müssen dafür herausgekocht werden. Damit alles gut schmeckt, braucht es zudem vorher bestimmte Witterungsbedingungen. Der Holunder für unser Bier muss voller Blütenstaub sein, was nur der Fall ist, wenn es sehr sonnig ist.“

Foto: Ondřej Tomšů,  Radio Prague International

Die Biere werden saisonal in der Brauerei angeboten, das Angebot an dem kleinen Imbiss ist deshalb immer anders. Das Experimentieren mit Geschmack und Braustilen steht bei Rotor im Fokus. Hergestellt werden zunächst nur kleine Mengen. Die Biere, die erfolgreich sind, werden dann ins ständige Angebot aufgenommen. Derzeit zählen dazu um die 18 verschiedene Sorten. Aber wie ist es vor zwei Jahren zur Gründung der Brauerei in Kunovice gekommen? Alles begann mit dem Unternehmen EPS Biotechnology, wie Rotor-Geschäftsführer Šilhavík erklärt:

„Die Firma arbeitet seit Längerem mit Weinhefe. Sie bietet die Grundlage für Terroir-Weine an, bei der die Hefe direkt von den jeweiligen Weingütern stammt. Bei dem Wort ‚Bier‘ denken die meisten Menschen an Malz und Hopfen. Hefe aber wird oft vergessen, dabei ist sie ganz zentral. Bei einigen Bierarten, etwa den belgischen, ist die Hefe die wichtigste Zutat.“

Foto: Ondřej Tomšů,  Radio Prague International

Die Labors und Forschungsräumlichkeiten werden nun also auch zur Herstellung der idealen Hefekultur für Bier verwendet. Für die Zukunft hat die Brauerei Rotor noch Großes vor. So befindet sich auf dem Brauereigelände bereits jetzt eine Pension, in der demnächst auch Bier-Wellness angeboten werden soll. Zudem plant man zu expandieren:

„In dieser kleinen Brauerei sollen bald nur noch Spezialbiere entstehen. Hier kann also die Spielerei stattfinden. Wir planen zusätzlich eine zweite, große Brauerei. Dort soll das Lagerbier gebraut werden, denn davon benötigen wir mehr, weil es viel getrunken wird.“

Foto: Ondřej Tomšů,  Radio Prague International

Die Mikrobrauerei aus Kunovice – in Zukunft könnte sie also gar nicht mehr so mikro sein. Für das neue Brauereigelände wurde bereits ein Ort ausgewählt: Der Standort in der Slowakei sei strategisch günstig zwischen Bratislava und Wien gelegen, so Josef Šilhavík.

Die Zukunft ist alkoholfrei

Ferdinand Hauser,  Josef Šilhavík und Matěj Žaba | Foto: Ondřej Tomšů,  Radio Prague International

In dem „Labor“ in Kunovice bastelt man derzeit an der nächsten Innovation im Bierbereich. Wie Šilhavík berichtet, arbeitet Rotor dabei auch mit verschiedenen Forschungsinstitutionen zusammen:

„In dem Projekt geht es um die Entwicklung einer speziellen Hefekultur für Bier ohne Alkoholgehalt. Wenn alles klappt, haben wir nächstes Jahr ein Alkoholfreies, das absolut einzigartig und sensationell sein wird.“

Große Hoffnungen also… Matěj Žaba ergänzt, dass die Entwicklung des alkoholfreien Bieres recht komplex ist. Denn durch die Verwendung traditioneller Hefe bestehe die Gefahr, dass Alkohol entsteht. Und dies könne üble Nachfolgen haben…

„Wenn man die gesetzlich vorgeschriebene Grenze überschreitet, kann es zur Schließung der Brauerei kommen. Das wollen nur wenige Kleinbrauereien riskieren, und deshalb stellen sie kaum Alkoholfreies her.“

Matěj Žaba | Foto: Ondřej Tomšů,  Radio Prague International

Größere Unternehmen würden ihre Biere zwar pasteurisieren, um sie vom Alkohol zu befreien, die dafür notwendigen Anlagen sind Žaba zufolge aber sehr kostspielig und haben in einer Mini-Brauerei auch nichts zu suchen. Alkoholfreie Biere seien jedoch der nächste große Trend in der Welt des Craftbeers, meint der Braumeister…

„Bei Wettbewerben etwa wurden alkoholfreie Biere zuletzt immer wichtiger. Die ganze Welt bewegt sich in diese Richtung. Hier in Tschechien gibt es lediglich alkoholfreies Lagerbier. Mich würde es aber reizen, ein alkoholfreies IPA zu machen oder eine Gose – einfach ausgefallenere Bierstile, aber eben alkoholfrei.“

In Tschechien bestehe also noch Aufholbedarf, meint Matěj Žaba. Fast niemand braue bisher innovative alkoholfreie Biere – mit einer Ausnahme:

Matěj Žaba | Foto: Ondřej Tomšů,  Radio Prague International

„Die Brauerei Proud, die zu Pilsner Urquell gehört, geht in diese Richtung. Sie haben in dem Bereich experimentiert und mich sehr inspiriert. Ihr erstes alkoholfreies Bier war ein New England IPA. Man hat gar nicht erkannt, dass es sich um ein Alkoholfreies handelte. Es hat gut geschmeckt und hatte einen wunderbar hopfigen Geruch. Diese Richtung möchte auch ich im Bereich der alkoholfreien Biere einschlagen: Einfach etwas Anderes versuchen, als immer nur Lagerbier.“

Bis das erste alkoholfreie Bier auch in Kunovice ausgeschenkt wird, bleibt den Gästen nur, mit Alkohol im Glas anzustoßen.

Foto: Ondřej Tomšů,  Radio Prague International
13
49.04566456919019
17.463095566302314
default
49.04566456919019
17.463095566302314