Highway to Hell - auf tschechischen Straßen herrscht das Recht des Stärkeren
Vor knapp einem Jahr schien es, als wäre in Tschechien endlich die Zeit der Raser und Drängler auf den Straßen vorbei. Die Fahrer traten auf die Bremse - nachdem im Juli 2006 ein Strafpunktesystem eingeführt worden war. Ein Jahr später ist alles wieder beim Alten oder noch schlimmer: Die Zahl der Verkehrstoten ist wieder auf dem Höchststand, als wäre das Strafpunktesystem niemals eingeführt worden. Was sind aber die Ursachen?
"Stop". So heißt die Verkehrssendung des Tschechischen Fernsehens, vergleichbar mit der Serie 7. Sinn in Deutschland. 1500 Wiederholungen werden pro Jahr hierzulande ausgestrahlt. "Stop" würde auch Ivan Dramlitsch häufig am liebsten brüllen, wenn er auf tschechischen Straßen unterwegs ist.
"Besonders gefährlich sind die Fahrer, die dicht auffahren. Also auf der Landstraße drei Meter Abstand und dann an unübersichtlichen Stellen überholen. Für die ist es egal, ob eine Kurve kommt oder eine Bergkuppe. Dasselbe ist auf den Autobahnen zu beobachten: Wenn man auf der linken Spur überholt, dann kommt einer von hinten mit 170 Stundenkilometer - erlaubt ist 130 - und klebt sich mit zwei Meter Abstand an einen, sogar mit Lichthupe und Blinker. Das ist im Prinzip Nötigung", sagt Ivan Dramlitsch.
Gegenüber Deutschland sieht er, der in Berlin aufgewachsen ist, dessen Mutter aber aus Tschechien stammt, durchaus Unterschiede:
"Natürlich gibt es dort auch aggressive Fahrer, aber vielleicht nicht in derselben Häufung. Wenn ich am Wochenende mal hinausfahre, komme ich entnervt zurück, weil diese zwei oder drei Stunden auf tschechischen Landstraßen eine Qual fürs Nervenkostüm sind."
Ähnliche Erfahrungen machen auf tschechischen Straßen auch andere, da ist Ivan Dramlitsch nicht allein. Leider bestätigen auch die Zahlen das ausgesprochen aggressive Verhalten bestimmter Fahrer. Von Januar bis Juli dieses Jahres starben 21 Prozent mehr Menschen im Verkehr als im selben Zeitraum 2006. Es ist eine Rückkehr zu alten Werten. Und das ist erschreckend, wenn man weiß, dass die Sterblichkeit auf tschechischen Straßen über Jahre hinweg zu den höchsten in ganz Europa gehört hat. Als Ende Juli die Zahl der Verkehrstoten für den Monat bekannt wurde, musste der Chef der Verkehrspolizei seinen Hut - oder besser: seine Schirmmütze - nehmen. Mittlerweile gibt es einen Nachfolger, doch auch er wird ohne Ursachenforschung nicht weiterkommen.Vaclav Spicka ist beim "Autoklub", dem tschechischen ADAC, für Fragen der Verkehrssicherheit zuständig. Er nennt mehrere Gründe, warum der Effekt der strengeren Straßenverkehrsordnung mit dem Strafpunktesystem vom Juli vergangenen Jahres schnell wieder verflog:
"Kurz nachdem die Straßenverkehrsnovelle in Kraft getreten war, kam es zu einer gewissen Beruhigung des Verkehrs. Der Grund war, dass die Fahrer nicht wussten, wie sich das Strafpunktesystem auswirken wird. Sie fuhren deutlich langsamer und hielten die Vorschriften erst einmal ein. Schon sehr früh griffen aber die Politiker ein und begannen das neue Gesetz anzuzweifeln. Ihren Anteil an dem Ganzen hatte zudem die Verkehrspolizei, die auf den Straßen fast nicht zu sehen war und es bis heute nicht ist. Die Fahrer merkten, dass es um nichts ging und die Moral wurde wieder lockerer."
Dass einige Fahrer seitdem wieder aufs Gas drücken, als ging es um den Formel-1-Sieg, schreibt Vaclav Spicka aber auch einigen unsinnigen Regelungen der neuen Straßenverkehrsordnung zu. Und die gelangten dorthin, weil sich so ziemlich jeder Abgeordnete dafür kompetent hielt, einen Änderungsantrag zu dem Originalpapier zu stellen - zugleich aber Fachverbände wie der Autoklub nicht gefragt wurden. Heraus kam eine Regelung mit einem prinzipiellen Fehler:"Das Strafpunktesystem bestraft nicht die gefährlichsten Vergehen im Straßenverkehr wie Aggressivität und Rücksichtslosigkeit. Das sind aber die Taten, die Unfälle mit Todesfolge verursachen", so Spicka.
Doch das ist nicht das einzige:
"Dazu kommt die Tatsache, dass auch die Polizei nicht diese Vergehen ahndet. Zum Beispiel die tschechischen Autobahnen: Dort fahren viele unangemessen schnell und aggressiv, sie nehmen anderen die Vorfahrt, blinken nicht, überholen rechts und so weiter. Aber das bleibt praktisch ohne Strafe, weil man die Sünder nur schwer einfängt."
Schlampige Abgeordnete und nachlässige Polizisten haben eine gefährliche Situation auf den Straßen entstehen lassen, die wohl nicht einmal mehr das Einsatzteam aus der Fernsehserie Kobra 11 entschärfen könnte. Vielmehr ist es wohl ein Fall für die Verkehrspsychologen. Aber sie wurden genauso wenig angehört wie der Autoklub, und mit ihrer Arbeit rechnet die bisherige Straßenverkehrsordnung ohnehin nicht. Ein schwerer Fehler, wie Verkehrspsychologin Vlasta Rehnova meint:
"Wir haben von Anfang an, schon als die Idee aufkam im Jahr 2000, unseren Vorschlag erarbeitet, der auch einen erzieherischen Aspekt hatte und die gesundheitliche oder psychologische Diagnose bei ausgesprochen problematischen Fahrern mit einbezog. Also bei Fahrern, denen der Führerscheinentzug droht oder sie ihn bereits verloren haben. Das bestehende System bestraft den Fahrer zwar, aber es wird nicht weiter erforscht, warum er sich nicht anpassen kann."
Und deswegen droht, dass Verkehrs-Rowdys nach dem Führerscheinentzug zurück auf die Straße kommen - und sich genauso verhalten wie zuvor.
Fehler in der neuen Straßenverkehrsordnung könnten sowohl Vlasta Rehnova, als auch Vaclav Spicka noch weitere nennen. Einige von ihnen hat das Verkehrsministerium gerade in dieser Woche begonnen auszubügeln. Am Mittwoch kündigte Verkehrsminister Ales Rebicek zudem an, dass man den Führerschein auf Probe für junge Fahrer wolle, stärkere Differenzierung zwischen ernsten und leichten Vergehen sowie Nachschulungen für problematische Fahrer. Das sind genau die Änderungen, welche die Fachverbände fordern. Ob sie im Parlament durchkommen, ist eine Frage, die auf einem anderen Blatt steht. Aber auch so wäre es nur ein Anfang, hört man den Verkehrsexperten genauer zu.
"Ein Unterschied, der sicher zwischen den tschechischen Fahrern und denen aus den alten EU-Ländern besteht, ist die Frage des partnerschaftlichen Verhaltens. In anderen Ländern gehen die Autofahrer rücksichtsvoller miteinander um und pflegen eine partnerschaftliche Herangehensweise", glaubt Vaclav Spicka.Er sagt, dies sei kein Wunder. Auf der Straße bilde sich nur ab, wie insgesamt innerhalb der tschechischen Gesellschaft miteinander umgegangen werde. Veränderungen in der Gesellschaft zu erreichen, kann jedoch ein sehr, sehr langer Weg sein.