Heldenfrisieren mit Rilke und Zweig – Ausstellung über Kriegspropaganda im Ersten Weltkrieg
Wohl kaum ein Herrschergeschlecht betrieb die Kriegspropaganda so professionell wie die Habsburger in Österreich. Mit Beginn des ersten Weltkriegs wurde in Wien ein Kriegspressequartier eingerichtet. Auch böhmische und mährische Künstler arbeiteten dort sowie im k.u.k. Kriegsarchiv an einer heroischen Darstellung des Krieges. 100 Jahre nach Beginn des Ersten Weltkriegs ist eine Ausstellung des Adalbert-Stifter-Vereins zu dem Thema im Goethe-Institut Dresden zu sehen. Ihr Titel: „Musen an die Front! Schriftsteller und Künstler im Dienst der k. u. k. Kriegspropaganda 1914 – 1918“.
„Rainer Maria Rilke war 1915 in München. Als österreichischer Staatsbürger musste er aber zum Militär. Er hat eine Grundausbildung von drei oder vier Wochen absolviert, aber dabei hat man festgestellt, dass er ein schrecklicher Soldat ist. Man hat ihn dann ins Kriegsarchiv geschickt, wo er spezielle Aufgaben hatte. Aber wir wissen das ganz genau: Der war kein Soldat, der war ein Poet. Eher ein schüchterner, zurückgezogener Mensch. Natürlich war ihm auch das Kriegsarchiv zu viel, das war nicht sein Metier, seine Umgebung“,
sagt Jozo Džambo, der die Ausstellung „Musen an die Front“ für den Adalbert-Stifter-Verein konzipiert hat. Zu Beginn begrüßte Rilke den Krieg noch euphorisch, wie etwa seine Schriftstellerkollegen Stefan Zweig und Thomas Mann. Doch diese Stimmung hielt nicht lange. Die Arbeit im Kriegsarchiv war ihm verhasst. Jozo Džambo:
„Rilke und seine Kollegen haben von den Offizieren an der Front Nachrichten bekommen, die mit wenigen Zeilen bestimmte ,Heldentaten‘ ihrer Soldaten geschildert haben. Rainer Maria Rilke, Stefan Zweig und die anderen sollten jetzt aus diesen nüchternen, kurzen Berichten ganze Geschichten für das Lesepublikum machen. Sie haben das selbstironisch ,heldenfrisieren‘ genannt.“
Mithilfe einiger einflussreicher Gönner und Gönnerinnen konnte Rilke die ungeliebte Arbeitsstelle nach einem halben Jahr verlassen. Anders erging es seinem Kollegen und Landsmann Egon Erwin Kisch. Der in Prag geborene Schriftsteller kam im Jahr 1917 ins Kriegspressequartier. Die Journalisten, die dort arbeiteten, wurden auch an die Front geschickt. Was sie dort zu sehen bekamen, war aber streng kontrolliert.
„Im Kriegspressequartier wurden Journalisten und Fotografen engagiert, die nicht direkt Kontakt zu den schlimmsten Phasen des Krieges hatten. Sie wurden immer in einem Abstand vom Hauptkommando gehalten. Natürlich – wenn es Erfolge oder Siege gab, dann hat man die Journalisten und Fotografen zugelassen. Aber sonst hat man die Journalisten und Fotografen und Filmleute immer in einer Distanz gehalten. Wenn man das so gemacht hat, dann konnte man auch Einfluss ausüben – ihnen das als Information geben, was man wollte“, erklärt Jozo Džambo.Schriftsteller und Reporter Kisch dagegen wusste, wie es wirklich an der Front zugeht. Er hatte gleich zu Beginn des Ersten Weltkriegs in Serbien gekämpft, danach war er an der russischen Front verwundet worden. Seine Erlebnisse hielt er auch in dem Kriegstagebuch „Schreib das auf, Kisch!“ fest – ohne Zensur. Zunächst jedoch versuchte Kisch, den Krieg zu verharmlosen, wie Jozo Džambo weiß:
„Wenn man sich die Briefe von Egon Erwin Kisch durchliest, die er an seine Mutter und an seinen Bruder Paul geschrieben hat, dann fragt man sich, ob er im Krieg war oder auf einem Ausflug. Ich habe diese Briefe gelesen und habe mich gefragt: Was wollte er damit bezwecken? Und für mich gibt es eine einzige Erklärung: Er wollte wahrscheinlich seine Mutter oder seine Familie von schlimmen Nachrichten verschonen. Das ist fast kabarettistisch: Er schreibt immer vom schönen Wetter, wie es ihm gut geht und wie er verpflegt wird. Aber später in seinem Buch, da war er doch anders. Da kommen auch ganz schlimme Szenen zur Sprache.“Kischs Einstellung zum Krieg änderte sich auch, als sein jüngerer Bruder Wolfgang an der russischen Front fiel. So wie seinen Schriftstellerkollegen wurde auch Kisch nach und nach die Monstrosität des Krieges bewusst.
„Ich will damit sagen, dass viele Autoren und Journalisten im Laufe des Krieges etwas gelernt haben. Am Anfang dachten sie vielleicht noch, der Krieg ist eine Sache, die sich bald erledigen wird, in wenigen Monaten. Aber dann haben sie gesehen, dass das nicht so ist, und dass Krieg eben kein Schauspiel, kein Theater ist, sondern eine blutige Angelegenheit“, so Jozo Džambo.Die Kriegsberichterstatter versuchten dennoch bis zuletzt, dem Publikum Heldentaten vorzugaukeln. Über Leid wurde nicht berichtet. Die Soldaten stilisierten sie zu glorreichen Kämpfern für das Vaterland. Ein wichtiges Propaganda-Instrument waren dabei erstmals auch bewegte Bilder – der Film.
„Im Rahmen des Kriegspressequartiers gab es extra eine Abteilung, die für Filme zuständig war. Die Mitarbeiter dort haben kurze Informationsfilme für das Publikum zuhause produziert. Und es hieß damals: Wenn sich jemand diese Wochenschauen angeschaut hat, dann wusste der mehr Bescheid als die Soldaten an der Front. Denn die Soldaten an der Front, die hatten nur so einen kleinen Ausschnitt, den sie sehen konnten. Aber die Zuschauer zuhause, die konnten viel mehr sehen. Allerdings das, was sie sehen konnten, war auch eine gezielte Auswahl im Sinne der aktuellen Propaganda“, erklärt Jozo Džambo.Neben der Abteilung für Film gab es im Kriegspressequartier auch eine Abteilung für Fotografie und eine für Malerei. Die Kriegsmaler wurden an die Front geschickt, um dort Skizzen zu machen. In ihren Ateliers in Wien schufen sie später Gemälde, die in speziell dafür konzipierten „Kriegsausstellungen“ gezeigt wurden.Jozo Džambo:
„Und jetzt stellt sich für uns heute die Frage: Was haben diese Maler gezeichnet? Wenn das schlimme Bilder waren, dann wurde das zum Teil zensiert, durfte nicht gezeigt werden. Wenn das aber sympathische oder neutrale Bilder waren, dann besteht die Gefahr, dass die Zuschauer sagen: Ja aber der Krieg ist doch gar nicht so schlimm!“Wie schnell die Grenze zwischen neutraler Berichterstattung, Kriegsverherrlichung und Verharmlosung verschwimmen kann – auch das zeigt die Ausstellung „Musen an die Front!“. Auf Schautafeln, Bildern und mit historischem Material wie Büchern, Zeichnungen und Postkarten können sich die Besucher ein Bild von der Arbeit im Kriegspressequartier und im Kriegsarchiv der k. u. k. Monarchie machen. Zudem wird das Wirken einiger involvierter Schriftsteller, wie Kisch und Rilke, näher beleuchtet. Konzipiert hat Jozo Dzambo die Ausstellung im Jahr 2003. Heute ist sie aktueller denn je, sagt Jozo Džambo:
„Das meiste hat sich nicht geändert. Nur die technischen Möglichkeiten haben sich geändert, weil Sie heute schneller an die Bilder kommen, Bilder und Ton schneller verschicken können als damals. Aber was die Methoden betrifft, auch Gerüchteverbreitung, Zensur, Auswahl an Informationen, die man verbreiten will: Das hat sich nicht geändert. Wir als moderne Zuschauer oder Hörer vom Rundfunk oder Leser, wissen nicht, was alles hinter den Informationen steckt. Wir denken, dass wir informiert sind, dass wir Bescheid wissen, aber manchmal erfahren wir erst nach Monaten oder Jahren, wie die Situation damals war.“
Die Wanderausstellung „Musen an die Front!“ ist noch bis zum 12. Dezember im Goethe-Institut Dresden zu sehen.