Historiker Kunštát: Ackermann-Gemeinde hat auch Vermittlerrolle und engagiert sich in Europa-Politik

Miroslav Kunštát

Die Wandlungen in der deutsch-tschechischen Beziehungen, die Rolle der Jugend, der Kampf gegen die Fake News. Das waren einige der Themen, mit denen sich die Teilnehmer der tschechisch-deutschen Konferenz beschäftigten, die vor kurzem in Hradec Králové / Königgrätz stattfand. Veranstaltet wurde sie von der Sdružení Ackermann-Gemeinde. Sie ist eine tschechische Schwesterorganisation der deutschen christlich orientierten Organisation Ackermann-Gemeinde. Einer der Referenten war der Historiker an der Prager Karlsuniversität, Miroslav Kunštát. Martina Schneibergová hat mit dem Historiker gesprochen. 

Herr Kunštát, welche neue wichtige und spannende Aufgaben hat nach Ihrer Meinung die tschechische Sdružení Ackermann-Gemeinde in der heutigen Zeit? Sie hat jetzt ihren 25. Geburtstag gefeiert.

Deutsch-tschechischer Gottesdienst in Hradec Králové | Foto: Martina Schneibergová,  Radio Prague International

„Die Ackermann-Gemeinde spielte Jahrzehnte lang eine ganz wichtige Rolle im Prozess der deutsch-tschechischen Versöhnung. Und dies insbesondere in jenen Zeiten, als der Eiserne Vorhang existierte, als durch die Vermittlung der Ackermann-Gemeinde die Kirche in der Tschechoslowakei, sogar die einzelnen Pfarreien im Grenzgebiet, finanziell und auch auf andere Weise unterstützt wurden. Das änderte sich natürlich nach der Wende von 1989. In den 1990er Jahren war der Versöhnungsprozess auch sehr wichtig, weil nicht alle sudetendeutsche Organisationen sozusagen an einem Strang zogen. Da waren die Erfahrung der Ackermann-Gemeinde und auch die Tradition der Zusammenarbeit mit den im Exil in der Bundesrepublik und in anderen Ländern lebenden und aus der Tschechoslowakei stammenden Christen besonders wichtig.“

Wie hat sich der Versöhnungsprozess in den vergangenen Jahren geändert?

„Jetzt nach dem Generationswechsel haben die Vertriebenenorganisationen nicht mehr so viele Mitglieder, die Mitgliederbasis schrumpft also. Die Ackermann-Gemeinde gehört indes zu jenen, die sich auf eine aktive Jugendorganisation stützen können. Das trifft auch auf die Schwesterorganisation in Tschechien zu. Diese Jugendorganisationen suchen nach neuen Themen. Aus meiner Sicht ist der innerkirchliche Dialog wichtig. Denn die Unterschiede zwischen dem deutschen und dem tschechischen Katholizismus werden immer spürbarer. Sie sind manchmal wirklich groß in der Auffassung aktueller Probleme. Das hat sich vor allem in der Diskussion über die Ergebnisse des ,Synodalen Weges‘ in Deutschland gezeigt. Diese wird hierzulande von mehreren kirchlichen Würdenträgern kritisiert. Dahingegen steht die Deutsche Bischofskonferenz hinter diesen Beschlüssen. Es ist zu sehen, dass inmitten Europa – der deutsche und der tschechische Katholizismus – manchmal unterschiedlicher Auffassungen sind. Organisationen wie die Ackermann-Gemeinde können in diesem Bereich eine Vermittlerrolle spielen, mindestens in dem Sinne, dass zuverlässige Informationen über diese Prozesse fließen.“

In welchen Fragen unterscheiden sich die Haltungen der katholischen Kirche in den beiden Ländern voneinander?

Miroslav Kunštát | Foto: Martina Schneibergová,  Radio Prague International

„Ich sehe mehrere Gebiete, in denen Unterschiede bestehen. Das ist beispielsweise die Beurteilung der Frage der Flüchtlinge. Da steht die deutsche katholische Kirche eindeutig hinter den Aussagen von Papst Franziskus. Sie ist viel offener gegenüber Fragen der Migration als die tschechische. Die deutsche Kirche ist sehr aktiv im Prozess der Integration von Flüchtlingen und beteiligt sich an verschiedenen Projekten. Ähnliche Erfahrungen hat die tschechische Kirche nicht. Erst in den letzten zwei Jahren im Zusammenhang mit der Flüchtlingswelle aus der Ukraine ist sie aktiv geworden. Des Weiteren gibt es beispielsweise den interreligiösen Dialog, in dem die tschechischen Bischöfe viel behutsamer sind. Das sind Themen, die uns – so denke ich – gegenwärtig trennen. Dazu gehören auch Fragen, die im Synodalen Wege angesprochen wurden, wie die Priesterweihe für Frauen oder die Begleitung gleichgeschlechtlicher Paare. Die katholische Kirche in Deutschland ist traditionell viel offener war als die tschechische Kirche, auch in sensiblen Bereichen. Darüber werden Diskussionen geführt, die natürlich in der Gesellschaft eine große Rolle spielen. Ich denke, die Vermittlerrolle könnte eine der Aufgaben der Ackermann-Gemeinde und ihrer tschechischen Schwesterorganisation sein. Natürlich gehören zu ihren Aufgaben auch weiterhin die deutsch-tschechischen Beziehungen als solche und die Europa-Politik, also die unterschiedlichen Europa-Bilder.“