Ich habe einen Traum

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Ich kann das eigentlich nicht mehr hören, dieses breitamerikanische "I have a dream", obwohl es ja für einen guten Zweck war. Aber nun muss auch ich gestehen: I have a dream, Ja mam sen, ich habe einen Traum. Und das vor allem, seit ich Kunde - wie man ja so hübsch Neudeutsch sagt - auf allen möglichen Stadt-, Kreis-, Sozial-, Polizei- oder Post-Ämtern der Tschechischen Republik bin.

Illustrationsbild
Gerade im letzteren, dem Postamt, wollte ich neulich eine Slozenka, eine Art Scheck, von meinem Stromversorger einlösen. Pustekuchen! Der Postcomputer will mit einer Geburtsnummer gefüttert werden. Ansonsten streikt er.

In einer Phase des Übermuts wollte ich mal ein kleines Unternehmen in der Tschechischen Republik gründen. Kein Problem, wie mir ein Faltblatt mitteilte: "Ausländische Personen können unter den gleichen Bedingungen..." und so weiter und so fort. Folgende Angaben braucht das Handelsregister: ... - und da war sie auch schon wieder - die Geburtsnummer.

Ich wurde bescheidener, wollte mich bei einer Ärztin nur von meiner Erkältung heilen lassen. Sie schaute auf mein Versicherungskärtchen, die Stirn sorgenvoll verrunzelt: "Sie haben ja keine Geburtsnummer! Was mach ich denn jetzt mit Ihnen?" Als frischer Ausländer kann Sie so eine Frage erst mal verunsichern. Beim dritten Mal halten Sie das dann für einen ziemlich gut gespielten Running-Gag. Aber mit jeder weiteren Erkältung verhärtete sich bei mir der Verdacht wie ein Gallenstein: Die meint das ernst! Oft wollte ich ihr seitdem schon zurufen:

"Sie, Göttin in Weiß, vergessen Sie meine Erkältung, vergessen sie das Fieber, machen Sie, dass ich eine Nummer kriege, ich will eine Nummer, eine echte Geburtsnummer! 08/15, 007, 47/11 oder von mir aus auch eins, zwei, drei - ganz egal!"

Schließlich kam der Tag, da nahm mich mein Arbeitgeber zur Seite und sagte: Pane Rühmkorfe, Sie müssen zur Ausländerpolizei und sich eine Geburtsnummer besorgen!

Ich rannte los, zog eine Nummer, also eine Wartenummer, denn so schnell würde es nun auch wieder nicht gehen mit der Geburtsnummer und wartete. Als ich an der Reihe war, nickte die Dame, die Geburtsnummer könne ich beantragen. Ich müsse nur dieses Formular hier ausfüllen. Wie lange es denn dauern werde, erkundigte ich mich beiläufig. - Ein Jahr?! Ihr kam das wohl selbst böhmisch vor und so erklärte sie:

"Die Geburtsnummer setzt sich aus dem Geburtsdatum und einer Zusatzzahl zusammen, also zuerst kommen die beiden letzten Zahlen des Geburtsjahres, dann der Monat und zum Schluss der Tag. Zu diesen sechs Zahlen wird noch eine Endung gegeben. Bis 1954 wurden drei Zahlen als Endung benutzt, seitdem haben alle Tschechen vier Ziffern am Ende der Geburtsnummer. Die ganze Nummer soll durch elf dividiert werden können, denn so erkennt man, ob es sich um eine gefälschte Nummer handelt. Bei Frauen wird noch zum Monat die Zahl 50 addiert. So können wir also anhand der Geburtsnummer schnell erkennen, ob es sich um eine Frau oder um einen Mann handelt."

Verstehe. Ganz klar, dass das ein Jahr dauert. Bis dahin sage ich mir eben weiterhin: I have a dream, Ja mam sen, ich habe einen Traum!

Ach ja: Bei meinem nächsten Blind-Date werde ich zuerst nach der Geburtsnummer fragen und dann blitzschnell ausrechnen, ob es sich um eine Frau oder einen Mann handelt!