Jazz-Pianist und Komponist Emil Viklicky

Herzlich willkommen zu unserer heutigen Ausgabe des Kultursalons. Einer der bekanntesten Vertreter der tschechischen Jazz-Szene ist der Pianist und Komponist Emil Viklicky. Auftritte in Prager Jazzclubs sind eher die Ausnahme für den vielbeschäftigten Mann. Viklicky geht Einladungen aus aller Welt nach und komponiert Film- und Theatermusik. Daneben beschäftigt er sich mit zeitgenössischer Musik und gewann mit der Oper "Faidra" den international ausgeschriebenen Musikwettbewerb "Eine neue Oper für Prag". In der heutigen Sendung wird jedoch vorwiegend seine Jazzmusik zu hören sein, es sprechen Lothar Martin und Jörn Nuber:

Zu Viklickys bekanntesten Werken gehört die Aufnahme "Pri Dest", was etwa mit "Der Regen regnet" zu übersetzen ist. Zusammen mit der Sängerin Zuzana Lapcikova und anderen Interpreten mährischer Liedkunst, versuchte Viklicky überlieferte Melodien mit moderner Jazzmusik zu kombinieren. Wie aber kommt Viklicky gerade auf das mährische Volkslied?

"Für Jazz ist vor allem ein ganz individuelles Spiel charakteristisch. Wie aber diese Individualität erreichen? Nun, ich komme aus Mähren und so versuche ich meine Wurzeln in mährischen Volksliedern zu suchen. Das ist vergleichbar mit dem Vorgehen von Komponisten wie Janacek und Bartok, die ihre Quellen in der Volksmusik fanden. Ich erinnere mich gut, wie meine Mutter mir als Kind mährische Volkslieder vorgesungen hat, auf Mährisch also, das ein wenig anders ist, als normales Tschechisch. Nun, das ist es, was ich in meine Kompositionen und in mein Spiel einzubringen versuche."

Janacek gehört denn auch zu Viklickys Lieblingskomponisten. Viklicky zeigt sich fasziniert von seiner Methode, Sprachmuster zu sammeln: Janacek achtete bei jeder Gelegenheit, auf dem Markt, beim Spaziergang auf die Melodie der Sprache, mit der das Volk im mährischen Brno/Brünn auch einfache Dinge äußert. Er hatte die Gewohnheit, die Noten dazu sofort auf Zetteln oder sogar auf seinem Hemdärmel zu notieren, und eine riesige Sammlung zeugt davon. Das besondere ist, dass Janacek beim Komponieren mit diesem Material umzugehen wusste. Dabei ist es wichtig zu wissen, mit welcher Emotion ein bestimmtes Sprachmuster verwendet wurde. Auch Viklicky hat bei vielen Jazzkompositionen Janaceks Sprachmuster-Methode angewendet und weiß, dass man sich als Komponist sehr bewusst über die ursprüngliche Situation sein muß:

"Einmal arbeitete ich in Mähren hinter der Bühne und jemand rief dort meinen Bassisten Frank mit mährischem Dialekt "Fa-no-shu". Nun, das ist ganz klar g g b C. Also habe ich ein Lied komponiert, das Fanoshu heißt und mit diesem rhythmischen Motiv anfängt. Das ist übrigens der typische Intervall für das 20. Jahrhundert. Und dann kann man bei der Komposition mit dem Motiv ganz normal weiterarbeiten. Ich bin total fasziniert von dieser Methode"

Viklicky gehört zu den Jazzmusikern, die sich bei Liveauftritten nur wenig auf inspirative Momente verlassen, sondern systematisch üben. Auf die Frage, was während des Spiels auf der Bühne passiert weiß Viklicky lange zu antworten:

"Wenn ich über Improvisation spreche, wollen die Leute immer etwas von Magie hören. Aber das Erste ist die Struktur. Im Laufe seines Lebens versucht der Jazzmusiker immer eine Struktur auszubilden. Und dann kommt es natürlich darauf an, mit wem man spielt. Wenn die Partner eingehen auf das, was du tust, können sehr gute Sachen entstehen[...] Nun, in manchen Momenten glaubt man, dass die Musik leichter zu einem kommt, in anderen kann das schwieriger sein. Weil man auf der Bühne ein gewisses Niveau nicht unterschreiten darf, braucht man natürlich bestimmte Mechanismen um spielen zu können, auch wenn man nicht sehr inspiriert ist. Wenn man aber in bestimmten Momenten inspiriert ist und wenn zufällig jemand da ist, der eine Aufnahme macht, dann ist es phantastisch. Da kann ein bestimmter Zauber dabei sein. Aber ich würde sagen, dahinter steckt sehr viel harte Arbeit. Es ist schwer zu sagen, aber ich denke 75 bis 80 Prozent sind dann harte Arbeit und der Rest Zauberei."

Harte, systematische Arbeit ist es also, die Viklickys Spiel perfekt machen. Auch könnte man aber meinen, seine Kompositionen unterlägen einer bestimmten Systematik. Der Komponist erklärt, wie es zu dem Eindruck kommt:

"Ich habe ein Mathematikstudium beendet, das war 1971, aber ich war nicht gerade scharf darauf, bei den Kommunisten zu arbeiten. Die Mathematik gibt einem eine bestimmte Theorie von Systemen, die sich nicht viel von musikalischen Systemen unterscheiden. Mich hat immer die reine Mathematik interessiert, nicht die angewandte. Es ist eine Perspektive, und vielleicht denke ich auch unbewusst beim Komponieren in diesen Systemen. Ich glaube, Bach war ein großer Mathematiker. Also wenn man sich seine Fugen ansieht, muss das ein mathematisch sehr begabter Kopf gewesen sein, vielleicht der begabteste seiner Zeit."

Mathematik ist für Viklicky nicht nur Bildungshintergrund und eine musikalische Perspektive. Ganz eng steht die akademische Mathematik, wie sie zur Zeit des Kommunismus eingerichtet war, mit der Biografie des Musikers in Zusammenhang. Die Vermutung ist gestattet, dass Viklickys Entscheidung für Jazz- und mährische Volksmusik auch eine politische Entscheidung war.

"Als ich 1971 mein Studium beendet hatte, wurde mir eine Stelle als Assistent angeboten. Aber Bedingung war die Mitgliedschaft in der kommunistischen Partei. Und das war etwas, was ich aus Familiären Gründen definitiv nicht wollte, weil mein Onkel unter den Kommunisten im Gefängnis war. Das kam gar nicht in Frage. Es wurde vorgeschlagen, meine Diplomarbeit zur Dissertation auszubauen. Also musste ich in der verantwortlichen Behörde vorsprechen und mir wurde gesagt: Ihre mathematischen Resultate sind mir ganz egal. Alles was sie zu tun haben ist Lenin und Marx zu lesen." Ich schaute also die Person an, verließ, ohne mich zu verabschieden das Zimmer und sagte mir, jetzt werde ich Jazzmusiker."

Was neben der Musik Janaceks, dem mährischen Volkslied und der Mathematik außerdem eine Rolle in den Kompositionen Viklickys spielt, ist die Malerei. Sein Leben lang war er davon umgeben: Der Vater unterrichtete Malerei an der Olmützer Universität und sein Onkel war ein bekannter Maler. Auch die bildende Kunst bietet sich als ein Gegenstand der musikalischen Umsetzung an:

"Ich war 1985 in Barcelona und eine Kunsthistorikerin nahm mich mit in das Archiv des Miromuseums, wo sie gerade arbeitete. Dort zeigte sie mir winzige Figuren aus Ton, die mich sehr fasziniert haben. Diese Figuren werden von Kunsthandwerkern aus Mallorca hergestellt und sind ziemlich einfach. Es war sehr beeindruckend zu sehen, dass Miro einige seiner Formen von diesen Tonfiguren hatte. Und ich dachte, etwas ähnliches mache ich eigentlich auch, wenn ich Teile aus mährischen Volksliedern in einen anderen Kontext stelle. Nun, das gab eine Suite für Streichquartett und Jazzquartett."

Die Gelegenheit erkennen und mit dem mathematisch geschulten System verstehen - so könnte man Viklickys Kompositionsarbeit umschreiben. Von einem weiteren Beispiel, bei dem ein lebendiges Bild Anlass zu einer Komposition gab, erzählt der Musiker:

"Die besten Ideen habe ich am Morgen, beim Joggen zum Beispiel. Eines meiner Stücke, Tristana, ist so entstanden. Ich lief durch den Bruhonice-Park, es war halb acht und ich war schon ziemlich erschöpft. Da sah ich zwei Krankenschwestern, die einem wunderschönen jungen Mädchen das gehen beibrachten, denn sie hatte offenbar bei einem Autounfall ein Bein verloren. Das ging mir sehr nahe und sofort fiel mir ein Motiv dazu ein, dass ich dann notierte und woraus später das Lied Tristana wurde. Ursprünglich hatte es den Titel "Mädchen mit einem Bein", aber die amerikanische Marimbistin weigerte sich ein Lied mit diesem traurigen Titel zu spielen. Also benannten wir es nach einem Film von Louis Bunuel, wo eben solch ein Mädchen eine Rolle spielt. Bei einem Wettbewerb in Boston 1994 bekam ich übrigens einen Preis dafür."

Viklicky gehört zu einem der etabliertesten Musiker Tschechiens. Auch wenn dafür keine finanzielle Notwendigkeit besteht, möchte er weiterhin in Prager Jazzklubs auftreten. Obwohl die Stimmung in den verrauchten Gewölben manchmal von gelangweilten Touristen bestimmt wird, und er selbst, wie er sagt, am frühen Morgen am besten spielt, betrachtet Viklicky die regelmäßigen Auftritte in Jazzklubs als eine Art Workshop, ein Laboratorium, in dem er neue Ideen ausprobieren kann.

Und damit kommt die heutige Ausgabe des Kultursalons über den tschechischen Jazz-Pianist und Komponist Emil Viklicky an ihr Ende. Vom Mikrofon verabschieden sich Lothar Martin und Jörn Nuber.

Autoren: Lothar Martin , Jörn Nuber
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