Von der Frühgeschichte bis 1989: Ausstellung „Achtung Grenze!“ (II)

Buch „Pozor, hranice!“ / „Achtung Grenze!“

Das jahrhundertelange Zusammenleben von Tschechen und Deutschen in der Grenzregion des Český les / Böhmischer Wald ist das Thema einer multimedialen Ausstellung. Unter dem Titel „Achtung Grenze!“ ist sie im Kulturzentrum im westböhmischen Domažlice / Taus zu sehen. In unserer Sendereihe „Kapitel aus der tschechischen Geschichte“ haben wir Sie in die Schau eingeladen und versprochen, die Führung fortzusetzen.

Die zweisprachige Ausstellung sucht nach Antworten auf Fragen, wie die Tschechen und die Deutschen in der Grenzregion des Böhmischen Waldes gelebt haben und wie sich die Bedeutung der Grenze im Lauf der Jahrhunderte geändert hat. Die Schau dokumentiert die Entwicklung von der Frühgeschichte bis zur Wende von 1989. Die Führung durch die Ausstellung setzen wir mit der Zeit nach dem Dreißigjährigen Krieg fort.

Foto: Martina Schneibergová,  Radio Prague International

Der Krieg änderte damals vieles. Er bedeutete auch das Ende der königlichen Privilegien, die die Choden seit dem 14. Jahrhundert als königliche Untertanen hatten. Die Herrscher waren nun nicht mehr interessiert an ihren Wachdiensten an der Grenze. Dagegen rebellierten die Choden. Ein Anführer des Aufstands, Jan Sladký Kozina, wurde hingerichtet. Kristýna Pinkrová hat die Ausstellung zusammengestellt:

„Für mich war es eine harte Nuss, den Besuchern diese Epoche näher zu bringen. Denn auf tschechischer Seite der Grenze ist bei der mittleren und älteren Generation immer noch die Geschichte von Jan Sladký Kozina bekannt. Kinder, die nicht aus Chodenland stammen, kennen sie jedoch kaum. Denn die Bücher von Alois Jirásek, die er über die aufständischen Choden schrieb, werden nicht mehr gelesen. Darum habe ich mich in der Schau auf zwei universelle Sichtweisen konzentriert: Ob es wichtiger ist, die Traditionen aufrechtzuerhalten, für die Jan Sladký Kozina eintrat, oder sich um einen Fortschritt zu bemühen, den wir in der Ausstellung durch Laminger von Albenreuth dargestellt haben. In den Romanen über die Choden-Rebellion wird er ,Lomikar‘ genannt. Laminger legte in Kdyně übrigens den Grundstein für die künftige erfolgreiche Fabrik Elitex. In der Schau können sich die Besucher entscheiden, wem sie ihre Stimmen geben würden: dem legendären Kozina oder Lomikar.“

Foto: Martina Schneibergová,  Radio Prague International

Tschechische Schriftsteller und der Berg Čerchov

Ein weiterer Teil der Ausstellung konzentriert sich auf das 19. Jahrhundert. Kristýna Pinkrová betont, dass sich damals auf dem Marktplatz von Domažlice Tschechen, Deutsche und Juden begegnet sind. Sie erinnert zudem an Gräfin Mitsuko Coudenhove-Kalergi, die Mutter des Begründers der Paneuropa-Union, Richard von Coudenhove-Kalergi. Die Familie lebte damals in Poběžovice / Ronsperg. Pinkrová stellt zudem weitere Persönlichkeiten vor, die oft das Chodenland besuchten.

„Ich wollte hervorheben, was diese Persönlichkeiten für das Chodenland gemacht und wie sie die Region entdeckt haben. Denn das Chodenland galt als eine halb vergessene Gegend. Dank aber Schriftstellern wie Karel Jaromír Erben, Božena Němcová und Alois Jirásek haben auch weitere Tschechen die Gegend entdeckt. Und tschechische Patrioten wanderten im 19. Jahrhundert gerne auf den Berg Čerchov.“

Foto: Martina Schneibergová,  Radio Prague International

Mit 1042 Metern ist der Čerchov respektive Schwarzkopf die höchste Erhebung im Böhmischen Wald.

Pinkrová befasst sich des Weiteren mit dem Phänomen der Keramik aus dem Chodenland. Sie wurd damals zu einem typischen Souvenir, das die Touristen gerne mit nach Hause nahmen. Die Tradition der Keramikproduktion wurde laut der Expertin in den vergangenen Jahren wiederbelebt:

„Die Keramikherstellung war in der Zeit des Kommunismus unterbrochen. Die heutigen Firmen knüpfen an frühere Betriebe an. Die Familie Mojžíš aus einem Nachbardorf von Domažlice kreiert beispielsweise Keramikgegenstände nach alten Entwürfen. Ich stelle mir manchmal die Frage, ob es nicht gut wäre, die Motive aus dem Chodenland ein wenig zu modernisieren.“

Foto: Martina Schneibergová,  Radio Prague International

Während des Ersten Weltkriegs ging es den Menschen auf beiden Seiten der Grenze wohl gleich schlecht. Kristýna Pinkrová macht auf einige Fotos aufmerksam:

„Auf den Bildern sind Soldaten zu sehen, die in den Krieg ziehen mussten. Ihre Nächsten hatten Angst um sie. Mit der Entstehung der tschechoslowakischen Legionen kommt es zur Wende: Menschen von beiden Seiten der Grenze, die bisher auf derselben Seite gekämpft hatten, wurden auf einmal zu Gegnern. Mit der Entstehung der Tschechoslowakischen Republik fängt die Trennung an. Wir zeigen hier ein Foto, auf dem die Tschechen die Gründung der Republik feiern. Deutsche haben zweifelsohne auch gefeiert, aber das Kriegsende. Am Beispiel von zwei Denkmälern wird der Unterschied nähergebracht. Das erste, das einen jungen Mann darstellt, trägt den Titel ,Sie sind gestorben, damit die Linde leben konnte’ und symbolisiert die neue Tschechoslowakische Republik. Das deutsche Denkmal erinnert an die Gefallenen und konzentriert sich hingegen auf die Vergangenheit. Die beiden Denkmäler stehen nur 20 Kilometer voneinander entfernt.“

In dieser Zeit gewann laut Pinkrová die Grenze an Bedeutung. Es gab Kontrollen und die Reisepässe wurden gestempelt.

Foto: Martina Schneibergová,  Radio Prague International

Eine Vorstellung davon, wie sich die gesellschaftliche Stimmung in der Gegend während der Ersten Republik entwickelt hat, kann man sich Kristýna Pinkrová zufolge aufgrund der Wahlergebnisse machen. Gezeigt werden zwei historische Fotos.

„Auf dem einen Foto sind Tschechen in Volkstrachten zu sehen, wie sie 1923 in Domažlice Präsident Masaryk begrüßten. Auf dem anderen Bild begrüßen Sudetendeutsche 1937 im Fußballstadion von Hostouň Konrad Henlein. Ich wollte aber auch erklären, warum die Sudetendeutschen so radikal gewählt haben. Gezeigt werden hier Artikel aus dem tschechischen Wochenblatt ,Posel od Čerchova‘, in dem auf fast naive Weise der Lebensstil der Bevölkerung auf dem Lande gelobt wird. Wir zeigen hier auch Ausschnitte aus einer Reportage des Sozialdemokraten Wenzel Jaksch über die ,ärmste Ecke des Böhmerwaldes‘. Er beschreibt darin, wie groß die Not in Folmava und in Nemanice war. Die Deutschen litten zudem unter der hohen Arbeitslosigkeit. Die Ausschnitte können sich die Besucher in den beiden Sprachen durchlesen.“

Foto: Martina Schneibergová,  Radio Prague International

Filmklassiker „Casablanca“ und sein Vorbild aus Westböhmen

Im nächsten Teil der Ausstellung stehen der Zweite Weltkrieg und die Ereignisse kurz vor Kriegsausbruch im Fokus. Fotografien dokumentieren das Schicksal des Chodenlandes nach dem Münchner Abkommen.

Foto: Martina Schneibergová,  Radio Prague International

„Ich wollte in der Schau zeigen, dass das, was für das eine Volk Grund zum Feiern war, für das andere ein traumatisierendes Erlebnis darstellte. Dies gilt nicht nur für die tschechische Seite der Grenze, sondern auch für die bayerische Seite zu Kriegsende. Zu sehen sind einige Bilder, die US-amerikanische Soldaten schossen, als sie das Chodenland befreiten und das bayrische Grenzgebiet besetzten.“

Sie wollte keine Kriegsoperationen beschreiben, sondern an einige starke Persönlichkeiten erinnern, merkt Pinkrová an.

„Der späteren Schriftstellerin Eva Erbenová gelang es, vom Todesmarsch zu flüchten. Sie versteckte sich bis zum Kriegsende bei der Familie Jahn in Postřekov. Wir beschreiben hier auch die Geschichte von Jan Smudek, der aus Bělá nad Radbuzou stammte. Er war das Vorbild für die Figur des Widerstandskämpfers Viktor László im Oscar-prämierten Filmklassiker ‚Casablanca‘.“

Foto: Martina Schneibergová,  Radio Prague International

Ein traumatisierendes Ereignis, das sich bis heute auf die Grenzregion auf tschechischer Seite auswirkt, war der Expertin zufolge die Vertreibung der deutschsprachigen Bevölkerung. In der Schau wird unter anderem ein authentischer Kinderkoffer gezeigt.

„Das Thema des Verlassens der Heimat war mir vor dem Ausbruch des Krieges in der Ukraine für die Kinder allzu abstrakt und schwer vorgekommen. Bevor die Ausstellung jedoch eröffnet wurde, begann der Krieg. Mittlerweile haben die Kinder ukrainische Mitschüler, die nach Tschechien geflüchtet sind. Leider ist es nun viel einfacher, den Kindern zu erklären, was es bedeutet, die Heimat verlassen zu müssen.“

Pinkrová erzählt, sie habe nach Fotos und Dokumenten aus der Zeit des Eisernen Vorhangs gesucht und überlegt, wie sie diese Epoche den Besuchern näherbringen könne.

Foto: Martina Schneibergová,  Radio Prague International

„Ich habe auch darüber nachgedacht, wer schlechter dran war: eine deutsch-tschechische Familie, die nicht vertrieben wurde und im totalitären Regime lebte, oder deren Cousin, der vertrieben wurde, aber in einem demokratischen Land aufwachsen konnte. Ich habe mir zwei fiktive Personen ausgedacht, die uns durch diesen Teil der Ausstellung begleiten. Aber ihre Geschichten gehen von Zeitzeugenaussagen der Bewohner von Folmava aus, die ich gehört oder gelesen habe. Einige der dortigen tschechisch-deutschen Familien wurden zwar nicht vertrieben, mussten aber die Stadt verlassen und an einen anderen Ort ziehen.“

Pinkrová lenkt in diesem Teil der Ausstellung die Aufmerksamkeit auch auf den Eisernen Vorhangs als solches, die Toten an der Grenze sowie Menschen, die für den Versuch, die Grenze zu überschreiten, im Gefängnis landeten. Die Schau endet mit der Grenzöffnung nach der Wende von 1989.

Foto: Martina Schneibergová,  Radio Prague International

Die Ausstellung wird im Kulturzentrum der Brauerei Domažlice gezeigt. Mehr über die Öffnungszeiten erfahren Sie unter: https://www.domazlice.eu/mestsky-pivovar-domazlice. Aber außerhalb der Öffnungszeiten lässt sich unter der Telefonnummer +420 607 142 491 ein Besuchstermin vereinbaren. Der Eintritt ist frei.

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