Kafka wird der Prozess gemacht: Erbstreit in Israel

Franz Kafka

Nichts ist abstoßender als ein Erbstreit. Dass es überhaupt zu einem Streit kommt, daran trägt nicht selten der Tote eine Mitschuld: Er hat entweder gar kein Testament gemacht oder es nicht eindeutig formuliert. Und dann gibt es ein Wiedersehen vor Gericht. Das kann auch erst 85 Jahre nach dem Tod der Hauptperson sein, so zumindest im Fall von Franz Kafka. Besonders bizarr ist, dass gerade Kafkas Hauptwerk den Titel „Der Process“ trägt. Hören Sie nun eine aktualisierte Fassung „Des Prozess“ von Iris Riedel.

Der Prozess: Kapitel 1 – Der Stand der Dinge: In Israel sitzen sich drei Parteien im Gerichtssaal gegenüber: Die Erben, das Nationalarchiv Jerusalems und das deutsche Literaturinstitut aus Marbach. Sie ringen um den Nachlass von Esther Hoffe, die 2007 im Alter von 101 Jahren gestorben ist. Sie war die Verwalterin des gemeinsamen Erbes der Prager Schriftsteller Max Brod und Franz Kafka. Und jedes der beiden Literaturarchive – das in Jerusalem und das in Marbach – möchte diesen Schatz in seinen Räumen beherbergen.

Der Prozess: Kapitel 2 – Die Vorgeschichte: Prag im Jahre 1924. Franz Kafka ist gerade in einem österreichischen Sanatorium an Tuberkulose gestorben und sein Freund Max Brod macht sich daran, den Schreibtisch seines Freundes zu sichten. Da fällt ihm ein Zettelchen in die Hände, das an ihn adressiert ist. „Liebster Max“, steht da…

„Liebster Max, meine letzte Bitte: alles was sich in meinem Nachlass an Tagebüchern, Manuscripten, Briefen, fremden und eigenen, Gezeichnetem u.s.w. findet restlos und ungelesen zu verbrennen, ebenso alles Geschriebene oder Gezeichnete, das Du oder andere, die Du in meinem Namen darum bitten sollst, haben. Briefe, die man Dir nicht übergeben will, soll man wenigstens selbst zu verbrennen sich verpflichten. Dein Franz Kafka“

Diese kleine Notiz entpuppt sich als Kafkas Testament. Max Brod jedoch brach den Willen seines Freundes und veröffentlichte einen Großteil von Kafkas Manuskripten. So ging Kafka um die Welt und wurde berühmt. Max Brod war wie sein Freund Franz Kafka Prager Jude und floh deshalb kurz vor Beginn des Zweiten Weltkrieges nach Israel. Zum Fluchtgepäck gehörte ein Koffer voller Kafka-Handschriften. In Israel freundete sich Max Brod mit der ebenfalls aus Prag stammenden Esther Hoffe an, die später seine Sekretärin wurde. Als Max Brod starb, vermachte er ihr seinen Nachlass gemeinsam mit dem von Franz Kafka. Die Erbin Esther Hoffe hielt den Nachlass bis zu ihrem Tod im Jahr 2007 unter Verschluss und niemand weiß genau, was er eigentlich enthält. Reiner Stach, der an einer dreiteiligen Kafkabiografie arbeitet, kann trotz intensiver Nachforschungen auch nur spekulieren:

„Also, es gibt eine Nachlassliste, die aus den 80er Jahren stammt und die wahrscheinlich zu 80-90% komplett ist. Es sind natürlich auch noch Safes in Tel Aviv vorhanden, wo dann wertvollere Dinge, also Autografen zum Beispiel, liegen. Max Brod war ja befreundet zum Beispiel auch mit tschechischen Musikern. Er hat von denen Originalpartituren bekommen. Also, die Kafkamanuskripte, von denen man immer spricht, sind überwiegend verkauft. Was noch da ist von Kafka, sind noch wahrscheinlich einige Dutzend Zeichnungen, und vielleicht noch das eine oder andere Manuskript, aber das sind keine Texte, die wir nicht kennen.“

Max Brod wünschte sich, dass sein Nachlass gemeinsam mit dem Kafkas einem Archiv übergeben würde. Er selbst hatte die Manuskripte von „Das Schloss“ und „Amerika“, zwei von Kafkas Hauptwerken, der University of Oxford geschenkt. Esther Hoffe allerdings dachte gar nicht daran, etwas aus diesem Millionenerbe zu verschenken. Und so tauchte 1988 im Angebot des Londoner Auktionshauses Sotheby`s das von Kafkas Hand geschriebene Manuskript zu „Der Prozess“ auf. Das ersteigerte ein Antiquar im Auftrag der damaligen Bundesregierung für dreieinhalb Millionen Mark und übergab es dem deutschen Literaturarchiv in Marbach.

Der Prozess: Kapitel 3 – Die Wissenschaftler: Mag auch der Aspekt des Geldes für die Öffentlichkeit besonders interessant sein, für die Wissenschaftler ist etwas anderes wichtig: Sie wollen mehr über Franz Kafkas Leben und Alltag erfahren. So auch der Biograf Reiner Stach, er wartet vor allem auf die Briefe und Notizbücher von Max Brod:

„In der Liste, die da erstellt wurde in den 80er Jahren, da steht zum Beispiel verzeichnet ein Notizbuch von Max Brod ab 1901. Und der Mann der diese Liste gemacht, hat extra noch dazugeschrieben: ‚Viel über Kafka’. Das heißt, in diesem Buch steht viel über die ganz frühe Zeit dieser Freundschaft. Wir wissen, dass die zusammen im Kino waren und wir wissen, dass die zusammen Vorträge gehört haben und so, aber wir wissen über den Alltag Kafkas fast nichts.“

Kafka hat vor seinem Tod schon selbst eine Menge seiner literarischen Produktion vernichtet, diese Werke sind also unwiderbringlich. Man weiß aber, dass Kafka Max Brod aus seinen Werken vorgelesen hat und es könnte sein, dass Max Brod auch darüber in seinen Tagebüchern geschrieben hat. Das Hauptinteresse liegt also auf der Kafkaforschung. Aber ist Max Brod als Schriftsteller völlig uninteressant? Es stimmt, dass er sich in der öffentlichen Wahrnehmung eher als Kafkainterpret und sein Nachlassverwalter hervortat. Aber auch Max Brod war einer der bedeutensten deutschsprachigen Prager Schriftsteller. In Tel Aviv arbeitete er auch als Theater-Intendant. Als das Theater vor einigen Jahren abgerissen wurde, entdeckte jemand den Schreibtisch von Max Brod, der schon auf der Baggerschaufel stand. Der Schreibtisch war noch voller Originalaufzeichnungen von Max Brod. Reiner Stach:

„Also die Werke von Max Brod sind eigentlich vergessen. Das ist natürlich eine Situation, die sich Brod überhaupt nicht gewünscht hat. Er hat immer gesagt, der Nachlass sollte dorthin gehen, wo man auch für mein Werk etwas tut.“

Das Nationalarchiv in Jerusalem habe zum einen nicht die finanziellen Mittel dazu noch die Fachleute, denn es gebe nur noch wenige Wissenschaftler, die sich mit deutscher Literatur beschäftigten beziehungsweise deutsch sprächen.

Der Prozess: Kapitel 4 –Wiedersehen vor Gericht: Trotzdem hat das Nationalarchiv in Jerusalem die zwei Töchter Esther Hoffes verklagt und beansprucht den Nachlass für sich. Das Nationalarchiv argumentiert, der Nachlass Kafkas und Brods sei jüdisches Nationalerbe. Professor Shimon Sandbank, der Schriften von Kafka ins Hebräische übersetzt hat, meint dazu:

„Israels Teil in Kafkas Leben ist nicht zentral genug für uns, um darauf zu bestehen, dass das, was von dem Nachlass noch übrig ist, in Israel bleiben sollte. Es gibt Dinge, die viel eher zum israelischen Nationalerbe gehören, und die sind auch ins Ausland gegangen.“

Die Töchter Esther Hoffes nennen zwei Gründe dafür, dass sie den Nachlass nach Marbach geben wollen. Marbach kann den geforderten Preis zahlen und hat zudem die besseren Möglichkeiten, den Nachlass zu verwalten. Seit über einem Jahr läuft nun schon der Prozess und solange schon können sie ihr Erbe nicht antreten. Besonders ärgerlich für die Töchter ist das deshalb, weil zu dem Erbe ihrer Mutter nicht nur die Manuskripte gehören, sondern auch eine Million Euro aus den Verkäufen der Kafka-Handschriften. Als letzte Partei hat sich das Literaturinstitut in Marbach in den Prozess eingeschaltet. Es kämpft auf der Seite der Erben darum, dass der gesamte Nachlass Max Brods und Franz Kafkas nach Deutschland gebracht werden darf. Damit haben sie keinen leichten Stand, denn Deutschland ist für Israel immer noch das Land der Täter. Reiner Stach unterdessen verliert immer mehr die Hoffnung, dass er endlich den ersten von drei Bänden seiner Kafka-Biographie, nämlich den über Kafkas Kindheit und Jugend, abschließen kann. Der Biograf:

„Man hat im Moment nicht das Gefühl, dass das gut ausgeht und dass es vor allem zu einer schnellen Lösung kommt, glaube ich. Weil die israelische Seite ist sehr beharrlich und da ist überhaupt keine Kompromissbereitschaft zu erkennen.“

Eine der Töchter hat sogar gedroht, dass sie sich lieber umbringe, als den Nachlass dem Nationalarchiv in Jerusalem zu geben. Einen Fortschritt hat es aber trotzdem gegeben. Anfang Oktober hat das Gericht verfügt, dass die Erbinnen den Nachlass zumindest einem Gutachter zugänglich machen müssen, damit man endlich einmal weiß, worüber man nun schon ein Jahr verhandelt.