Großer Protesttag der Gewerkschaften in Tschechien – Regierungspolitiker äußern Unverständnis

Josef Středula

Für Montag haben die Gewerkschaften in Tschechien einen großen Protesttag angekündigt. Dieser richtet sich vor allem gegen das Sparpaket der Regierung und die geplanten Reformen im Bildungssystem.

Petr Pavel | Foto: René Volfík,  iROZHLAS.cz

Präsident Petr Pavel hat am Mittwoch das sogenannte Konsolidierungspaket der Regierung unterschrieben. Die Koalition in Tschechien will damit das Haushaltsdefizit reduzieren. Pavel hatte seinen Aussagen nach gezögert, ob er das Paket unterschreiben solle. Letztlich sagte er:

„Weil das Tempo der Staatsverschuldung nicht mehr zu bewältigen ist, habe ich mich heute dazu entschieden, dieses Maßnahmenpaket der Regierung zu unterschreiben, das uns zur Stabilisierung der öffentlichen Finanzen führen soll. Das Paket nicht zu unterzeichnen würde bedeuten, dass nichts auf dem Weg zur Reduzierung der Staatsschulden geschehen würde. Und das würde noch viel größeren Schaden anrichten.“

Doch die Gewerkschaften laufen Sturm gegen die Sparmaßnahmen, die die Regierung plant. Für Montag hat deswegen der größte ihrer Dachverbände, ČMKOS, einen landesweiten Protesttag geplant. So wollen rund eine Million Arbeitnehmer in einen einstündigen Warnstreik treten. Denn ihre Verbände halten das Konsolidierungspaket für sozial unausgewogen. Zudem werfen sie den Regierungsvertretern vor, die gemeinsam von Gewerkschaften und Arbeitgebern vorgebrachten Kritikpunkte und Änderungsvorschläge nicht wirklich ernst zu nehmen.

Josef Středula | Foto: René Volfík,  iROZHLAS.cz

Josef Středula ist Vorsitzender des Dachverbandes ČMKOS. In den Inlandssendungen des Tschechischen Rundfunks verwies er darauf, dass die Sparmaßnahmen in Zeiten hoher Inflationsraten geschehen…

„Die Preise steigen weiter an – und das im Vergleich zu den hohen Preisen, die es bereits gab und gegen die die Regierung auch schon nichts unternommen hat. Die Folgen sind deutlich gesunkene Reallöhne, und die Menschen kaufen deswegen nichts ein. Die tschechische Volkswirtschaft zeigt bereits seit 17 Monaten sehr problematische Symptome in Zusammenhang mit dem reduzierten Konsum. Wir befinden uns in einer Stagflation, und im Endeffekt droht, dass sich das Problem noch lange hinziehen wird“, so die Analyse des Gewerkschaftsbosses.

Stagflation bedeutet, dass Inflation auf einen Rückgang der Konjunktur trifft.

Im vergangenen Jahr lag der Reallohnverlust hierzulande laut dem Statistikamt (ČSÚ) beim Rekordwert von durchschnittlich 7,5 Prozent. Und auch für dieses Jahr prophezeit die EU unter allen Mitgliedsländern gerade Tschechien den größten Einbruch bei den Reallöhnen.

Doch Regierungspolitiker halten die Vorwürfe der Gewerkschaften für Schwarzmalerei.

Marian Jurečka | Foto: Regierungsamt der Tschechischen Republik

„Wir befinden uns an einem Punkt, an dem sich der Inflationsdruck von selbst verringert und in den kommenden Monaten wahrscheinlich auch die Reallöhne wieder steigen. Das heißt, wir haben das Schlimmste bereits hinter uns. Mir erscheint es nicht gerade angebracht, in dieser Lage einen Streik auszurufen“, sagte Arbeits- und Sozialminister Marian Jurečka (Christdemokraten).

Und im öffentlichen-rechtlichen Tschechischen Fernsehen verteidigte Finanzminister Zbyněk Stanjura (Bürgerdemokraten) die Sparmaßnahmen der Regierung:

Zbyněk Stanjura | Foto: Regierungsamt der Tschechischen Republik

„Wir haben das Gesundungspaket so gestaltet, dass es sozial verträglich ist. Es handelt sich um das fünfte Paket dieser Art in der Geschichte der Tschechischen Republik und das erste, das nicht ins Sozialsystem eingreift. Wir sind überzeugt, dass wir die Folgen gerecht verteilt haben und keine Altersgruppe, keine soziale Schicht und kein Berufsfeld die Kosten in einer Weise tragen muss, die nicht zu meistern ist.“

Wie stark derzeit die Differenzen zwischen Gewerkschaften und Regierung sind, zeigte sich gerade bei Stanjuras Auftritt im Fernsehen. Rund 20 Minuten lang diskutierten der Finanzminister und Gewerkschaftsboss Středula über den Streik und das Sparpaket – und mit jeder Replik heizte sich der Schlagabtausch auf.

Dass die Lage festgefahren sei, sagt auch die Wirtschaftsanalytikerin des Tschechischen Rundfunks, Jana Klímová. Allerdings zeigt sie sich sehr verwundert darüber, dass die Gewerkschaften wegen der Reallohnentwicklung gegen die Regierung protestieren und nicht die Arbeitgeber in die Pflicht nehmen:

„Vor allem im Fall der Industrieunternehmen sollten die Beschäftigten viel eher auf ihre Arbeitgeber Druck ausüben, dass diese die Löhne erhöhen und so den Reallohnverlust abschwächen. Stattdessen kämpfen die Gewerkschaften für die Arbeitgeber, damit die Regierung ihnen Zuschüsse zum Kauf von Energie gewährt. Dabei sind zum Beispiel im zweiten Quartal dieses Jahres die Gewinne der Unternehmen hier in Tschechien im Rekordtempo von 40 Prozent angestiegen.“

Die zentrale Kundgebung der Gewerkschaften soll im Übrigen am Montag im Zentrum Prags stattfinden.

Autor: Till Janzer | Quellen: Český rozhlas , Česká televize , ČTK
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