Intoleranz aus Frustration? Social Watch schlägt Alarm

Foto: Venca24, Wikimedia CC BY 4.0

Die Krise ist vorbei, doch die Intoleranz in der Gesellschaft wächst. Unter diesem Titel hat am Mittwoch die Organisation „Social Watch“ ihren Jahresbericht für Tschechien veröffentlicht. Waren es bislang vor allem Roma, denen Abneigung entgegenschlug, steht demnach ein großer Teil der Bevölkerung inzwischen Flüchtlingen misstrauisch gegenüber.

Foto: Venca24,  Wikimedia CC BY 4.0
Es sei eine Verschiebung zu beobachten, weg vom Antiziganismus hin zu Antiislamismus und allgemeiner Fremdenfeindlichkeit. So fasste es Tomáš Tožička von Social Watch am Mittwoch zusammen. Tendenzen gegen Minderheiten und Xenophobie sind eines von sechs Themenfeldern, mit denen sich der Zusammenschluss aus Nichtregierungsorganisationen in diesem Jahr befasst hat. Ein Schlüsselereignis für den Umschwung in der Stimmungslage sei die Diskussion um bis zu 2000 Mittelmeerflüchtlinge gewesen, die vor allem nach dem Willen der EU in Tschechien Zuflucht finden sollen. Tomáš Tožička:

Tomáš Tožička  (Foto: Archiv von Tomáš Tožička,  CC BY-SA 2.0)
„Das ist doch gar kein Vergleich zu der viel höheren Zahl an Flüchtlingen, die hier früher aufgenommen wurde. Damals hat niemand darüber gesprochen, niemanden hat es interessiert, wie es ihnen geht, außer den verantwortlichen humanitären Organisationen. Das Sicherheitsrisiko für die Einwohner ist minimal, doch leider wird das von manchen Medien, von manchen Politikern und Gruppierungen ganz anders dargestellt und ausgenutzt. Das führt zu diesem Anstieg der Spannungen.“

Anlass zur Besorgnis gibt das auch für die Regierung. Jiří Dienstbier (Sozialdemokraten) ist als Minister für Fragen der Gleichstellung und Menschenrechte zuständig:

„Ich denke, das ist für unsere Gesellschaft sogar eine größere Gefahr als die Welle der Migranten. Die birgt natürlich eine gewisse Gefahr, aber die Intoleranz in unserer Gesellschaft ist meiner Meinung nach heute bereits das größere Risiko.“

Jiří Dienstbier  (Foto: Filip Jandourek,  Archiv des Tschechischen Rundfunks)
Ausdrücklich begrüßte Dienstbier den Aufruf tschechischer Wissenschaftler für Toleranz und eine sachliche Diskussion, der in dieser Woche online ging. Zugleich äußerte Dienstbier Verständnis für die Frustration in großen Teilen der Bevölkerung. Viele Menschen fühlten sich abgehängt vom neuen Wirtschaftsboom. Darauf verweist auch Social Watch. Obwohl die Wirtschaft nach acht Jahren wieder wachse, lebten große Teile der Bevölkerung nur knapp über dem Existenzminimum, heißt es in dem Jahresbericht. 1,5 Millionen Menschen müssen demnach mit niedrigen Löhnen auskommen. Die Wirtschaftswissenschaftlerin Ilona Švihlíková ist eine der Mitautorinnen.

Ilona Švihlíková  (Foto: Archiv von Ilona Švihlíková,  CC BY-SA 3.0)
„Wir haben im Vergleich zu unserer Wirtschaftsleistung insgesamt ein sehr niedriges Lohnniveau. Und eine der Ursachen dafür ist vermutlich die Stellung Tschechiens in der internationalen Wirtschaftswelt. Wir leiden darunter, dass große Teile der Gewinne ins Ausland abfließen – in einem viel stärkeren Ausmaß, als in den anderen Visegrád-Ländern.“

Die Abhängigkeit von ausländischen Investitionen müsse aufhören, so lautet ein Appell Švihlíkovás an die Politik. Anzeichen dafür gebe es bereits, sagt die Wissenschaftlerin, auch in anderen Bereichen.

„Einer der wichtigsten Schritte betrifft den Mindestlohn und auch, dass sich das derzeitige Kabinett wesentlich intensiver als die vorangegangenen Regierungen das Problem der Sozialwohnungen vergegenwärtigt.“

Am Freitag hat die Regierung unter Bohuslav Sobotka den Mindestlohn von derzeit 340 auf knapp 370 Euro erhöht. Die Mitte-Links-Koalition hat in ihrem Regierungsprogramm vereinbart, den Mindestlohn nach und nach auf zwei Fünftel des Durchschnittslohnes anzuheben. Der lag im ersten Quartal 2015 bei 936 Euro.