Hradec Králové – Stadt der Königinnen und der eleganten Architektur

Der Name der ostböhmischen Kreisstadt Hradec Králové, auf Deutsch Königgrätz, ist außerhalb Tschechiens vor allem dank der Schlacht bei Königgrätz 1866 bekannt. Im Folgenden besuchen  wir aber nicht die Schlachtfelder in der Umgebung, sondern die Stadt selbst.

Hradec Králové ist auf den ersten Blick eine elegante und angenehme Stadt. In Umfragen zur Lebensqualität und Zufriedenheit der Bewohner belegt sie nach der Meinung ihrer knapp 100.000 Einwohner regelmäßig einen Spitzenplatz. Die Stadt am Zusammenfluss der Elbe und der Adler bietet sowohl historische Baudenkmäler aus der Zeit der Gotik, der Renaissance und des Barock, als auch einzigartige Belege des Bauaufschwungs in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts.

Lucie Šetková | Foto: Markéta Kachlíková,  Radio Prague International

„Willkommen in Hradec Králové, der ‚Stadt der böhmischen Königinnen‘. Oder auch in dem ‚Salon der Republik‘ und einer Stadt, die als Lehrbuch der modernen Architektur bezeichnet wird.“

Mit diesen Worten begrüßt uns Lucie Šetková. Sie ist Touristenbegleiterin in Hradec Králové und beginnt ihre Stadtführung mitten in der Altstadt.

„Der Große Platz liegt im historischen Stadtkern mit der Kathedrale vom Anfang des 14. Jahrhunderts und einem Wachturm vom Ende des 16. Jahrhunderts. Es gibt hier auch weitere Dominanten, wie die Marien-Pestsäule aus dem 18. Jahrhundert sowie die Kirche Mariä Himmelfahrt, das Jesuitenkolleg und die Bischofsresidenz, die von Santini Aichel entworfen wurde.“

Der Große Platz | Foto: Klára Stejskalová,  Radio Prague International

Leihgedingstadt der Königinnen

Der Große Platz | Foto: Klára Stejskalová,  Radio Prague International

Lucie Šetková beginnt ihre Erzählung mit einem Rückblick in die Geschichte der Stadt:

„Hradec Králové wurde zum ersten Mal in einer Urkunde des Königs Přemysl Otakar I. erwähnt und gehört deshalb zu den ältesten Städten in Böhmen.“

Das war 1225. Schon seit dem 9. Jahrhundert gab es vor Ort eine mächtige Burgstätte, die sich zum Sitz der fürstlichen Verwaltung und zu einem begehrten Handelszentrum entwickelte. Daraus entstand im 13. Jahrhundert eine Stadt. An Prestige gewann der Ort im 14. Jahrhundert. Darauf geht auch der anfangs erwähnte Titel „Stadt der böhmischen Königinnen“ zurück:

Foto: Markéta Kachlíková,  Radio Prague International

„Im 14. Jahrhundert überschrieb Rudolf I. Hradec Králové und weitere ostböhmische Städte seiner Gattin Elisabeth Richza. Somit hat Hradec Králové den Status Leihgedingstadt bekommen, wobei Leihgeding so viel wie Mitgift bedeutet. Dieser Status und der Aufenthalt der Königin hatte für die Stadt große politische und wirtschaftliche Bedeutung. Später lebte hier eine andere Elisabeth, und zwar Elisabeth von Pommern, die Witte des Kaisers Karls IV. Auch ihr Aufenthalt war für Hradec von Nutzen. Denn sie kümmerte sich um die Vergabe neuer Stadtprivilegien. Das waren also unsere Elisabeths.“

Während der Hussitenkriege zu Beginn des 15. Jahrhunderts wurde Hradec neben Prag und Tábor eines der Zentren der Hussiten, die die Stadt im Juni 1420 eroberten. In dieser unruhigen Zeit wurde unter anderem die königliche Burg völlig zerstört, die sich an der Stelle des heutigen Großen Rings befand.

Der Weiße Turm und die Glocke Augustin

Die Prager Brücke | Foto: Markéta Kachlíková,  Radio Prague International

Über dem Hauptplatz ragen drei hohe Türme in den Himmel, die das Stadtpanorama beherrschen. Zwei davon gehören zur gotischen Kathedrale. Die höchste Dominante ist der sogenannte Weiße Turm, der am Ende des 16. Jahrhunderts aus weißem Sandstein errichtet wurde.

„Der Weiße Turm sollte als Wachturm dienen, weil die Stadt häufig von Bränden betroffen war. Ganz oben im zehnten Stock gab es eine Wohnung für den Wachtmeister. Der Turm ist 72 Meter hoch, die Laufbühne befindet sich in der Höhe von 43 Metern. Und wir müssen heute 226 Treppenstufen hinaufsteigen, um die Aufsicht auf die Stadt genießen zu können.“

Nicht nur die Stadt selbst, sieht man von oben. Von der Turmgalerie aus bietet sich auch ein Ausblick bis zu den Bergkämmen des Riesen- und des Adlergebirges. Beim Aufstieg vom Erdgeschoss, in dem sich ein Modell des Turms aus Glas befindet, bis zur Galerie, kann man in den einzelnen Etagen einen kurzen Zwischenstopp einlegen: Man kann durchatmen und sich eine interaktive Ausstellung ansehen, die dort gezeigt wird. Eine besondere Überraschung wartet im achten Stock:

Die Glocke Augustin | Foto: Markéta Kachlíková,  Radio Prague International

„Wir stehen hier bei der drittgrößten Glocke Tschechiens, sie heißt Augustin. Normalerweise läutet sie zehn- bis zwölfmal im Jahr, meistens an christlichen Feiertagen. Die Glocke wiegt acht Tonnen, der Klöppel 120 Kilo. Man braucht fünf Leute, um sie anzuschlagen. Die Glocke wurde 1509 gegossen von dem Glockengießer Ondřej Žáček. Sie sollte ursprünglich im Dom des Heiligen Geistes hängen, nach einem Brand im Dom wurde aber entschieden, die Glocke im Weißen Turm aufzuhängen.“

Einen Schock gab es für die Glöckner am Heiligen Abend vergangenen Jahres. Denn nach fünf Minuten Geläut verstummte die Glocke plötzlich. Der Klöppel, der im Tschechischen als das „Herz“ der Glocke bezeichnet wird, löste sich ab, stürzte auf den Boden und wurde beschädigt. Zu Ostern wird Augustin nach einer Reparatur aber erstmals wieder schallen können.

Wir verlassen nun den Turm. Gleich daneben steht die Königgrätzer Kathedrale:

Der Dom des Heiligen Geistes und der Weiße Turm | Foto: Markéta Kachlíková,  Radio Prague International

„Der Dom des Heiligen Geistes wurde durch die Königin Elisabeth von Richza Anfang des 14. Jahrhunderts gegründet und durch ihre Nachfolgerin Elisabeth von Pommern vollendet. Gottseidank blieb die Kathedrale zu den Zeiten der Hussiten von der Zerstörung verschont. Es ist ein majestätischer Backsteinbau. Der Kirchenraum ist ungefähr 50 Meter lang. Im Jahr 2007 wurden in dem königlichen Vorhof zwei Büsten von unseren Elisabeths als ein Dank installiert.“

Der Platz vor dem Dom wurde nach Papst Johannes Paul II. benannt, der Hradec in den 1990er Jahren zweimal besuchte. Wenn man von dort rechts abbiegt und einen Hausdurchgang auf der linken Seite passiert, kommt man auf eine Freifläche. Die Gebäude sind ein Zeichen des heutigen Lebens in der Stadt:

„Der ausgedehnte Gebäudekomplex, vor dem wir nun stehen, ist die ehemalige Bürgerbrauerei. Sie war bis 1999 in Betrieb. Danach hat die Stadt die Gebäude renoviert. Heute gibt es hier eine Universität, das Kreisamt, ein Restaurant und im Sommer ein Freiluftkino.“

Die militärische Festung

Der Rest der Stadtbefestigung | Foto: Klára Stejskalová,  Radio Prague International

Von dem Brauereigelände aus gelangt man zu den historischen Stadtmauern, die heute als Park und Ruheplatz dienen. Von dort aus bietet sich ein schöner Blick auf die Türme der Innenstadt. In der anderen Richtung sieht man ein großes gelbes Gebäude – die Kaserne der Stadt:

„Im 18. Jahrhundert führte Maria Theresia Krieg gegen Friedrich II. 1766 fing ihr Sohn, der spätere Joseph II., an, hier eine militärische Festung zu bauen, die weitere preußische Überfälle verhindern sollte. Die Bürger wurden umgesiedelt, und sogar die Flüsse umgeleitet. Es gab hier militärische Gebäude wie etwa Waffenlager, ein Krankenhaus und eine Kaserne. Die Stadt bekam die Form eines achteckigen Sterns.“

Doch die Festung erfüllte nur ein Jahrhundert lang ihren Zweck, bis zur bekannten Schlacht bei Königgrätz 1866, der Entscheidungsschlacht im Deutschen Krieg, in der das preußische Heer die Truppen Österreichs und Sachsens besiegte.

Das Museum Ostböhmens | Foto: Klára Stejskalová,  Radio Prague International

Anfang des 20. Jahrhunderts wurden die Festungsmauern eingerissen. Die Stadt begann aufzublühen und erlebte in den 1920er und 1930er Jahren einen fantastischen Aufschwung. Dem originellen und zeitlosen städtebaulichen Konzept des Architekten Josef Gočár ist es zu verdanken, dass sie bis heute als ‚Salon der Republik‘ bekannt ist. Aber auch schon um die Jahrhundertwende wuchsen dort mehrere einzigartige Bauten:

„Das Museum Ostböhmens zum Beispiel ist ein wichtiges Werk des Architekten Jan Kotěra. Auch František Sander war hier tätig, wir werden später noch sein Kraftwerk sehen. In dieser Zeit gab es hier einen Einfluss aus Wien. Die Architekten haben in Wien studiert und den Wiener Geschmack nach Hradec gebracht. Der damalige Bürgermeister war begeistert, und arbeitete eng mit ihnen zusammen. Sie haben viel Raum zum Bauen bekommen.“

Das Museum Ostböhmens | Foto: Markéta Kachlíková,  Radio Prague International

Salon der Republik – die Architektur der Zwischenkriegszeit

Wasserkraftwerk  Hučák | Foto: Klára Stejskalová,  Radio Prague International

Zwischen 1926 und 1928 erstellte der Architekt Josef Gočár im Auftrag des Bürgermeisters František Ulrich einen Städtebauplan, der die Grundlage für die weitere bauliche Entwicklung der Stadt bildete. Gočár schlug vor, die Altstadt mit einem Grüngürtel zu umgeben. Der Plan schrieb damals auch die Höhe der einzelnen Häuser, die Anzahl der Stockwerke sowie die Gestaltung der Höfe und Gärten vor und war damit selbst im weltweiten Maßstab seiner Zeit voraus. Denkmäler aus dieser Zeit kann man am rechten Elbufer bewundern. Noch bevor man das historische Stadtzentrum über eine Brücke verlässt, geht man an einem dröhnenden Wehr Namens „Hučák“ vorbei:

„Wenn wir schon über die moderne Architektur reden, müssen wir auch unser kleines Wasserkraftwerk erwähnen. Es wurde im Jugendstil erbaut, nach einem Entwurf des Architekten František Sander. 1912 wurde es in Betrieb genommen, und die ursprünglichen Turbogeneratoren und Turbinen sind bis heute in Betrieb. Allerdings stehen wir aktuell vor einem Problem, denn die Meister, die sich um diese Anlagen kümmern, werden bald pensioniert und wir haben bisher leider keinen Ersatz für sie gefunden. Das Kraftwerk versorgt seine nahe Umgebung noch heute mit Strom. Und im Inneren befindet sich ein Infozentrum über neue Energiequellen, das auf jeden Fall einen Besuch wert ist.“

Hradec Králové | Foto: Markéta Kachlíková,  Radio Prague International

Entlang der Elbe führt ein Weg, den viele Einwohner zum Spazierengehen nutzen. Auch viele Radfahrer sind dort unterwegs. Das ist in Tschechien einzigartig, denn das Radfahren ist in den Städten gar nicht so verbreitet wie etwa in Deutschland. Doch die Lage im Becken der Elbe ist für die Bewegung mit dem Zweirad günstig. Außerdem werden Märkte und Feste auf der Promenade veranstaltet.

Am rechten Ufer fällt ein mächtiges Gebäude aus roten Ziegeln auf. Eine Kuppel sowie zwei sitzende, fünf Meter hohe Frauenfiguren dominieren den Eingang. Sie sollen die Allegorie von „Industrie“ und „Geschichte“ darstellen, die die Stadt Hradec Králové zur Zeit ihres größten Aufschwungs symbolisiert. Lucie Šetková verabschiedet sich dort von uns.

„Unsere letzte Station ist das Ostböhmische Museum. Es handelt sich um ein majestätisches Backsteingebäude, nach einem Entwurf von Jan Kotěra. Es wurde im Jugendstil erbaut. Auch der Brunnen und die Inneneinrichtung wurden von Kotěra entworfen. Das Gebäude gehört von Anfang an der Stadt Hradec Králové. Im Museum befinden sich über zwei Millionen Objekte in drei thematischen Sammlungen, und zwar Archäologie, Geschichte und Naturwissenschaften. Die momentane Dauerausstellung ist als der Weg der Stadt konzipiert, und zwar gibt es drei Routen: Den Weg zur Stadt der böhmischen Königinnen, den Weg zur militärischen Festung und den Weg zum Salon der Republik. Wenn Sie in Hradec sind, sollten Sie dem Museum auf jeden Fall einen Besuch abstatten.“

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