"Grenzenlos" in Europa

Foto: Archiv ČRo 7

Dieser Tage wurde in Tschechien ein Jubiläum gefeiert. Zum 15.Mal jährte sich der gesellschaftspolitische Umbruch in der ehemaligen Tschechoslowakei, der bekanntlich als die so genannte Samtene oder auch Sanfte Revolution in die Geschichte eingegangen ist. Aus diesem Anlass fanden landesweit zahlreiche Veranstaltungen statt, bei denen die historischen Ereignisse des Wendejahres 1989 aus verschiedensten Blickwinkeln beleuchtet wurden. Es gab Treffen, die sowohl den Erinnerungen daran galten, wie es damals war, als auch den Einschätzungen, wie es nach 15 Jahren geworden ist. Über ein internationales Treffen, das aus diesem Anlass vor etwa zwei Wochen in Prag zustande kam, wollen wir in der nun folgenden Sendereihe Begegnungen berichten. Gestaltet hat den Beitrag Jitka Mládková:

Foto: Archiv ČRo 7
"Bez hranic - Grenzenlos" - so lautete das Motto des trilateralen Treffens, zu dem sich hochkarätige Gäste aus Tschechien, Österreich und Polen in Prag eingefunden haben. Neben Josef Ratzenböck, von 1977 - 1995 Landeshauptmann von Oberösterreich, waren unter den anwesenden Politikern z.B. auch der ehemalige tschechoslowakische Außenminister Jirí Dienstbier, der polnische Ex-Premier Tadeusz Mazowieczki, aber auch Angela Orthner, die Erste Präsidentin des oberösterreichischen Landtags, Christoph Leitl, Präsident der Wirtschaftskammer Österreichs, und viele andere Persönlichkeiten aus allen drei Ländern. Die Grenze als Trennlinie von einst und die neue Situation nach der Grenzöffnung 1989 waren ohne Zweifel die dominierenden Themen der feierlichen Begegnung. Auf diese bezogen sich letztendlich auch die Ausführungen einiger Teilnehmer, die Radio Prag angesprochen hat. So etwa Jirina Siklová, Dozentin an der Fakultät für Sozialwissenschaften an der Prager Karlsuniversität und ehemalige Dissidentin der Vorwendezeit, die sich dazu bekannt hat, die Beseitigung der früheren Grenzbarriere auch rein persönlich zu genießen. Darauf angesprochen, wie sie die Grenzen heute wahrnimmt, sagte sie:

"Formell gesehen gibt es die Grenzen fast nicht mehr! In diesem Sommer habe ich mich eines schönen Tages auf den Weg nach Österreich gemacht, einfach so, zum Pilze Sammeln. Das ist toll, dass man dorthin fahren kann, nicht um etwas zu sehen, etwas zu kaufen oder historische Denkmäler zu besichtigen, sondern um Pilze sammeln, die diesseits und jenseits der Grenze gleich sind."

Ja, etwas anscheinend Banales kann auch zur Wonne werden. Immerhin, der Großteil der heutigen Jugendlichen in Tschechien findet wohl gar nichts Besonderes daran, jenseits der Grenze Pilze sammeln zu können. Für sie ist das mittlerweile ganz normal. Ihre Eltern und Großeltern hingegen wissen das nach der langen Zeit ihres Lebens diesseits des Eisernen Vorhangs sehr zu schätzen. Nicht alle jedoch. Viele haben schnell vergessen, wie es einst war. Dazu Jirina Siklova:

Jirina Siklova  (Foto: Jana Sustova)
"Ich halte es für sehr schlecht, dass Vieles in Vergessenheit gerät und dass viele Menschen nur davon ausgehen, wie die aktuelle Lage aussieht, ohne sie mit der früheren Zeit zu vergleichen. Nicht selten erinnern sich die Eltern bzw. andere Verwandte junger Menschen von heute so an die Vergangenheit, als wäre sie etwas Optimales gewesen, und zwar aus dem einzigen Grund, dass man sich bei einem Rückblick - mit einem gewissen Zeitabstand - vor allem an das erinnern will, was einem in seinem früheren Leben gefallen hat. Damit kann man nichts Anderes machen, als dass man die trockenen Geschichtsfakten mit der so genannten 'Oral History' untermauert. Mit authentischen Erinnerungen also, die dem - sagen wir - Skelett auch das Fleisch zufügen."

Auf die Frage, wie die Grenzen in unseren Köpfen zu beseitigen sind, hat Jirina Siklova die folgende Antwort:

"Die muss man systematisch abbauen. Das geht aber nicht nur mittels Schulunterricht. Abbauen muss man auch die Vorurteile, die wir in unseren Köpfen haben, indem wir andere Menschen besser kennen lernen und nicht immer wieder nur die Phrasen wiederholen, die uns zurück in die Vergangenheit versetzen."


Achtung! Staatsgrenze  (Foto: Jana Sustova)
Soweit Jirina Siklova. Auch Leo Windtner, Generaldirektor der Energie AG Oberösterreich, hat Radio Prag erzählt, mit welchen Gefühlen er heute die österreichisch-tschechische Grenze wahrnimmt. Das Motto seiner Firma, die bereits vor der Wende bei der Kontaktaufnahme zur damaligen Tschechoslowakei erfolgreich war, sei, wie er auf Tschechisch sagt, "spolupráce" - Zusammenarbeit. Jitka Mladková unterhielt sich mit ihm:

Ihre Firma ist schon seit Jahren in Tschechien präsent. Zu der Zeit, als es noch die Grenzen im wahrsten Sinne des Wortes gab, haben Sie hier bereits Wurzeln geschlagen. Worauf ist das zurückzuführen?

"Weil wir eine historische und gute Nachbarschaft haben, und weil sich diese schon zu jener Zeit immer mehr entwickelt hat. Und auch, weil es uns nicht egal war, dass über der seinerzeit toten Grenze Leute leben, die mit uns auch gerne in kultureller, aber insbesondere in wirtschaftlicher Beziehung stehen wollen. Das haben wir schon damals sanft aufgebaut. Nach dem Fall des Eisernen Vorhangs als ersten Schritt ist das natürlich fast explosionsartig weitergegangen. Mit dem Beitritt der Tschechischen Republik zur Europäischen Union ist dann nochmals ein wesentlicher Schub, ein Rückenwind entstanden."

In Bezug auf die Tätigkeit Ihrer Firma in Tschechien haben Sie in Ihrem Statement gesagt, es gehe hier nicht um Markteroberung, sondern um Partnerschaft.

"Das ist richtig. Das spüren auch unsere Partner, dass es uns nicht darum geht, zu kommen, zu dominieren und abzucashen, und dann vielleicht wieder weg zu sein. Wir kommen hierher, um eine nachhaltige Entwicklungspolitik zu betreiben. Man kann nur in der Verfolgung langfristiger Ziele letztlich auch Vertrauen gewinnen, und nur mit Vertrauen kann man dann vielleicht auch einen gemeinsamen wirtschaftlichen Erfolg sicherstellen."

In welchen Bereichen ist Ihre Firma in Tschechien tätig?

"Wir sind in der Trinkwasserversorgung, in der Abwasserentsorgung und auch im Umweltbereich, und zwar bei Müllabfuhr und Abfallentsorgung, tätig. In Zukunft wollen wir bis zur thermischen Abfallentsorgung gehen."

Welche Probleme müssen Sie hierzulande in den genannten Bereichen lösen?

"Es ist natürlich in erster Linie die Sprachbarriere. Wir haben aber viele Mitarbeiter, die des Tschechischen mächtig sind. Wir haben auch im Management hier in Tschechien Menschen, die Deutsch beherrschen. Wir profitieren davon, dass nicht wenige tschechische Stundenten nach Österreich bzw. nach Linz studieren gehen, die wir dann von der Universität holen. Sie können die Ausbildung bei uns genießen und dann hier in Tschechien in die Organe wie etwa Vorstände und Aufsichtsräte einrücken und einen guten Job machen. Natürlich dadurch, dass sie hier Landsleute sind, die eine entsprechende Vertrauensbasis mitbringen. Das gelingt sehr gut. Auf der anderen Seite ist eines klar: Wir haben andere Standards. Zum Teil sind es EU-Standards, sowohl was die Vorgaben als auch was die technologische Seite betrifft. Man kann aber eines feststellen: In Tschechien gibt es eine sehr große Bereitschaft, an die europäischen Niveaus anzuschließen, und da sind wir gerne behilflich. Es geht darum, dass man das partnerschaftlich entwickelt. 'Spoluprace' ist für uns das Codewort!"

Was hat sich für Ihre Firma nach dem EU-Beitritt Tschechiens verändert?

"Eines ist klar: Es tut einfach wohl, an der Grenze fast durchzufahren, wie man heute z.B. nach Deutschland fährt. Das ist ein grenzenlos tolles Gefühl für uns. Wir haben jetzt das Feeling, dass es keine Barriere mehr gibt."


Ähnlich wie Leo Windtner, Generaldirektor der Energie AG Oberösterreich, äußerte sich gegenüber Radio Prag der ehemalige Landeshauptmann Josef Ratzenböck. Die Bedeutung des Zusammenbruchs des kommunistischen Imperiums für Österreich brachte er auf folgende Formel:

"Ich bin fest davon überzeugt, dass wir Österreicher der Union nicht hätten beitreten können, wenn noch dieser Eiserne Vorhang bestanden hätte, d.h., wenn der Ostblock noch kompakt da gewesen wäre. Wir werden in der EU noch manche Enttäuschungen zu verkraften haben. Der Weg in der Politik ist nie ganz gerade, sondern bringt Abschweifungen. Wir werden uns manchmal vielleicht sogar fragen: warum sind wir beigetreten? Aber die große Linie stimmt. Der Friede wird erhalten!"