Von der Frühgeschichte bis 1989: Ausstellung „Achtung Grenze!“ zeigt Leben zwischen Bayern und Böhmen

Das jahrhundertelange Zusammenleben von Tschechen und Deutschen in der Grenzregion des Český les / Böhmischer Wald ist das Thema einer multimedialen Ausstellung. Unter dem Titel „Achtung Grenze!“ ist sie im Kulturzentrum im westböhmischen Domažlice / Taus zu sehen.

Buch „Pozor,  hranice!“ / „Achtung Grenze!“ | Foto: chodskozije.cz

Wie haben die Tschechen und die Deutschen in der Grenzregion des Böhmischen Waldes vor Jahrhunderten gelebt? Welche Wandlungen im Zusammenleben gab es im Laufe der Zeit? Wann wurden die Grenzen zum ersten Mal geschlossen? Nach den Antworten auf diese Fragen sucht eine zweisprachige Ausstellung, die in Domažlice zu sehen ist. Kristýna Pinkrová hat die Schau „Achtung Grenze!“ zusammengestellt. 2020 hat sie bereits einen gleichnamigen Bildband herausgegeben. Die Historikerin erläutert, wie sie und ihre Kollegen vorgegangen sind.

„Wir haben das Thema aus dem Blickwinkel der Grenzen behandelt. Wir wollten nicht die einzelnen historischen Ereignisse ausführlich beschreiben, sondern konzentrierten uns auf die Grenze, ihre Bedeutung und ihren Wandel. Die Ausstellung ist in zehn Abschnitte gegliedert, die verschiedene Zeitepochen darstellen.“

Die Ausstellung beginnt mit der Prähistorie und endet mit der Zeit nach dem Fall des Eisernen Vorhangs. In der Urgeschichte existierte noch keine Grenze, weil es auch kein Staatsgebilde gab. Es habe jedoch Naturgrenzen gegeben, merkt Kristýna Pinkrová an. Während der Führungen durch die Schau stellt sie ihren Worten zufolge die Frage, ob es den Menschen auf dem Gebiet des heutigen Westböhmens und Bayerns damals genauso ging und ob es dafür Beweise gibt. Und hier die Antwort:

„Es gibt dieselben Grabhügel in Westböhmen und im bayerischen Grenzgebiet. Dies ist für uns einer der Beweise, dass die Menschen die Verstorbenen auf dieselbe Weise bestatteten. Sie benutzten dieselbe Art der Keramik, die in den Grabhügeln gefunden wurde.“

Wagen von Milavče

Foto: Martina Schneibergová,  Radio Prague International

Für jede der dargestellten Zeitepochen gebe es etwas Typisches, sagt die Expertin. Sie habe versucht, immer einen Gegenstand oder ein Ereignis in den Fokus zu stellen, so Pinkrová.

„In diesem Fall ist es eine Kopie des Wagens von Milavče (Milawetsch, Anm. d. Red.). Der Originalfund wird im Prager Nationalmuseum aufbewahrt. Es handelt sich um einen Gegenstand aus der Bronzezeit. Der Wagen hat eine grüne Patina. Da wir wissen, dass Kinder archäologische Funde eher hässlich finden, weil alles braun, grau oder grün ist, ließen wir eine Kopie des Wagens kreieren, aber in der Form, wie er in der Urzeit ungefähr ausgesehen hat. Der Wagen ist also in vollem Glanz. Mit den Besuchern diskutieren wir darüber, wozu der Gegenstand dienen konnte. Da wir es aber bis heute nicht wissen, können eigentlich alle Hypothesen stimmen.“

Schlacht bei Brůdek

Foto: Martina Schneibergová,  Radio Prague International

Im nächsten Teil der Ausstellung wird das Leben im Grenzgebiet im Frühmittelalter beschrieben. Kristýna Pinkrová dazu:

„Ein wichtiger Moment für die böhmische Seite ist die Schlacht bei Brůdek (1040, Anm.d. Red.). Im Zusammenhang mit der Schlacht werden zum ersten Mal in der Dalimil-Chronik die Choden erwähnt. Bis heute wissen wir nicht, wo sich die Schlacht bei Brůdek abspielte. In Frage kommen drei Möglichkeiten: Erstens die Bezeichnung Brůdek bei Všeruby, die vom Historiker František Palacký stammt. Aber diese Möglichkeit wird heutzutage eher für unwahrscheinlich gehalten. Die Archäologen sind der Meinung, dass es um Pasečnice nahe Domažlice ging. Und schließlich kommt die Möglichkeit in Frage, dass es nahe dem Kloster Pivoň (deutsch Stockau, Anm. d. Red.) war. Wenn man sich die Landkarte anschaut, liegen die Orte etwa 33 Kilometer voneinander entfernt.“

Foto: Martina Schneibergová,  Radio Prague International

Die Choden waren freie Bauern, die direkt dem König unterstellt waren. Sie wurden beauftragt, die Grenzen zu schützen. Es ist jedoch unklar, ob das schon im 11. Jahrhundert so war, als die Grenzen an Bedeutung gewannen. Die Privilegien der Choden stammen erst aus dem 14. Jahrhundert. Auf bayerischer Seite gab es Pinkrová zufolge keine dem König oder einem Fürsten unterstellten Bauern, die mit dem Grenzschutz beauftragt gewesen wären. Um diese Aufgabe kümmerten sich laut der Expertin die Bürger von Furth im Wald und wurden dafür bezahlt. Wie sah sonst das Leben in Bayern und in Westböhmen im Grenzgebiet im Frühmittelalter aus? Kristýna Pinkrová:

„Die Keramikfunde sehen fast identisch aus. Die Städte entwickelten sich nach denselben Prinzipien. Gezeigt werden hier die Grundrisse von Domažlice und Furth im Wald. Sie unterschieden sich voneinander dadurch, dass Domažlice als eine königliche Stadt eine Befestigung aus Stein hatte, während Furth im Wald eher als eine Zollstation wahrgenommen wurde. Die Stadtbefestigung dort war bedeutend bescheidener und aus Holz.“

Foto: Martina Schneibergová,  Radio Prague International

Jede Zeitepoche wird in einer in der Kreisform gestalteten Ausstellung behandelt, wobei auf den Außenseiten des Kreises immer noch einige Details ergänzt werden.

„Wenn der Besucher diesen Teil überspringt, passiert nichts, falls ihn die  jeweilige Zeitepoche jedoch mehr interessiert, kann er länger bleiben und sich mit den erweiternden Informationen bekannt machen. Hier wird beispielsweise erklärt, wer die Choden waren. Ich halte zudem für wichtig, dass ein Teil der Besucher, Orte besichtigen wird, auf die wir hier aufmerksam machen. So laden wir in den Geschichtspark Bärnau-Tachov ein. Dort wurde nach den Prinzipien der experimentellen Archäologie ein frühmittelalterliches Dorf gebaut. Mich fasziniert daran die Tatsache, dass dort nicht nur die fertigen Bauten zu sehen sind, sondern dass man den Entstehungsprozess vor Ort beobachten kann.“

Madonna von Loučim

Foto: Martina Schneibergová,  Radio Prague International

Eine Grenze, die noch schwerer zu überwinden war, als die Landesgrenze, war im 15. Jahrhundert die Glaubensgrenze, erzählt Kristýna Pinkrová. Die Ausstellung konzentriert sich im weiteren Teil auf die Hussitenbewegung.

„Die Hussiten galten auf bayerischer Seite als diejenigen, die gekommen sind, um zu rauben und zu morden. Auf böhmischer Seite überwog die Vorstellung von den Hussiten als Kämpfer für ihren Glauben. Ein Ausdruck der Auseinandersetzungen, in deren Mittelpunkt der Glauben stand, ist die Geschichte der Madonna von Loučim (Lautschim, Anm. d. Red.). Die Legende ist erst im 17. Jahrhundert entstanden. Der Legende nach soll eine fromme Bäuerin eine Figur der Mutter Gottes in den Wald auf bayerischer Seite gebracht und dort versteckt haben. Ein Hussitenhauptmann hat sie jedoch gefunden und das Haupt der Figur mit seinem Schwert gespalten. In dem Moment kam Blut aus dem Kopf heraus. Und es kam zugleich zu einer Bekehrung des Hussiten. Als man nach den Hussitenkriegen versuchte, die Madonna an ihren ursprünglichen Standort in Loučim zu bringen, ist die Figur immer an den Ort im Wald zurückgekehrt, wo sich das Wunder abspielte. Dort entstand anschließend der Wallfahrtsort Neukirchen beim Heiligen Blut. Dieser ist etwa 15 Kilometer von Loučim entfernt.“

Foto: Martina Schneibergová,  Radio Prague International

Jahrhunderte lang pilgerten Deutsche und Tschechen gemeinsam nach Neukirchen. Die Wallfahrtstradition auf tschechischer Seite wurde nach der Wende von 1989 wiederbelebt. In einem Jahr wird aus Loučim nach Neukirchen gepilgert, das nächste Jahr umgekehrt von Deutschland nach Böhmen.

„Die Originalfigur befindet sich in Neukirchen, eine Kopie in der Kirche in Loučim. Die älteste Legende über die Madonna von Loučim stammt von einem deutschen Priester.“

Foto: Martina Schneibergová,  Radio Prague International

Auf zwei Orte, die mit den Hussiten verbunden sind, wird in der Schau aufmerksam gemacht: Auf dem Hügel Baldov steht ein Denkmal in Form eines großen Kelchs, das an die Schlacht bei Domažlice erinnert. Und in Kout na Šumavě / Kauth soll Kardinal Cesarini, der der Gesandte des Papstes war, bei der Flucht vor den Hussiten seinen Hut verloren haben. Die Expertin:

„Davon, dass diese Legende nicht vergessen wurde, zeugt die Tatsache, dass Kardinal Duka, der 2018 an der St. Laurentius-Wallfahrt in Domažlice teilnahm, damals dem Bürgermeister der Stadt seinen Hut schenkte – als Andenken an die Ereignisse von 1431. Ich hielt es für schade, dass der Hut im Rathaus liegt, wirzeigen ihn darum hier in einer Vitrine.“

Jede der Zeitepochen wird noch durch ein fiktives Gespräch zwischen Personen illustriert, die auf den beiden Seiten der Grenze lebten. Das Gespräch wird in beiden Sprachen geführt.

Die Führung durch die Ausstellung „Achtung Grenze!“ werden wir in einer der nächsten Ausgaben der Sendereihe „Kapitel aus der tschechischen Geschichte“ fortsetzen. Die Ausstellung wird im Kulturzentrum in der Brauerei Domažlice gezeigt. Geöffnet ist sie von Juni bis September täglich Montag bis Freitag von 8 bis 12 und von 13 bis 16 Uhr sowie am Wochenende von 9 bis 12 und von 13 bis 17 Uhr. Von Oktober bis Mai ist die Ausstellung nur von Montag bis Freitag von 8 bis 12 und von 13 bis 16 Uhr geöffnet. Im Voraus kann man auch einen Besuch außerhalb der Öffnungszeiten unter der Telefonnummer +420 607 142 491 vereinbaren. Der Eintritt ist frei.

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