Jan Petránek – eine Lebensgeschichte des 20. Jahrhunderts (2. Teil)
Er war Journalist, Publizist, Redakteur des Tschechoslowakischen Rundfunks, Unterzeichner der Charta 77, anschließend Heizer und Liedermacher, und ist seit der Wende 1989 wieder Journalist: Jan Petránek. Über seinen Werdegang sprach mit ihm Jitka Mládková für unsere Rubrik „Heute am Mikrophon“. Bereits vor zwei Wochen hörten Sie den ersten Teil des Gesprächs. Nun also, wie versprochen, der zweite Teil.
„´Pass auf´, sagte er zu mir, ´die meisten Erdbewohner leben in Asien. In welche Richtung sich China und Indien auch entwickeln werden – wenn auch nicht gleich, sondern erst mit der nächsten oder übernächsten Generation, dorthin wird sich auch die Welt drehen.´ Das konnte er wirklich genial voraussehen und hat mir deshalb empfohlen, mich mit Afrika, Asien und mit Lateinamerika zu beschäftigen. Dort müsse vieles geändert werden, wenn die Welt einen Dritten Weltkrieg verhindern will. Darum wird es dort auch Revolutionen geben, zunächst aber müsse mit dem Kolonialismus Schluss gemacht werden.“
Die vom Vater vermittelten Inspirationen sind offenbar auf fruchtbaren Boden gefallen. Seit 1956 haben Sie fleißig recherchiert und sogar Hindi gelernt. 1961 wurden Sie als Korrespondent des Tschechoslowakischen Rundfunks nach Indien entsandt. Dort haben Sie dank Ihrer journalistischen Tätigkeit Gelegenheit gehabt, auch bedeutende Persönlichkeiten kennen zu lernen. Zum Beispiel Jawaharlal Nehru oder seine Tochter Indira Ghandi. Sie war damals die Ministerin für Rundfunk und Information. Wie kam es dazu?
„Ich war des Öfteren beim Sender All India Radio, von wo aus ich einige meiner Reportagen via Kabel nach Prag schickte. Dort habe ich Frau Ghandí kennen gelernt und wurde von ihr mehrmals zum Tee eingeladen. Es waren zehn bis fünfzehn Menschen zugegen und alle waren an Informationen und Meinungen über Europa interessiert. Manchmal ist auch Nehru gekommen. Einmal hat er mich zu sich eingeladen. Dieses Glück hatten nicht viele Journalisten, außer Melville del Mellow, der Chef des Senders ´All India Radio´ und auch ein hervorragender Reporter war. Ihm habe ich oft tschechische Witze erzählt, die ich an die indische Realität angepasst habe. Er lachte sich halb krumm und war dabei so laut, dass einmal Indira Ghandi reinschaute, um zu wissen, was los ist. So habe ich sie kennen gelernt und wurde dank ihrer auch in die engere Radioelite aufgenommen. Mindestens sechs oder sieben Mal wurde ich zu ihr zum Tee eingeladen, wo es nicht viele Gäste gab. Dort hatte ich die Möglichkeit, auch an einige höchst delikate Informationen zu gelangen.“
Das war bestimmt interessant, aber was hat Ihnen der Indien-Aufenthalt insgesamt gebracht?
„Um es kurz zu machen. Indien hat mich vor allem eines gelehrt: Sich vor nichts zu fürchten. So viel Armut, so viel Leid und so tief in der Geschichte verwurzelte Menschenschicksale wie in Indien trifft man kaum in einem anderen Land der Welt - außer vielleicht im brasilianischen Dschungel oder irgendwo in Zentralafrika. In Indien leben viele Menschen, die am Tag höchstens einen Fladenbrot und eine Tomate zu Essen haben, die aber am Abend immer noch lachen können. Angesichts dieser, wenn auch mit Menschenwürde gepaarten Armut, sagte ich mir, dass ich mich in meinem Leben von nichts mehr brechen lassen darf.“
Sie sollten ursprünglich vier Jahre in Indien arbeiten. Ihr Aufenthalt dort wurde jedoch zwangsweise beendet. Hatte es etwas mit dem sowjetischen Geheimdienst KGB zu tun, der sie mittels von „Journalistenkollegen“ engagieren wollte?
„Das waren sechs Journalisten aus der Sowjetunion und die waren alle gut ausgebildete Spione. Sie haben sich damals mit einem Angebot an mich gewendet, etwas für sie zu tun. Ich lehnte ab, sie drängten aber weiter, so dass ich mich in Prag beschwert habe. Da aber unsere Geheimpolizei StB mit dem KGB verknüpft war, wurde ich abberufen. Nach dem Aufenthalt in Indien hatte ich ursprünglich als Sonderkorrespondent nach New York gehen sollen. Nach der Beschwerde war es aber nicht mehr möglich, der Westen blieb mir versperrt. Ich konnte aber wählen zwischen der Möglichkeit, in der Prager Redaktion zu bleiben oder nach Moskau zu gehen, um sozusagen den sozialistischen Aufbau zu propagieren.“
Sie hatten aber schon früher die Gelegenheit gehabt, sich in der Sowjetunion umzuschauen, nicht wahr?
„Sie sind eigentlich der erste Mensch, dem ich das erzähle. Im Mai 1960 hat man mich nach Moskau geschickt, um aus Anlass des 15. Jahrestages der Befreiung unserer Republik eine Reportage vom 1. Mai und den nachfolgenden Maitagen zu machen. Ich hatte aber die Idee, noch vor dem Antritt meines Korrespondentenpostens in Indien einen anderen Teil Asiens zu besichtigen. Gemäß meinem Plan reiste ich etwas früher nach Moskau, um von dort aus Usbekistan, Kasachstan, Kirgisien, Tadschikistan und Turkmenistan zu besuchen. Ich wollte mich zunächst im sowjetischen Mittelasien umsehen, um die Situation dort mit anderen Ländern Asiens vergleichen zu können. Von dieser 21 Tage langen Reise habe ich 21 Reportagen nach Prag geschickt, und sie haben alle große Resonanz gefunden. Sie enthielten kritische Worte, die im Rundfunk sogar akzeptiert wurden. Ich habe sie aber meine Freunde, die in diesen Ländern lebten, sagen lassen.“
Ihre Mittelasien-Reise endete also am 30. April 1960 in Moskau. Einen Tag später waren Sie Zeitzeuge einer großen Affäre des Kalten Krieges…
„Am 1. Mai 1960 haben die Russen das Flugzeug von US-amerikanischen Piloten Gary Powers während eines Spionagefluges über dem Ural abgeschossen. Chruschtschow tat dies am 2. oder 3.Mai kund, an den genauen Tag kann ich mich nicht mehr erinnern. Er informierte aber nur über das Flugzeug. Über das Schicksal des Piloten sagte er kein einziges Wort. Die Amerikaner glaubten, dass Gary Powers umgekommen war. Erst später konnte man erfahren, dass er im Gefängnis saß, nachdem er alle möglichen Geheiminformationen den Sowjets Preis gegeben hatte. Über den Fall Powers habe ich eine der größten Reportagen gemacht, die ich damals von meinem Aufenthalt in Moskau nach Prag schickte.“
Gerade die erwähnten 21 Reportagen aus der Sowjetunion haben wahrscheinlich dazu beigetragen, dass man Ihnen ein Jahr später angeboten hat, nach Moskau als Korrespondent zu gehen. Sie wollten aber nur zwei Jahre in der Sowjetunion bleiben. War es das für einen Journalisten interessante Geschehen, das Sie letztlich dazu bewogen hat, länger zu bleiben?
„Ich kam dort am 14. Oktober 1962 an. An dem Tag begann die Kuba-Krise. Es war ein großes Ereignis. Als aber die Krise beigelegt war und die Welt durchatmen konnte, dass nun der Dritte Weltkrieg abgewendet war, begann in Moskau das so genannte Tauwetter. Herausgegeben wurde Solschenizyns Novelle ´Ein Tag des Iwan Denissowitsch´. Im Moskauer Tschaikowski-Konservatorium erklang in einem Konzert Schostakowitschs Symphonie ´Babijar´. Das geschah nur einmal, danach durfte sie nicht wieder gespielt werden. Der erste Satz hat den Titel ´In Russland sterben die Ängste´. Das war ein phänomenales Ereignis. Ich konnte damals ein Interview mit Schostakowitsch machen. Geholfen hat mir Victor Hochhauser, der noch heute lebende große englische Musikmanager, den ich aus Indien kannte. Kurzum, es war alles sehr aufregend und interessant.“
Während Ihrer Zeit in Moskau hatten Sie die Möglichkeit, mit vielen Persönlichkeiten der sowjetischen Elite zu sprechen. In mehreren Interviews haben Sie wiederholt zum Beispiel den Präsidenten der Akademie der Wissenschaften, Mstislaw Keldysch, oder den Nobelpreis-Träger für Physik, Lew Landau erwähnt. Sie konnten sich in Moskau auch in einem Privatgespräch mit Glenn Seeborg, dem genialen Chemiker unterhalten, der als Vorsitzender der US-amerikanischen Atomkommission die USA bei den Gesprächen über die Nichtverbreitung der Atomwaffen vertreten hat. Sie haben aber auch freundschaftliche Kontakte zu amerikanischen Korrespondenten gepflegt und dafür auch bitter bezahlt.
„Das hat mich vier Zähne gekostet, als mir KGB-Agenten ins Gesicht schlugen, weil ich jeden Dienstag in einem Moskauer Hotel mit zwei amerikanischen Journalisten und meinen Freunden zu einer Diskussion zusammenkam. Aber auch der tschechische Botschaftsrat Spáčil hat mich angeschrieen. Heute kann ich dies ganz offen sagen. Ich sollte schriftlich einen Bericht machen, worüber ich mich mit den ausländischen Journalisten unterhalte. Ich habe abgelehnt und das war auch der Grund dafür, dass mir bald zwei Autos auf der Straße den Weg blockierten. Zwei Riesen machte sich über mich her und schrieen: ´Du tschechisches Schwein, was fährst du hier rum!´“
Am 14. Oktober 1964 wurde Partei- und Staatschef Nikita Chruschtschow gestürzt. Es war ein guter Grund für den Prager Rundfunk, seinen Moskauer Korrespondenten nicht auszuwechseln. Jan Petránek kehrte deswegen erst 1966 zurück. In der Tschechoslowakei steuerte die innenpolitische Lage auf den Beginn des Prager Frühlings zu. Das ist aber schon wieder ein anderes Kapitel im Leben von Jan Petránek.