„Hoffentlich nicht für die Schublade“ – Experte Plachý über Konzept gegen Obdachlosigkeit

Premier Jiří Rusnok (Foto: Kristýna Maková)

In Tschechien haben rund 30.000 Menschen kein Dach über dem Kopf. Etwa 100.000 weiteren droht der Verlust ihres eigenen Heims. Die tschechische Regierung hat nun das erste Konzept zum Kampf gegen die Obdachlosigkeit beschlossen. Am Mittwoch gaben die Minister des Interimskabinetts von Jiří Rusnok grünes Licht für ein Maßnahmenpaket, das zum Großteil schon von der Vorgängerregierung ausgearbeitet worden war. Wann und wie es in Gesetze gegossen wird, ist allerdings noch nicht klar. An der Erstellung des Konzepts beteiligt war unter anderem die tschechische Heilsarmee. Im Folgenden ein Interview mit Antonín Plachý, Qualitätsmanager für soziale Dienstleistungen bei der Heilsarmee.

Premier Jiří Rusnok  (Foto: Kristýna Maková)
Herr Plachý, die tschechische Interimsregierung von Premier Rusnok hat am Mittwoch ein Konzept zum Kampf gegen die Obdachlosigkeit verabschiedet. Die Heilsarmee hat sich an der Ausarbeitung des Konzepts beteiligt. Worum geht es bei dem Konzept, was sind die wichtigsten Inhalte?

„Einführend muss ich sagen, dass das Konzept über einen längeren Zeitraum entstanden ist. Zuerst hatte das Arbeits- und Sozialministerium eine Vorlage ausgearbeitet, danach traf sich eine weitgefächerte Arbeitsgruppe, an der auch die Heilsarmee beteiligt war. Das Konzept ist in vier Hauptpunkte unterteilt: die Wohnproblematik, Gesundheitsvorsorge, soziale Dienstleistungen und öffentliche Aufklärung.“

Vielleicht könnten Sie die einzelnen Punkte noch etwas ausführen...

„Natürlich besteht das Hauptproblem im Bereich Wohnen. Im Konzept ist eine schrittweise Rückkehr der Obdachlosen zu einer eigenen Wohnung vorgesehen. Wenn jemand lange auf der Straße gelebt hat, dann ist er nicht daran gewöhnt, regelmäßig Miete zu zahlen, aber es bestehen auch Barrieren im zwischenmenschlichen Umgang, und natürlich müssen regelmäßige Einkünfte bestehen. Bei alldem würden die Obdachlosen von Sozialarbeitern unterstützt, und sie sollen die Möglichkeit erhalten, Sozialwohnungen zu nutzen. Ein wichtiger Punkt ist aber auch Prävention, das heißt Menschen zu helfen, denen der Verlust der Wohnung droht. Dies geschieht auch schon an einigen Orten hierzulande. Bei der Gesundheitsvorsorge geht es vor allem darum, frühzeitig schweren Erkrankungen vorzubeugen. Dazu sollte ein System ambulanter Behandlung aufgebaut werden, das arme Menschen nutzen können und bei dem ihnen sowohl praktische Ärzte, als auch Spezialisten zur Verfügung stehen. Dazu muss aber auch das medizinische Personal in der sogenannten Straßen-Medizin ausgebildet werden. Soweit ich weiß, beteiligen sich einige Prager Medizinstudenten regelmäßig an ambulanten Behandlungen auf der Straße. Als weiteres großes Problem muss die Versorgung alter und kranker Obdachloser angegangen werden. Dazu braucht es eigene Einrichtungen, die Heilsarmee betreibt bereits zwei solcher Häuser. Was die sozialen Dienstleistungen anbetrifft, findet gerade eine Revision der bestehenden Gesetze statt, denn bisher richten sich betreute Wohneinrichtungen nicht an Obdachlose oder von der Obdachlosigkeit bedrohte Menschen. Im Bereich der Aufklärung geht es vor allem darum, die Betroffenen über ihre Möglichkeiten zu unterrichten. Das betrifft die Gemeinden genauso wie die Anbieter sozialer Dienstleistungen und vielleicht auch die Kreise und das Ministerium.“

Illustrationsfoto: Kristýna Maková
Inspirationen zu dem Modell haben Sie ja im Ausland gefunden, und zwar in Wien. Zumindest stand das so in der tschechischen Presse. Kennen Sie das Modell in Wien? Und was ist daran so inspirierend?

„Dies ist eines von vielen gut funktionierenden Modellen. Bei dem Wiener Beispiel geht es vor allem um das unterstützte Wohnen. Die Grundidee ist, dass eigener Wohnraum für Obdachlose weit effektiver und billiger ist als der Aufenthalt in Heimen. Viele der Beispiele kommen aber auch hier aus Tschechien selbst, schließlich beschäftigen wir uns auch schon seit 1990 mit der Thematik. Wie gesagt, gehört dazu das Modell der Heilsarmee für alte Obdachlose oder unsere Arbeit mit von der Obdachlosigkeit bedrohten Menschen – in dem Bereich betreuen wir in Ostrau insgesamt 35 Wohnungen. Weitere Beispiele für eine schrittweise Lösung der Wohnproblematik stammen unter anderem von den Hilfsorganisationen Naděje und Elim sowie von der Charitas.“

Warum wurde denn Ihrer Meinung nach bisher eigentlich nur wenig gegen die Obdachlosigkeit unternommen?

„Diese Frage müssten Sie eigentlich eher an die staatlichen Organe, an die Kreise oder Gemeinden richten. Denn die Tschechische Republik hat sich der EU-Strategie zur Bekämpfung der Obdachlosigkeit angeschlossen und hätte eigentlich schon längst etwas unternehmen müssen. Anscheinend hat das Problem der Obdachlosigkeit niemandem unter den Nägeln gebrannt, man hat eher darüber hinweggesehen und die Obdachlosen kritisiert. Da spielt sicher hinein, dass sowohl die Politiker als auch die meisten Bürger nur jene Obdachlose wahrnehmen, die sie sehen können. Das heißt jene, die betrunken sind, in der Straßenbahn sitzen und mit starkem Geruch oder durch Betteln die Umgebung belästigen. Das ist aber nur eine kleine Gruppe, es gibt genauso Mütter mit Kindern, die ihre Wohnung verloren haben oder kurz vor dem Verlust stehen. Aber die Probleme sind gewachsen, deswegen ist wohl auch die tschechische Gesellschaft aufgewacht - und es werden Lösungsmodelle diskutiert. Vor einem Jahr wurden die Arbeiten am landesweiten Konzept aufgenommen. Ich fürchte allerdings, dass dies ein Strohfeuer gewesen sein könnte. Wichtig ist, dass das Konzept nicht nur in Papierform liegen bleibt, sondern weiter daran gearbeitet wird. Ich selbst und alle anderen aus der Arbeitsgruppe des Ministeriums bemühen uns darum, dass man sich auch weiter regelmäßig trifft und die getroffenen Maßnahmen beurteilt. Die Sache darf einfach nicht in der Schublade verschwinden.“

Foto: Ladislav Bába,  Tschechischer Rundfunk
Denken Sie denn, dass das Hauptproblem in der Finanzierung liegen könnte – oder im Engagement an sich?

„Die Finanzierung ist sicher eines der Probleme. Meist planen die Politiker nur von Jahr zu Jahr. Wir sehen im Konzept der Prävention auch Einsparungen. Diese werden sich aber nicht sofort zeigen, sondern erst nach einigen Jahren. Ich denke, dass das Problem der Obdachlosigkeit in der Gesellschaft als etwas Nerviges angesehen wird. Kaum jemand will sich damit beschäftigen. Die Gemeinden unternehmen kleinere Schritte, aber meine Befürchtung ist, dass jetzt viele sagen werden: ‚Das Konzept steht ja nun, wir müssen nichts Weiteres mehr machen.’ Deswegen würde ich mir wünschen, dass die Arbeitsgruppe weiter stichelt und einen Nachweis fordert, ob sich die Dinge umsetzen lassen oder nicht.“