Homöopathie in Tschechien

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Als Ende August das britische Ärztejournal Lancet sein Editorial mit dem Ausruf "Die Homöopathie ist tot!" betitelte, löste dies weltweit eine Welle von Protesten und Diskussionen aus. Auch in Tschechien meldeten sich Befürworter und Kritiker alternativer Heilmethoden zu Wort. Silja Schultheis hat sich umgehört.

Ein paar Meter weiter sitzt ein Mann Anfang Vierzig und liest Zeitung. Er wartet auf seinen Sohn, der gerade bei Dr. Jonas im Sprechzimmer ist. Vater und Sohn sind aus dem mährischen Znojmo angereist, gut 200km von Prag entfernt.

"Unser´Junge hat seit einem Jahr epileptische Anfälle. Und die Kreisärztin in Mähren schien uns hier nicht richtig vorzugehen. Über einen Freund haben wir von Dr. Jonas in Prag erfahren, und da haben wir uns entschieden, ihn auszuprobieren. In der Not muss man alles versuchen. Und seit wir hierher kommen, hatte mein Sohn keinen Anfall. Es sieht so aus, als ob die Behandlung erfolgreich ist."

Vorwiegend Familien mit kleinen Kindern sind es, die heute in Tschechien nach Alternativen zur klassischen Schulmedizin suchen. Diesen Trend beobachtet auch Dr. Tomas Karhan, klassischer Kinderarzt und Vizepräsident der Tschechischen Gesellschaft für Homöopathie in seiner Praxis in Prag-Zizkov:

"Heute ist die Homöopathie sehr populär und viele wollen von allen Kinderärzten, dass sie ihre Kinder auch mit Homöopathie heilen. Und nicht alle Ärzte sind darauf vorbereitet, aber sie müssen heute ein bisschen Interesse für Homöopathie haben, weil sie viele Fragen von den Patienten und von den Müttern bekommen."

Eine Entwicklung, die in Tschechien noch vergleichsweise jung ist. Bis zur politischen Wende von 1989 war Homöopathie in der Tschechoslowakei eine absolute Unbekannte - im Gegensatz zu anderen Ländern des damaligen Ostblocks. Tomas Karhan:

"Heute wissen wir, dass man damals in Russland normal mit Homöopathie heilte. Zum Beispiel gab es in Kiew, das damals zur Sowjetunion gehörte, eine offizielle homöopathische Schule von Frau Prof. Popova, die gibt es immer noch. Auch in anderen Ländern, z.B. Kuba, existierte Homöopathie offiziell, das wussten wir nicht. Und hier, in Ungarn, in Jugoslawien und Albanien war sie verboten."

Nach dem Fall des Eisernen Vorhangs habe dann unter tschechischen Ärzten eine richtige Aufbruchsstimmung geherrscht, erinnert sich Karhan. Viele Tausend Ärzte hätten damals Fortbildungen in Homöopathie machen wollen und auch die Öffentlichkeit begann sich zunehmend für alternative Behandlungsmethoden zu interessieren. Einen Höhepunkt habe diese Entwicklung 1994 erreicht:

"In einigen Apotheken betrug der Anteil der Homöopathika unter den verkauften Arzneien damals 7-8%. Diese Situation bedeutete für die pharmazeutischen Konzerne schon ein bisschen ein Risiko, und ich denke, damals begannen sie, viel Propaganda gegen die Homöopathie zu machen."

Es folgte eine Reihe staatlicher Einschränkungen und Auflagen für Homöopathen, Heilkundler wurden quasi in die Illegalität verbannt, Homöopathen aus Ärztekammern ausgeschlossen. Mit dem tschechischen EU-Beitritt änderte sich die Situation wieder. Seitdem habe man es gewissermaßen mit einer zweiten Homöopathie-Welle zu tun, meint Karhan.

Foto: Jitka Hrabankova
Die Tschechen zählen in Europa zu denjenigen Nationen, die am meisten auf Medikamente schwören. Der Gang vom Arzt führt in der Regel schnurstracks in die nächste Apotheke, wer ohne Rezept aus der Praxis weggeht, fühlt sich schlecht behandelt. Geschuldet ist dieser Zustand in hohem Maße der geringen Selbstbeteiligung der Patienten an den Arzneimittelkosten. Sie liegt in Tschechien nur bei 9% und damit weit unter dem europäischen Durchschnitt von 25%. Auf der anderen Seite differenziert sich das Sortiment der Apotheken in den letzten Jahren zunehmend. Mittlerweile sind hierzulande auch immer mehr Homöopathika in den Apotheken erhältlich:

"Gibt es bereits einige rezeptfreie Arzneien, z.B. gegen Grippe, wo die Leute gar nicht mehr wissen, dass sie homöopathisch sind. Und das finde ich sehr positiv und sehr gut: keinen Unterschied machen, ob es eine klassische oder eine homöopathische Arznei ist."

Ganz anders sieht es Prof. Jiri Hert, Vizepräsident und Leiter der Ärzte-Sektion im Tschechischen Klub der Skeptiker SISYFOS. Er ist ein strikter Gegner homöopathischer Methoden und trat in dieser Eigenschaft in den vergangenen Wochen mehrfach in den Medien auf den Plan:

"Das ist nur eine Ideologie, eine Magie, eine Esoterik. In der Realität kann die Homöopathie nur auf der Basis des Placebo-Effektes funktionieren. Die homöopathischen Präparate hingegen sind ganz ohne Effekt."

Eine Verbindung zwischen der Schulmedizin und homöopathischen Methoden, um die sich einige junge Ärzte bemühen, lehnt Hert daher strikt ab:

"Zwischen der Medizin und der alternativen Medizin gibt es einen sehr großen Unterschied. Es ist ein ganz anderes Paradigma. In der klassischen Medizin ist es die Rationaliät, der wissenschaftliche Zugang. In der Homöopathie herrscht ein ganz anderes Paradigma: Spiritualität, Ungewissheit, Unklarheit .Man kann das nicht zusammen geben."

Noch, so sind sich Befürworter und Gegner alternativer Heilmethoden einig, fehlt in Tschechien ein klarer gesetzlicher Rahmen für alternative Heilmethoden. Noch wichtiger jedoch, meint der Kinderarzt Tomas Karhan, ist ein verändertes Bewusstsein in puncto Homöopathie:

"Viele meiner Ärztekollegen wollen nicht zuviel mit der Homöopathie zu tun haben. Das ist eine Generationenfrage. Eine pragmatische Lösung, dass die Menschen alles materialistisch beurteilen und ihre Meinung schon fertig ist. Aber ich denke, die neue Ärzte-Generation wird in dieser Hinsicht schon etwas demokratischer."