Jára-Cimrman-Theater: 22 Jahre auf der Insel der Stupidität
In wenigen Wochen wird in Tschechien an ein Ereignis erinnert, das zum entscheidenden Wendepunkt seiner Geschichte geworden ist. Am 17. November 1989 hat eine Studentendemonstration in Prag, die von der Polizei brutal auseinandergetrieben wurde, den Startschuss zu der so genannten Samtenen Revolution gab. Aus diesem Anlass wird hierzulande viel bilanziert und zugleich auch daran erinnert, wie dies und jenes vor dem Wende ausgesehen hatte. Welche Verhältnisse damals im Kulturbereich herrschten, wollen wir am Beispiel eines Theaters veranschaulichen.
Die Kulturpolitik in der ehemaligen Tschechoslowakei war 40 Jahre lang das Spiegelbild der herrschenden Partei- und Staatsideologie. Die Verknüpfung der Kultur mit kommunistischem Gedankengut reagierte damit auch auf politische Entwicklung und hat auch Entspannungsphasen erlebt. Nach der Niederschlagung des Prager Frühlings kam mit der politisch moskautreuen Führung die so genannte Normalisierung ins Land. Auch die Kultur blieb von den eingeleiteten Normalisierungsmaßnahmen nicht verschont. Viele Künstler und künstlerische Institutionen wurden in ihrer Tätigkeit behindert und viele Kulturschaffende mussten ins Gefängnis. Geschlossen wurden auch etliche Theaterhäuser.
Eines, das überlebt hat, sogar bis heute, war das Jára-Cimrman-Theater. Wie das möglich war, ist von Ladislav Smoljak und Zdeněk Svěrák zu erfahren. Die beiden sind von dieser Theaterbühne kaum wegzudenken: als Dramatiker, Autoren von erfolgreichen Filmdrehbüchern und nicht zuletzt auch als Schauspieler. Über ihr Leben im kommunistischen Staat erzählten sie im Tschechischen Rundfunk. Ladislav Smoljak:„Ich war 1948 sechzehn Jahre alt, war also etwas älter. Wir haben bald erkannt, dass wir in einer Welt leben, in der vieles verboten ist und die prinzipiell amoralisch ist, ohne Freiheit. Wir mussten also ein Modus vivendi finden, wie man in dieser Welt leben kann. Man war sich dessen bewusst, dass man einerseits die Realität zu respektieren, gleichzeitig aber auch moralische Grenzen - zum Beispiel für das Schweigen - festzulegen hat.“
Mit „Schweigen“ meint Smoljak den Mund halten. Man sage nicht, was man denke, nehme an Versammlungen teil, an denen man nicht teilnehmen wolle, und viel Ähnliches mehr, spricht Smoljak für die junge Generation der 1950-er Jahre. Wie er mussten sich auch viele andere Menschen immer wieder fragen, welche Folgen das Handeln, das im Widerspruch mit dem Gewissen steht, für ihr Leben haben könnte.
In den 60er Jahren habe sich aber manches zum Besseren verändert, sagt Zdeněk Svěrák:„Ich trat sogar in die kommunistische Partei ein, doch nicht um als Rundfunkredakteur arbeiten zu dürfen. Damals mussten ja alle das Parteibuch haben. Schon als Lehrer habe ich geglaubt, dass der Sozialismus für die Menschen gut sein könnte und dass sich alles zum Besseren wenden würde. In die Parteiführung tauchten neue Leute wie zum Beispiel Dubček auf. Heute wundern sich viele darüber. Die Leute waren aber damals tatsächlich begeistert, wenn man so einen Parteifunktionär wie ihn sehen konnte, wie er vom Brett ins Schwimmbecken springt oder wie er sich mit normalen Bürgern unterhält. Es sah danach aus, dass es die Partei, deren Mitglied ich leider Gottes war, mit ihrer Änderung ernst meinte.“
Mit dem politischen Tauwetter der 1960er-Jahre gab es vor allem in der Kultur zahlreiche Hoffnungsfunken für die erwünschte Besserung. Der frische Wind war in allen ihren Bereichen zu spüren. Damals wurde auch das Jára-Cimrman-Theater gegründet. Die Initialzündung kam eigentlich aus dem Tschechoslowakischen Rundfunk:
„Hier ist Prag, die Weinstube ´Zur Spinne´. Ich melde mich von meinem Standort in der Kastanienbaumkrone. Nur wenige Augenblicke trennen uns von der Eröffnung der Sommersaison in unserer Konzertweinstube. ....“
Das war ein historisches Ereignis, als Ende 1965 Zdeněk Svěráks Stimme zum ersten Mal im Äther ein neues Radioprogramm eingeleitet hatte. Svěrák, damals Mitarbeiter der Redaktion, die Programme für Soldaten sendete, hat gemeinsam mit seinem Kollegen Jiří Šebánek den fiktiven Allesbesserwisser Jára Cimrman aus der Taufe gehoben. In der Sendung kommentierten die beiden ein fiktives Geschehen in der fiktiven alkoholfreien Weinstube “Zur Spinne“ jeweils in einer - wie es hieß - „indirekten Übertragung“. Man konnte beim Zuhören kaum eigenen Ohren trauen. Die Protagonisten des Programms machten sich mit vollem Ernst zum Beispiel über das übliche Gelalle damaliger Funktionäre, kulturpolitischer Vertreter oder politisch motivierte Wissenschaftler lustig. Etwas später schloss sich auch Smoljak an:„Für uns haben die 1960er Jahre bedeutet, dass uns die neue Atmosphäre dazu inspirierte, ein Theater zu machen, das nicht dem Regime dienen muss. Das war damals schon möglich.“
Ende 1966 wurde die Gründung des Jára-Cimrman-Theaters beschlossen. Das politische Tauwetter endete jedoch mit der Niederschlagung des Prager Frühlings im August 1968. Im April 1969 begann ein neues Kapitel der tschechischen Geschichte, das die moskautreuen Machthaber als „Normalisierung“ der politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse im Lande bezeichneten. Diese wandelten schlagartig. Schon wieder hielt die Zensur Einzug, eine wesentlich strengere als zuvor. Ladislav Smoljak erinnert sich:
„Ich kann mich sehr gut an die Zensur vor 1968 erinnern. Das war eine Art Zensur, die aufgrund bestimmter Regeln funktionierte. Man hat ein Stück verfasst, das der Behörde.mit dem Namen ´Zentralverwaltung für die Presseaufsicht“ (HSTD) vorgelegt wurde. Wenn sie keine Vorwände dagegen hatte, bekam das Manuskript einen Stempel und war damit genehmigt. Wenn das Stück inszeniert wurde, kam jemand von der Behörde zu der Pflichtvorführung. Wenn auch danach eine Genehmigung erlassen wurde, war die Sache für uns erledigt. Von nun an galten die zuständigen Zensoren als Verantwortungsträger. Vor 1968 waren sie ziemlich tolerant und bestanden hauptsächlich nicht mehr darauf, sich vor der kommunistischen Partei zu verbeugen. Seit Beginn der Normalisierung war es schon schlimm.“Die Emigration kam für Smoljak und Svěrák nicht in Frage, wie sie sagen. Um weiter als Theaterbühne bestehen zu können, musste man ein Katz- und Maus-Spiel mit dem Regime spielen. Im Vergleich zu anderen Theaterhäusern hierzulande blieb das Jára-Cimrman-Theater von den üblichen ideologisch getragenen Eingriffen des Regimes eigentlich verschont. Es schien sogar auch außerhalb der Aufmerksamkeit der Geheimpolizei StB zu liegen. Erst nach der Wende 1989 konnte das Künstlerduo aus den StB-Akten entnehmen, dass unter den Besuchern im Publikum mehrmals Agenten der Staatspolizei saßen. Trotzdem ist es gelungen, dass ihr Theater in der langen Zeit der so genannten Normalisierung als eine der wenigen Freiheitsinseln innerhalb der festgeschnürten Kultur funktionierte.
Um die „kleine Fabrik für Humorproduktion auf der Insel der Stupidität und ständiger Verdächtigung betreiben zu können, brauchte man schon einen erfinderischen Geist“, bezeichnet Zdeněk Svěrák trefflich die Zeit zwischen 1969 und 1989, die oft als eine Zeitspanne der Finsternis genannt wird. Und so sieht er das damalige Leben:
„Ich würde sagen, man lebt wie in einem Aquarium. Das Aquarium ist immer das gleiche, doch unser Wasser war damals anders als das, in dem man in der heutigen Zeit schwimmt. Unser Wasser war etwas muffig, alt und die Wände des Aquariums waren nach außen hin nicht durchsichtig. Ich persönlich war überzeugt, dass ich im alten Regime auch sterben würde. Ich sah keinen Grund, an ein Wunder zu glauben, dass ein Gorbatschow zur Welt käme und der sowjetische Koloss zusammenbräche. “