Jana Koenigstein(ová): In Tschechien und Deutschland zu Hause

Jana Koenigsteinová (Foto: Martina Stejskalová)

Das nun auslaufende Jahr ungewöhnlich reich an runden Jubiläen, die noch dazu auf eine mit der Acht endende Jahreszahl zurückblickten. Aus ihrem Anlass wurde hierzulande an bedeutende Ereignisse der tschechischen Geschichte erinnert, die aber oft auch eine internationale Dimension hatten. Dazu gehörte auch die Invasion der Warschauer Paktstaaten in die damalige Tschechoslowakei am 21. August 1968. Im Leben vieler Tschechen wurden dadurch grundsätzlich die Weichen neu gestellt. Darunter auch im Leben derer, die nach diesem Datum aus dem Land emigrierten. Zu ihnen gehörte auch Jana Koenigstein, oder auch Koenigsteinová, je nachdem, wo sie sich gerade aufhält – in Tschechien oder in Deutschland. Jitka Mládková hat sie in unserem Prager Studio für die nun folgende Rubrik „Heute am Mikrophon“ interviewt.

Jana Koenigsteinová  (Foto: Martina Stejskalová)
„Ich bin in Bezděkov u Chrudimi geboren worden. Meine Mutter war eine deutsche Staatsangehörige, mein Vater war Tscheche. Sie haben sich in Deutschland kennengelernt, wohin mein Vater zur Arbeit aus dem ehemaligen Protektorat Böhmen und Mähren geschickt wurde. Als meine Mutter mit mir schwanger wurde, haben sich meine Eltern entschlossen – das war ja im Krieg – nach Tschechien zu gehen, wo ich zur Welt kam. Ich lebte damals zunächst in Eger und dann in Karlsbad bis 1968. Ein einschneidendes Datum war für mich der 21. August 1968, als die Warschauerpaktarmee hier ins Land einmarschiert ist.“

Darf ich wissen, wie alt Sie damals waren?

„Ich war 23. Es war ein Schock für mich, und so habe ich den Entschluss gefasst, zu emigrieren. Das war im Oktober 1968. Ich bin dann direkt nach München gegangen.“

Hatten Sie zu jenem Zeitpunkt irgendwelche Bindungen in Deutschland?

„Da meine Mutter eine Deutsche war, beherrschte ich die deutsche Sprache. Das war auch der Grund, warum ich nach Deutschland ging.“

Und Ihre Eltern, die sind zurückgeblieben?

„Als ich emigrierte, waren meine Eltern noch in Karlsbad.“

Sie sind also blutjung nach Deutschland gekommen. Was haben Sie gemacht? Wie haben Sie sich dort zurecht gefunden?

„Ich habe Pädagogik studiert und dann auch als Fachlehrerin gearbeitet. Leider gab es damals zu viele Lehrer und zu wenige Planstellen. Nach drei Jahren hatte ich meine Planstelle verloren und habe mich für eine spezielle pädagogische Richtung entschlossen. Das war die Montessori Pädagogik für das mehrfach behinderte Kind. Ich versuchte mich selbständig zu machen. Leider ist dies aus finanziellen Gründen nicht geglückt. Danach machte ich eine Ausbildung zur Krankenpflegerin, und zwar für den Bereich der Altenpflege. Mit diesen zusätzlichen Kompetenzen und meinem Diplom in Pädagogik habe ich mich dann entschlossen, als Dozentin an einer Altenpflegeschule zu arbeiten.“

Jana Koenigsteinová
Haben Sie also unterrichtet?

„Ich habe unterrichtet und hatte sogar die Stellung der stellvertretenden Schulleiterin inne. Dann, wie das das Schicksal so spielt, musste die Schule aus wirtschaftlichen Gründen leider schließen. Ich bin an die Handwerkskammer nach München gegangen und war dort in der Ausbildung der Meister tätig. Mein Fach hieß: Pädagogik und Psychologie des Jugendlichen.“

Konnten Sie damit sozusagen Ihr Brot verdienen?

„Ich habe mehrere Fachrichtungen gemacht und habe mir auch verschiedenes autodidaktisch erarbeitet. Das war alles Mögliche, zum Beispiel die Heilweise der Hildegard von Bingen oder auch der orientalische Bauchtanz. Das alles waren gut bezahlte Tätigkeiten.“

So viele Jobs und Jobwechsel – Haben Sie sich so ihr Leben vorgestellt?

„An und für sich bin ich ein Mensch, der immer wieder Neues ansteuert.“

Auf diese Art und Weise sind Sie bis zur Rente gekommen?

„Ich hatte einen ganz tollen Job, der mir sehr viel Spaß machte. Ich habe acht Jahre lang als Sozialpädagogin gearbeitet und unvermittelt, ganz urplötzlich verlor ich diese Arbeit. Damals war ich 57 Jahre alt. Ich stand pötzlich da und musste mich wieder umstellen. Dann sagte mir jemand: Du hast doch so viel Phantasie, du erzählst so viel über Prag, warum schreibst du nicht ein Buch? Ich dachte darüber nach und war nicht sehr glücklich mit der Idee. Nur zu sitzen und tippen, das war etwas Schlimmes für mich, da ich ein reiner Bewegungstyp bin. Aber nachdem ich eine Zeit krank war, wusste ich auch, dass ich nicht viele Möglichkeiten hatte. Ich dachte mir: Das Schreiben wird dich ablenken und du wirst endlich das zur Welt bringen, mit dem du schon so lange ‚schwanger’ gehst, mit dieser ‚tschechischen Seite’ in dir.“

Und sagen Sie, wie ist die "tschechische Seite" in Ihrem Inneren letztendlich zum Ausdruck gekommen?

„Ich habe ein Buch mit dem Titel ´Das Geheimnis der Goldenen Gasse´ geschrieben. Ich habe es auf Deutsch geschrieben, weil mein Tschechisch nicht mehr gut genug ist. Ich habe darin über das geschrieben, was ich immer schon sehr geliebt habe. Ich liebe Prag, und habe dort als Kind sehr oft die Goldene Gasse besucht. Mir hat der Beruf der Alchemisten wahnsinnig gut gefallen, obwohl ich auch viel Negatives darüber gehört habe. Und so dachte ich mir, das wäre mein Thema!“

Das Buch haben Sie also auf Deutsch geschrieben, es ist aber nicht in Deutsch erschienen. Warum?

„Es ist von einem deutschen Übersetzetzer ins Tschechische übersetzt worden – und zwar ganz ausgezeichnet. In Manuskriptform habe ich das Buch einem Bekannten gegeben und er hat es einer Verlegerin gezeigt. Sie fand das Buch gut und es wurde in der Auflage von ein Tausend Stück gedruckt.“

Wir sprechen jetzt von der tschechischen Version. Gibt es eine Chance, das Buch auch in der deutschen Fassung herauszugeben?

„Das will ich sehr hoffen. Es ist mir wichtig, dass man mehr über die tschechische Kultur in Deutschland erfährt, wo nicht selten nebulöse Vorstellungen vorherrschen. Außerdem könnte ich mir vorstellen, dass es Tschechen helfen könnte mithilfe der deutschen und tschechischen Version, die deutsche Sprache zu lernen.“

Sagen Sie unseren Hörern, was in Ihrem Buch besonders spannend ist.

„Es sind zwei Geschwister, die in Prag in der Vinohradská 7 wohnen, also nicht weit vom Funkhaus. Sie werden von ihrem Hausmeister und dem Hauseigentümer schikaniert, der aus diesem Haus ein Hotel machen möchte, weil er sich davon mehr Gewinn verspricht. Die Geschwister gehen dann in die Goldene Gasse, weil sie glauben, dass da freie Wohnungen zu haben sind. Und da erleben sie viele Abenteuer: Sie begegnen einem mysteriösen Alchemisten und sehr skurrilen Zwergen und kommen auch in das Reich der so genannten ´Golemani´, der Hybridenarmee. Sie suchen dort den ursprünglichen Golem, den sie schließlich auch entdecken – als ein Relikt aus alten Zeiten, der von den Golemanis belächelt wird. Auf eine sehr lustige Art und Weise kommen sie wieder in ein Reich, dass das Reich der Menschen ist.“

Gut. Den Rest werden wir lieber nicht verraten. Soviel ich weiß, haben Sie einen Sohn in Karlsbad. Zu der Zeit, als sie emigriert sind, hatten Sie schon ein Kind. Wieso ist es in Tschechien geblieben?

„Meine Emigration ist nicht so verlaufen, wie ich es mir vorgestellt habe. Ich bin ziemlich kompliziert über Österreich nach Deutschland gekommen. Ich wollte meinen Sohn, der zu dem Zeitpunkt bei meinen Eltern war, über das Rote Kreuz nach Deutschland holen. Bei meinen Bemühungen, meinen Sohn zu bekommen, ist Einiges schief gelaufen, weil mein Mann das Kind entführt hatte und sich das Kind vom Gericht zusprechen lassen hat. Nach dem damals gültigen tschechischen Gesetz sollte das Kind im Sozialismus erzogen werden. In einem Schnellverfahren wurde das Kind meinem Mann zugesprochen. Ich habe mich sehr bemüht, das Kind zu bekommen: über das Weiße Haus, über diverse Politiker wie etwa Franz-Josef Strauss, das ist aber nicht gelungen.“

Wie lange haben Sie Ihre Familie nicht sehen können?

„Mein Sohn war 15 Jahre alt, als ich ihn wieder sah. Das war für mich also sehr schlimm.“

Er ist Tscheche geblieben, nicht wahr?

„Ja.“

Haben Sie manchmal den Schritt, den Sie nach dem 21. August gemacht haben, bereut?

„In Bezug auf meine Familie und meinen Sohn ja. In Bezug auf Freiheit und persönliche Entwicklung habe ich von Deutschland profitiert.“