Fachlicher Nachwuchs fehlt: In Tschechien mangelt es an Psychiatern
Am heutigen Donnerstag wird der Welttag für seelische Gesundheit begangen. Auch in Tschechien werden immer mehr Fälle psychischer Erkrankungen gezählt. Doch es mangelt an Psychiatern, die den Menschen helfen können. Wir berichten über ein Projekt, durch das die Behandlungskapazitäten steigen sollen.
Das Telefon in der psychiatrischen Praxis von Doktor Vaňek in Prag klingelt häufig. Zu häufig. Denn einen freien Termin gibt es für neue Patienten frühestens in einem Monat.
„Wenn es irgendwie geht, versuchen wir, den Patienten entgegenzukommen. Aber meist ist das eben nicht möglich“, sagt Sprechstundenhilfe Dana Vaňková der Reporterin des Tschechischen Rundfunks. Und David Vaněk, der Arzt in der Praxis, schildert:
„Wenn uns ein Patient einen Termin absagt, können wir schneller eine Sitzung anbieten. Einige meiner Kollegen haben aber derart überfüllte Ambulanzen, dass sie gar keine neuen Klienten aufnehmen.“
Vor 20 Jahren eröffnete Vaněk seine erste Praxis in einer Kleinstadt. Seitdem habe sich die Lage drastisch verändert, schildert er:
„Aus den Statistiken geht hervor, dass sich die Anzahl der Ambulanzpatienten in den vergangenen 20 Jahren verdoppelt hat. Es gibt aber nur rund 30 Prozent mehr Psychiater.“
Andrea Rashovska stehen in diesem Jahr die Abschlussprüfungen an der Prager Karlsuniversität bevor. Die Medizinstudentin ist die einzige in ihrem Jahrgang, die eine Approbation als Kinderpsychotherapeutin anstrebt. Im fünften Studienjahr wurde Rashovska auf das Fachgebiet aufmerksam, als sie gemeinsam mit ihren Kommilitonen ein Praktikum absolvierte:
„Wir waren einen Tag in der Psychiatrie in Bohnice, dann in einer Suchtklinik und auch auf der psychiatrischen Station der Universitätsklinik. Dort werden etwa Patienten mit einer bipolaren Störung behandelt. All das war ganz anders als der Stoff, mit dem wir uns zuvor im Medizinstudium beschäftigt haben. Ich habe festgestellt, dass mich dieser Bereich von allem am meisten interessiert und ich mich weiter damit beschäftigen möchte.“
Mit ihrer Ausrichtung wird Andrea Rashovska vermutlich gute Karrierechancen haben. Denn gerade an Kinderpsychiatern mangelt es in Tschechien, derzeit gibt es hierzulande nur 131. Erwachsenenpsychiater sind laut Tomáš Kašpárek deutlich mehr tätig, und zwar 1400. Der Leiter der Psychiatrischen Klinik des Universitätskrankenhauses in Brno / Brünn betont aber, dass rund 400 von ihnen bereits über 60 Jahre alt seien:
„20 Prozent aller Psychiater sind im Rentenalter. In den kommenden fünf Jahren wird dieser Anteil auf 25 oder 30 Prozent ansteigen. Es gibt also immer weniger von uns. Und wenn es uns nicht gelingt, neue Kollegen anzuwerben, wird die Verfügbarkeit psychologischer Betreuung in diesem Land weiter zurückgehen.“
Um das zu verhindern, wurde nun eine neue Initiative ins Leben gerufen. „100 ročně“ heißt sie, und das Ziel ist es, dass in Zukunft jährlich 100 neue Psychiater zugelassen werden. Tomáš Kašpárek beschreibt den Grundgedanken:
„Je früher ein Student mit dem Fach Psychiatrie in Berührung kommt und eine reale Vorstellung davon erhält, desto höher ist die Chance, dass er diese Ausrichtung als seinen beruflichen Weg einschlägt.“
Die Medizinstudierenden können im Rahmen des Projekts deshalb etwa exklusive Praktika absolvieren oder sich bei Diskussionsveranstaltungen mit jungen Psychiatern sowie Experten des Fachs austauschen. Kašpárek zufolge geht es auch darum, Stereotype über das Gebiet abzubauen:
„Wenn ein Medizinstudent die reale Praxis sieht, verschwinden viele Gerüchte und Stigmata, und er stellt fest, dass das ein ganz normales Fachgebiet ist. Deshalb wollen wir Einblicke in den praktischen Arbeitsalltag geben. Dabei betonen wir, dass die Psychiatrie eine der wenigen letzten medizinischen Disziplinen ist, die den Menschen als Ganzes, mit seiner Geschichte und allen Umständen, in den Blick nimmt. Es geht nicht nur um die Lösung eines Einzelproblems. Als Psychiater kann man den Menschen wirklich helfen.“
Federführend organisiert wird das Projekt „100 ročně“ von der Psychiatrischen Gesellschaft der Tschechischen Ärztegesellschaft Jan Evangelista Purkyně (ČSL JEP). Den beteiligten Ärzten zufolge sind seelische Krankheiten in Tschechien auf dem Vormarsch. So steige auch die Zahl der psychisch Kranken in den Kliniken und es würden immer mehr Antidepressiva verschrieben werden, so die Initiative in einer Pressemitteilung.