Hinter Sherwood-Forest und unter der Stadtautobahn: Prager Hauptbahnhof wird aufpoliert (Teil 1)
Auf dem Prager Hauptbahnhof, umweit von Wenzelsplatz und Nationalmuseum, wird aufgebohrt, rausgerissen, niedergerissen, weggeflext, aufgebaut, renoviert und restauriert. In den kommenden Jahren soll dem Hauptbahnhof ein neues Antlitz verpasst werden. Und sein Charakter soll sich auch bessern. Christian Rühmkorf hat sich auf dem Bahnhof umgeschaut und mit dem Architekten und dem Investor gesprochen. Hören Sie nun den ersten von zwei Teilen der Rubrik „Forum Gesellschaft“ über den Prager Hauptbahnhof.
Der Prager Architekt Patrik Kotas hat – wie viele andere, die auf dem Bahnhof täglich ankommen – immer versucht, so schnell wie möglich zu fliehen:
„Für den Prager Hauptbahnhof habe ich mich immer gewaltig geschämt. Obdachlose, Dreck, ein unsicheres Gefühl. Sie wissen nie, ob Sie gleich bei Ankunft oder erst im Taxi beklaut werden. Das ist übel für Prag. Aber wenn Sie sich dann die alten Bilder vom Bahnhof anschauen vom Beginn des 20. Jahrhunderts - wunderschöner Jugendstil vom Architekten Fanta, Dampflokomotiven, erhabene Stahlhallen. - Das Bild eines monumentalen Bahnhofs, der zu Beginn des Jahrhunderts zu den Besten gehörte, die man in Europa gebaut hat.“ Das Architekten-Büro von Patrik Kotas ist für den Umbau des Bahnhofs zuständig und zwar im Auftrag der italienischen Gesellschaft „Grandi Stazioni“, die als Investor auftritt und den neu gestalteten Bahnhof für die nächsten 30 Jahre gemietet hat. Die Instandsetzung, sagt Kotas, sei eine große Herausforderung. Sie solle - ganz oder teilweise - dem herrlichen Bahnhof von einst den alten Ruhm, die Pracht, die Kultur zurückgeben. Doch auch die große Abfertigungshalle unterhalb der Stadtautobahn gehört nach Ansicht des Architekten zum Besten, was die tschechische Baukunst in den 70er Jahren hervorgebracht hat.„Die neue Halle des Hauptbahnhofs wurde in Betrieb genommen, als ich ein kleiner Junge war, um 1976/77. Für mich war es faszinierend, dass man zu dieser Zeit so eine große, schöne Halle mit Stahlkonstruktion bauen konnte, eine Halle, die bunt war, mit Rot-, Braun- und Grautönen. Sie wirkte damals sehr imposant auf mich.“
Jugendstil und 70er Jahre - beide Gesichter des Bahnhofs gelte es so weit wie möglich zu bewahren, meint Patrik Kotas. Mit einem Rausschmiss der Würstchenbuden, der Spielhöllen und der Obdachlosen sei es nicht getan:
„Das würde nicht funktionieren. Ganz einfach, weil das alte Konzept nicht mit so einer Entwicklung von Geschäftsflächen, Verpflegungs- und Serviceangeboten für Reisende gerechnet hat. Ein Bahnhof ist heute nicht mehr nur ein Ort, wo ich eine Fahrkarte kaufe, in den Zug steige und abfahre. Es ist ein gesellschaftliches Zentrum, wo ich Mittag essen kann, mich verabreden oder etwas einkaufen oder einfach nur auf angenehme Weise die halbe Stunde verbringen kann, bevor mein Zug abfährt. Das alles muss ein Bahnhof bieten können und im bisherigen Konzept ist das nicht eingeplant. Deshalb ist ein grundlegender funktionaler Umbau erforderlich.“
Ein moderner Bahnhof, so Patrik Kotas, müsse ein Serviceangebot wie ein Flughafen haben.
In fünf Bau-Phasen - bis ins Jahr 2010/11 - arbeitet man sich von der Abfertigungshalle bis zu den Bahnsteigen vor, erklärt Martin Hamšík, Pressesprecher des Investors „Grandi Stazioni“. Eine erste gläserne Modeboutique steht schon in der unteren Eingangshalle, einsam zwischen Bauwänden und Obdachlosen:
„Sie sieht aus wie eine Erscheinung aus einer anderen Welt, aber die Boutique ist ein erster Vorgeschmack auf das, was hier entstehen soll, darauf, wie es aussehen soll.“
„Hier können Sie hinter die Wand schauen. Wie Sie sehen beseitigt man den alten Bodenbelag, die Wandverkleidungen, die alten Schalter. An dieser Stelle sollen neue Geschäftsflächen und neue Serviceangebote für die Kunden entstehen. Sie hören hier hinter mir den Presslufthammer arbeiten, die Baumaßnahmen sind also voll im Gange und werden noch vier Jahre anhalten.“Wir steigen die Treppe hinab in den Bereich, wo vor kurzem noch die Gepäckaufbewahrung war. In der Ecke sitzt ein junger Mann und ist vollauf damit beschäftigt seinen Joint zusammenzubasteln. Pressesprecher Hamšík zeigt ihm die kalte Schulter, so, als wäre er bereits jetzt ein Gespenst aus längst vergangenen Zeiten.
„Wir werden alles dafür tun, um das Erscheinen solcher Personen auf dem Hauptbahnhof zu minimalisieren und ihren Aufenthalt hier maximal unangenehm zu gestalten“, wirft Martin Hamšík ein und fährt fort:
„Wir befinden uns hier im ehemaligen Bereich für die Gepäckaufbewahrung, wo zurzeit das neue Kundenzentrum im Entstehen ist. Hier wird ein langer gläserner Schalterbereich gebaut, in dem sich die Bahnkunden über Zugverbindungen informieren und Fahrkarten erstehen können.“
Im neuen Konzept soll auch das alte Jugendstilgebäude von Josef Fanta aus seinem Abseits hervorgeholt werden. Dazu sind nicht nur aufwendige Restaurationsarbeiten erforderlich, erklärt Architekt Patrik Kotas:
„Im Fanta-Gebäude werden wir das alte Restaurant wieder instand setzen, genauso wie das alte Café, die „Kavárna Fanta“. Der erste Bahnsteig, der vom alten Gebäude aus erreichbar ist, wird erweitert, so dass dort eine Promenade entstehen kann mit weiteren Restaurants und Cafes. Man wird also bei einer Tasse Kaffee, einem Glas Wein, die wunderschöne, romantische Atmosphäre der beiden Stahlhallen genießen können, wo die Züge ein und ausfahren. Diejenigen, die einen Sinn für Eisenbahnromantik haben, für den Duft der großen weiten Welt, die werden diesen Ort nicht nur aufsuchen, wenn sie verreisen.“
Kotas hofft, dass man sich nach dem Umbau des Bahnhofs darum kümmern wird, die hässliche Stadtautobahn Schritt für Schritt in einen Boulevard umzuwandeln. Zwar mit viel Verkehr, aber auch mit Fußgängerwegen und Bäumen. Der Bahnhof als integrierter Teil des Stadtlebens, so ließe sich das Konzept auf den Punkt bringen. Und dafür hat er auch einige Vorbilder in Deutschland angeschaut: Dresden Hauptbahnhof, Leipzig, Frankfurt, Hamburg Hauptbahnhof, Hamburg Altona und natürlich den neuen Berliner Hauptbahnhof.