Joseph Haydn und seine "Lukawitzer Symphonie"
Herzlich willkommen, liebe Hörerinnen und Hörer. In der heutigen Touristensprechstunde wollen wir eine neue Serie eröffnen. Wir werden an jedem ersten Wochenende des Monats einen Ort besuchen, der in Bezug auf Musik interessant und bedeutend ist: Geburts- oder Aufenthaltssorte berühmter Komponisten und Musiker und weiteres mehr. Unser erstes Reiseziel ist das Barock-Schloss in Dolni Lukavice (Lukawitz), einer kleinen Gemeinde in der Pilsener Region. Für unsere heutige Erzählung begeben wir uns in das 18. Jahrhundert, als das Schloss und die Herrschaft dem norditalienischen Geschlecht Morzin gehörte. Gerade im Dienst des Grafen Morzin fand der Komponist Joseph Haydn sein erstes bedeutendes Engagement. In Lukawitz soll auch seine erste Symphonie entstanden sein. Mehr erfahren Sie nach einigen Tönen aus der genannten Symphonie. Gute Unterhaltung wünschen Olaf Barth und Marketa Maurova.
Morzin engagierte diesen vielversprechenden Musiker gern und ernannte ihn auch gleich zum Direktor seiner Kapelle und zu seinem Hofkomponisten. Die Bedingungen, die ihm der Graf bot, schienen dem jungen Haydn in seiner damaligen Lage hervorragend. Er erhielt eine Unterkunft, die gesamte Verpflegung und das Gehalt von 200 Gulden pro Jahr. Begeistert durch dieses Angebot, war sich Haydn wohl nicht recht bewusst, dass mit dieser Stelle eine für einen jungen Mann schwere Verpflichtung verbunden ist: Er durfte während seiner Anstellung bei Graf Morzin nicht heiraten. Auf dieses Hindernis werden wir später noch näher eingehen. Nun fragen wir den Musikwissenschaftler, Jiri Mikulas, was für den jungen Komponisten der Aufenthalt in Lukawitz bedeutet hat.
"Haydn war in der Funktion des Kapellmeisters beim Grafen Morzin tätig, der zu jener Zeit das Schloss besaß. Er bekam hier sein erstes professionelles Engagement. Wie Haydn in seinen Memoiren schrieb - hatte er zuvor in Wien ein wirklich kärgliches Leben geführt, gebettelt und manchmal Hunger gelitten. Hier bekam er die erste finanzielle Sicherung. Und darüber hinaus hatte er eine eigene Kapelle. In Lukawitz sind angeblich Haydns erste Symphonien entstanden und: Im Hobokens Katalog wird die Symphonie D-dur, die erste, sogar "Lukawitzer Symphonie" genannt. Haydn, einer der bedeutendsten Symphoniker des 18. Jahrhunderts überhaupt, konnte hier diese Musikform an seinem eigenen Orchester erproben."
Obwohl Haydn im Dienst bei Morzin zufrieden war, blieb er dort - wie wir schon gehört haben - nicht lange. Morzin musste in Folge der Verschlechterung seiner Wirtschaftsmöglichkeiten seine Kapelle zunächst reduzieren und schließlich auflösen. Den eigentlichen Anlass zu seiner Entlassung gab jedoch Haydn selbst. Wie wir im Buch Premysl Prazaks über Kinder- und Jugendjahre berühmter Komponisten erfahren können, schloss er im Herbst 1760 in Wien ein geheimes Ehebündnis. Haydn war damals in eine schöne und nette Tochter eines Wiener Friseurs namens Keller verliebt. Sie hieß Josephine und war Haydns Klavierschülerin. Und da das Mädchen seine Sympathien zu seinem Lehrer nicht verbarg, nahm er sich bei Morzin Urlaub und fuhr nach Wien, um um ihre Hand anzuhalten. In Wien erwartete ihn eine böse Überraschung: Josephine war kurz zuvor ins Kloster gegangen, ohne ihre Motivation dafür zu verraten. Der enttäuschte Haydn ließ sich daraufhin von Keller überreden und heiratete dessen zweite Tochter, Marie Anna, obwohl ihre Natur überhaupt nicht zu Haydn passte. Diese Frau war nicht schön, sie war überdies zanksüchtig und die Kunst war ihr gänzlich fremd. Kurz nach der Hochzeit soll sie selbst erklärt haben, es sei ihr völlig egal, ob ihr Ehemann ein Komponist oder ein Schuster sei. Die Ehe blieb ohne Kinder, dauerte jedoch fast 40 Jahre, bis zum Tode Marie Annas im Jahre 1800. Das ist aber schon ein anders Kapitel aus dem Leben des Komponisten, das mit Lukawitz nichts zu tun hat.
An den Aufenthalt des Komponisten erinnert seit 1993 ein Musikfestival mit dem Namen "Haydns Musikfeiern". Im Organisationsausschuss ist u.a. Dagmar Paclova:
Das Programm einzelner Jahrgänge hängt häufig mit verschiedenen Musik-Jubiläen zusammen. Im letzten Jahr war das natürlich Johann Sebastian Bach und im Jahre 1998 hatte die Tschechische Haydn-Gesellschaft sogar ein internationales UNESCO-Jubiläum initiiert und dieses ins Programm eingeordnet. Dagmar Paclova dazu:
Anlässlich des Festivals im Herbst letzten Jahres habe ich auch mit dem damaligen Bürgermeister von Dolni Lukavice, Václav Kvídera, über die Gemeinde und deren Verhältnis zu Joseph Haydn gesprochen.
"Dolní Lukavice ist eine kleine Gemeinde, sie liegt 3 km von Prestice entfernt, also in der südlichen Region um Pilsen. Sie hat insgesamt 800 Einwohner. Das barocke Schloss, das sich dort befindet, wurde leider 40 Jahre lang ganz unpassend genutzt und verwüstete. Im Gebäude lösten sich eine Heilanstalt, verschiedene Internate usw. ab und das schlimmste war, dass es vor 1989 etwa 15 Jahre lang als Lager für medizinisches Material diente. Nach 1990 gelang es, einen Teil des Schlosses zu retten. Wir wissen aber nicht, wie es in der Zukunft aussehen wird, weil wir einen Rechtsstreit um die Besitzrechte führen. Wir haben von Anfang an betont, dass das Schloss, genauso wie in der Vergangenheit, der Kultur geweiht werden soll. Das größte Ereignis in der Geschichte von Lukavice war doch, dass dort Haydn lebte und seine erste Symphonie verfasste."
Das Gerichtsverfahren wurde inzwischen abgeschlossen. Die Gemeinde musste das Schloss im Januar an eine Restituentin übergeben und man weiß nicht, wie sie es weiter nutzen will. Das Festival in Lukawitz und Umgebung wird aber sicher auch weiterhin stattfinden. Was bedeutet das Haydn-Festival für die Gemeinde? Werden die Konzerte auch von Einheimischen besucht, oder kommen eher fremde Festival-Gäste hier an? Dazu noch einmal Vaclav Kvídera.
"Es kommen natürlich fremde Leute nach Lukavice. Wir brauchen uns nicht einreden, dass man sonst in Lukawitz so viele Liebhaber der klassischen Musik vorfinden würde. Aber es ist auch für die hiesigen Leute ein Fest - ein Festival trifft in Lukawitz ein und man braucht nicht ins Theater, ins Konzert zu gehen oder in die Stadt zu fahren. Unsere Bewohner besuchen natürlich die Veranstaltungen, weil es für sie ein außerordentliches Ereignis ist."