Grenzwächter Böhmens: Mythen und Fakten über die Choden
Rund um die Stadt Domažlice / Taus in Südwestböhmen befindet sich das sogenannte Chodenland. Es ist relativ klein und war für die „große“ Geschichte kaum von Bedeutung. Allerdings spielt es eine wichtige Rolle in der tschechischen nationalen Mythologie des 19. und 20. Jahrhunderts. Und bis heute pflegen die Bewohner der Gegend besondere Traditionen. Im Folgenden mehr zur Geschichte der Choden.
Die Unterdrückung der mutigen und freidenkenden Choden war für Jirásek ein Symbol für die Leiden der Tschechen in der Habsburger Monarchie. Der Roman aus dem 19. Jahrhundert wurde bald sehr populär. Er wurde auch mehrmals verfilmt und gehört bis heute zur Pflichtlektüre an tschechischen Schulen.
Doch wer waren tatsächlich die legendären Choden, die Jirásek „Hundsköpfe“ nannte? Eduard Maur ist Historiker an der Universität in Pardubice:„Das Wort Hundsköpfe bezeichnete im Mittelalter jene bösen Geister, die einen menschlichen Körper hatten, aber ein Gesicht wie ein Hund und viele Finger und Zehen. Später wurden damit alle unsympathischen Menschen oder Völker bezeichnet, so zum Beispiel die Türken, als sie im 16. Jahrhundert Mitteleuropa eroberten. Zugleich wurden in den böhmischen Chroniken auch die Choden so genannt, jedoch ohne negative Konnotationen. Erstmals erschien diese Bezeichnung 1634. Ein Chronist beschrieb die Choden einfach als Verteidiger der böhmischen Landesgrenze, die als Lohn für diese Aufgabe zahlreiche Freiheiten genossen. Und er fügte hinzu, dass die Choden im Volksmund auch Hundsköpfe hießen."
Wachtdienst an der Grenze zu Bayern
Das Chodenland umfasst sieben, laut anderen Quellen elf Dörfer zwischen Domažlice und Tachov / Tachau. Die Orte wurden überwiegend im 13. Jahrhundert erstmals erwähnt. Die Legenden über den Ursprung der Choden reichen jedoch tiefer in die Geschichte hinein. Eine von ihnen erzählt, dass sie sich aus den Soldaten des Fürsten Boleslaw während seines Feldzugs nach Polen im 11. Jahrhundert formiert haben. Eine andere weist auf die Eroberung von Mailand im Jahr 1158 hin, damals soll Friedrich Barbarossa auch eine Truppe aus Böhmen geholfen haben. In beiden Fällen wurden die Choden für ihre Verdienste angeblich mit zahlreichen Privilegien belohnt.Nichts davon lässt sich aber nachweisen. Belegt ist hingegen, dass der böhmische König Johann von Luxemburg im 14. Jahrhundert die Choden mit dem Wachtdienst an der Landesgrenze zu Niederbayern und zur Oberpfalz beauftragte – und dabei ihre Privilegien bestätigte. Die Choden waren ab da direkt dem böhmischen König unterstellt und durften auch eigene Wappen, Siegel und Standarten verwenden. Dies fasste der König in einer Urkunde zusammen, die die Choden auf der Burg in Domažlice aufbewahrten. Schon damals wurde der Hundskopf zu ihrem Wappen. Worin der Wachdienst in diesem Fall bestanden haben könnte, dazu Jiří Mikulec vom historischen Institut der Tschechischen Akademie der Wissenschaften:
„Allgemein verbreitet ist die Ansicht, die auch von Alois Jirásek gestützt wurde: dass die Choden die Grenze vor den Deutschen geschützt haben sollen. Das ist aber irreführend. Man muss in Betracht ziehen, dass es nur relativ wenige Choden gab. Die Bauern aus sieben Dörfern konnten sich nicht einfach einer Armee entgegenstellen. Ihre Aufgabe war eher der Finanzwachdienst, das heißt, die Waren zu kontrollieren, Zollgebühren einzunehmen und im Rahmen des Möglichen die Handelswege zu schützen. Bei Gefahr sollten sie dies melden und eventuell um Verstärkung bitten. Die Choden verfolgten höchstens einige strafflüchtige Diebe.“Streit um den Frondienst
Die Probleme begannen, als die böhmischen Könige ab dem 15. Jahrhundert das Land der Choden verpfändeten. Denn unklar war, welche Pflichten nun gegenüber den neuen Herren bestanden. Vor allem während der Herrschaft der Schwammberger kam es zu Unruhen, weil die Choden vermuteten, aufgrund der königlichen Privilegien vom Frondienst befreit zu sein. Das aber stand nicht in der königlichen Urkunde. Die Historiker vermuten, dass die Choden einfache Bauern gewesen sein müssen, denen jede rechtliche Ausbildung fehlte. Darüber hinaus war die Urkunde auf Latein und in gotischer Schrift verfasst, und die Choden konnten sie wohl kaum lesen. Die Lage verschärfte sich im 17. Jahrhundert, als das Chodengebiet an die Familie Laminger übereignet wurde. Der Streit gelangte sogar dem Hof in Wien zu Ohren.„Der Streit kulminierte 1668, als Kaiser Leopold das sogenannte ‚Perpetuum silentium‘ anordnete. Das hieß praktisch, dass die Choden nicht mehr über ihre Privilegien reden durften. Ein weiterer wichtiger Moment war der kaiserliche Besuch in Böhmen im Jahr 1680. Die Bauern protestierten bei dieser Gelegenheit gegen den Frondienst und die hohen Abgaben. Es kam zu Demonstrationen, an denen sich die Choden beteiligten, sie schickten dem Kaiser eine Petition für die Erhaltung ihrer vermeintlichen Rechte. Der Kaiser antwortete mit einem Patent, in dem er alle vor dem Jahre 1620 erteilten Privilegien für ungültig erklärte. Auf diese Weise bestrafte er den Aufstand. 1620 kam es auch zur Schlacht am Weißen Berg, nach der die Böhmischen Länder an die Habsburger fielen. Maximilian Lamingen forderte aufgrund dieses kaiserlichen Patents die Choden auf, die betreffende Urkunde ihm zu übergeben“, so Eduard Maur.
Zum Tode verurteilt
Die Choden leisteten dem tatsächlich Folge, 1692 brach jedoch der Streit wieder los. Der Überlieferung nach behauptete ein Jäger, er habe den Kaiser in Wien besucht und sich mit ihm freundlich unterhalten. Bei den Choden weckte dies neue Hoffnungen. Sie schickten nacheinander drei Gesandtschaften nach Wien, die dritte unter der Leitung von Jan Kozina. Dies führte offensichtlich zu keinem Erfolg, der Kaiser hatte die Abordnungen wahrscheinlich nicht einmal empfangen. In der Folge kam es zu Unruhen bei Domažlice, die Choden verweigerten den Frondienst. Lamingen ließ die Aufständischen vor Gericht stellen, und Jan Kozina wurde zum Tode verurteilt. Seitdem gilt Lamingen unter den Tschechen als Schuft, der die Untertanen unterdrückt hat. Jiří Milukec:„In heutiger Sprache könnte man ihn als einen tüchtigen, jedoch rücksichtlosen Unternehmer bezeichnen. Er gründete die erste Manufaktur in Böhmen, die Spinnerei in Kdyně (Deutsch: Gedein, Anm. d. Red.). Es entstanden auch neue Schmieden und Sägewerke, Holz wurde massenhaft weit und breit verkauft. Die Wirtschaftslage in der Region verbesserte sich unter Lamingens Herrschaft. Zugleich verfolgte die Familie seit ihrer Ankunft im Chodenland ihre eigenen Interessen. Ihr Ziel war es, so viel wie möglich aus der Region herauszupressen, auf die Bedürfnisse der Menschen wurde nur wenig geachtet. Der Arbeitsdruck nahm deutlich zu – und das führte zu den Konflikten.“In der Gegend selbst ist diese Geschichte natürlich von jeher bekannt, aber erst im 19. Jahrhundert wurde sie in ganz Böhmen populär. Als erste wurde sie von Božena Němcová entdeckt, die Schriftstellerin verpackte sie in einigen ihrer Erzählungen. Diese Erzählungen erschienen als Serie in einer Zeitung. Erst veröffentlichte Alois Jirásek den erwähnten Roman „Psohlavci“.
Heutzutage ist das Chodenland vor allem durch seine Volksmusik bekannt. So findet jedes Jahr in Domažlice ein internationales Dudelsackfest statt. An den ernsten Streit um die Privilegien wird nur noch im Museum von Domažlice erinnert.