Innovation oder Betrug? Die Prager Bürgerkarte „Opencard“ erhitzt die Gemüter
Seit einigen Wochen beschäftigt die Causa Politiker, Medien und die Öffentlichkeit in der tschechischen Hauptstadt: Die Stadt habe bei der Einführung der multifunktionalen Bürgerkarte „Opencard“ Geld in großem Stil verschwendet, die ganze Sache rieche nach Korruption. Und die „Opencard“ sei nur einer von vielen verdächtigen Aufträgen, behauptet die Opposition. Die in Prag regierende Demokratische Bürgerpartei (ODS) mit Oberbürgermeister Pavel Bém an de Spitze hingegen betont, von Korruption sei keine Rede. Allerdings, so musste das Stadtoberhaupt zugeben, sei die eine oder andere Bestimmung im Vertrag über den Betrieb der elektronischen Bürgerkarte für die Stadt nicht gerade vorteilhaft. Die Angelegenheit, die auch vor dem Hintergrund der im Herbst dieses Jahres anstehenden Kommunalwahlen spielt, war am Sonntag Anlass für eine äußerst hitzige Fernsehdebatte.
„Das Handeln von Pavel Bém kostet die Prager Milliarden Kronen. Der neueste Fall betrifft die ‚Opencard’. Das sind hinausgeworfene fast 900 Millionen Kronen, die in der Tasche von Lobbyisten, in Yachten und Villen enden. Und so ganz nebenbei funktioniert dieses Ding auch als Straßenbahnfahrschein. Bildlich ausgedrückt: Sie begleichen 20 Kronen Parkgebühr mit der Karte und die Stadt zahlt noch einmal einen Hunderter drauf. So schlecht ist der Vertrag!“
Tatsächlich muss die Stadt der Firma Haguess, die das Projekt im Auftrag der Stadt managt, für jede ausgegebene „Opencard“ Lizenzgebühren bezahlen. Bei einigen Hunderttausend Karten, die bisher ausgegeben worden sind, kommen so schnell große Beträge zusammen. Oberbürgermeister Bém gibt zu, dass die Lizenzgebühren nicht besonders vorteilhaft für die Stadt seien, man verhandle aber bereits über eine Änderung des Vertrages. Die von Cyril Svoboda genannten Zahlen seien falsch, das Projekt ‚Opencard’ habe nicht wie behauptet umgerechnet rund 33 Millionen Euro gekostet:
„Die genannten 880 Millionen Kronen sind eine virtuelle Zahl. Oder, mit anderen Worten, eine Lüge. In Wirklichkeit sind in die ‚Opencard’ nur 720 oder 730 Millionen Kronen geflossen.“
Also nur gut 27 Millionen Euro. Und das sei gut investiertes Geld, denn die „Opencard" soll in Zukunft noch mehr sein als nur Bibliotheksausweis und elektronischer Straßenbahnfahrschein, betont Bém. So soll sie als elektronische Geldbörse verwendet werden können, mit der man im Schwimmbad, im Theater, im Kino oder im Zoo bezahlt und sie soll bei verschiedenen Partnern Ermäßigungen ermöglichen.
All diese Funktionen bietet seit einigen Jahren auch die „In Karta“, die Kundenkarte der Tschechischen Bahnen. Deren Einführung habe mit 100 Millionen Kronen (3,8 Millionen Euro) etwa ein Zehntel der Prager „Opencard“ gekostet, rechnet Christdemokrat Svoboda vor. Und seine Zahlen seien schon richtig, schließlich seien sie in dem von der Stadt in Auftrag gegebenen Gutachten bestätigt. Oberbürgermeister Bém spricht hingegen von einem Irrtum.Die Prüfer hätten selbst zugegeben, dass sie sich geirrt und verrechnet hätten, so der hörbar erregte Pavel Bém im Tschechischen Fernsehen. Die sei auch von zwei weiteren, unabhängigen Gutachten bestätigt worden. Eine Vorgangsweise, die wiederum Svoboda kritisiert:
„Das ist genau der Grund, warum ich Pavel Bém zum Rücktritt als Oberbürgermeister auffordere. Weil so lange er und seine Freunde an der Spitze der Stadt stehen, wird keine Klarheit in die Sache kommen. Da werden einfach weitere Gutachten bestellt, das fünfte, das sechste und so weiter. So lange, bis man endlich einen Experten findet, der Pavel Bém auf die Schulter klopft und ihm bestätigt, dass er alles richtig gemacht hat. Es muss jemand anderer kommen, der das wirklich alles aufdeckt. Die Karte, die ganze Sache stinkt gewaltig.“Am Dienstag sollen im Prager Gemeinderat nun die Ergebnisse des neusten Gutachtens zur „Opencard“ präsentiert werden. Es ist Gutachten Nummer drei. Und seit einiger Zeit ermittelt auch die Polizei in der Causa.
In der Affäre rund um die multifunktionale Stadtkarte mit dem klingenden Namen „Opencard“ mussten vor kurzem die beiden von der Opposition nominierten Stadträte ihren Hut nehmen. Sie hätten im Zusammenhang mit der Einführung der „Opencard“ nicht näher genannte Fehler begangen, hieß es. Der Prager Stadtsenat ist somit ausschließlich in der Hand der ODS. Ein Zustand, der den früheren Dissidenten und späteren Staatspräsidenten Václav Havel an längst vergangen geglaubte Zeiten erinnert:
„Ich bin wirklich beunruhigt über das, was da im Prager Rathaus passiert. Die Entfernung der beiden von der Opposition nominierten Stadträte wirft uns zurück in die Zeiten der Alleinherrschaft einer einzigen Partei. Das ist eine sehr gefährliche Entwicklung. Gerade denjenigen, die große Entscheidungsgewalt haben, müssen wir ständig den kritischen Spiegel vorhalten. Das ist das Grundprinzip der Demokratie. Die Ausschaltung dieser Kritik ist der Weg ins Verderben.“Kritik an Oberbürgermeister Pavel Bém kommt zunehmend auch aus den eigenen Reihen: Sein langjähriger parteiinterner Widersacher, ODS-Chef und Ex-Premier Mirek Topolánek, sprach kürzlich im Zusammenhang mit der „Opencard“-Affäre von einem „typischen Beispiel, wie in Prag öffentliche Aufträge vergeben“ würden. Und auch in der Prager ODS wird der Machtkampf zwischen Oberbürgermeister Bém und seinem unter anderem für das Projekt „Opencard“ zuständigen Vizebürgermeister Rudolf Blažek immer heftiger. Bém, der sich im Frühjahr dieses Jahres bei den Parlamentswahlen um einen Sitz im Abgeordnetenhaus bewerben will, hat angekündigt, als Abgeordneter nicht weiter Oberbürgermeister bleiben zu wollen. Blažek, der sich gute Chancen auf Béms Nachfolge ausrechnet, scheint dessen Abgang noch beschleunigen zu wollen, bevor es sich Bém anders überlegt. Was wiederum den Noch-Oberbürgermeister zu öffentlichen Attacken auf seinen Stellvertreter zu motivieren scheint.
Die Gemeinderatssitzung am Dienstag dürfte demnach alles andere als ruhig verlaufen. Das letzte Wort fallen in der Causa „Opencard“ dürfte allerdings frühestens nach den Wahlen zum tschechischen Parlament im Frühjahr oder gar den Prager Kommunalwahlen im Oktober.