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7) „Alles restlos und ungelesen verbrennen“ – Franz Kafkas Tod und sein Nachlass

Porträts von Max Brod und Franz Kafka im Jüdischen Museum Prag
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Die letzten Lebensjahre von Franz Kafka standen im Zeichen seiner Tuberkulose-Erkrankung. Nach seinem Tod hätte die Welt aber vielleicht den Autor vergessen, wenn sein Freund Max Brod sich nicht über dessen testamentarische Anweisungen hinweggesetzt hätte. Er bewahrte Kafkas Werk und veröffentlichte es.

Bereits 1917 war bei Franz Kafka Tuberkulose diagnostiziert worden. Es folgten Jahre, in denen er sich häufig und lange in Sanatorien und auf Kur aufhielt. Diese Zeit verbindet man laut David Stecher, dem Leiter des Prager Literaturhauses deutschsprachiger Autoren, meist mit der Vorstellung, dass der Autor immer kränker wurde und letztlich dahinsiechte. Stecher betont aber, dass sich Kafka selbst dann noch regelmäßig körperlich ertüchtigte, sich mit kaltem Wasser wusch und allgemein versuchte, in Form zu bleiben.

Kafkas letztes Foto | Foto: Kateřina Ayzpurvit,  Radio Prague International

1922, also zwei Jahre vor seinem Tod, zwang ihn die Tuberkulose, seine Arbeit in der Arbeiter-Unfallversicherungs-Anstalt aufzugeben. Kafka ging in Frühpension. Auf ärztliche Empfehlung verbrachte er in der Folge viel Zeit an guter Luft in den Bergen. David Stecher:

David Stecher | Foto: Martina Kutková,  Radio Prague International

„Damals gab es die große Grippe-Pandemie. Viele Menschen starben an der Viruserkrankung. Nicht jeder dürfte wissen, dass auch Kafka die Spanische Grippe hatte, aber wieder gesundete. Doch er war eben tuberkulosekrank, wobei niemand wusste, wie er sich angesteckt hatte. Zur Erholung verbrachte er sieben Monate im slowakischen Tatranské Matliare, schrieb aber nichts. Von dort fuhr er nach Spindlermühle ins Riesengebirge und mietete sich im Hotel Krone ein, heute Hotel Savoy. Dort begann Kafka, am Roman ‚Das Schloss‘ zu arbeiten. Daraufhin war er dann in einem Sanatorium bei Wien.“

Franz Kafka und andere Gäste im Sanatorium Tatranské Matliare  (1920-1921) | Foto:  Franz Kafka: Pictures of a Life by Klaus Wagenbach  (1984),  public domain

Die Tuberkulose verschlimmerte sich. Am 3. Juni 1924 starb Franz Kafka in der Lungenheilstätte in Kierling, rund 20 Kilometer nördlich von Wien. Dort hatte er nur noch Briefe verfasst. Bis zum Schluss war ihm seine Freundin Dora Diamant eine Stütze. Beide Eltern, Herrmann und Julie Kafka, überlebten ihren Sohn und wurden später neben ihm auf dem Neuen Jüdischen Friedhof im Prager Stadtteil Žižkov beigesetzt. Auch seine drei jüngeren Schwestern wurden älter als Kafka. Die Nationalsozialisten ermordeten sie jedoch während des Zweiten Weltkriegs in den Vernichtungslagern.

Sanatorium in Kierling

Kafka erhielt in den Sanatorien auch oft Besuch von seinem engsten Freund, Max Brod. Ihm vertraute er seine handschriftlichen Aufzeichnungen an. Brod bewahrte diese nach dem Tod des Schriftstellers auf – angeblich entgegen dem Wunsch Kafkas. Doch Brod wollte von jeher die Werke seines Freundes bekannt machen.

Der Prager Autor Max Brod 1914 | Foto: public domain

„Es heißt, dass Franz Kafka schon hustete, als er Max Brod bat, alle Texte von ihm zu verbrennen. Aber dieser hat ihm das niemals versprochen. Manche wollen sogar die Beziehung von Brod und Kafka mit der zwischen Salieri und Mozart vergleichen. Aber so war sie nicht. Max Brod war jener, der gekämpft hat, der für die tschechische Kultur eintrat. Ohne ihn hätte beispielsweise niemand erfahren, wer Leoš Janáček ist. Er fuhr zu den Verlegern nach Deutschland und warb dort nicht nur für sich, obwohl er selbst auch Schriftsteller war. Ihm ist zu verdanken, dass diese ebenso das erste Werk von Kafka herausgaben“, so Stecher.

Rettung von Kafkas Nachlass

Franz Kafka, Max Brod sowie Felix Weltsch und Oskar Baum bildeten den sogenannten Prager Kreis. Sie schrieben alle auf Deutsch und trafen sich regelmäßig. Nach Kafkas Tod setzten die anderen Schriftsteller ihre Treffen fort. Erst der Einmarsch Hitlers in Prag beendete die Zusammenkünfte. Brod und Weltsch konnten noch am 14. März 1939 fliehen – und zwar mit dem letzten Zug, der frei die Tschechoslowakei verließ. Nur einen Tag später war bereits die deutsche Wehrmacht in der Moldaustadt. Laut David Stecher zeigte sich in dem Moment, welch guter Freund Max Brod gewesen ist – weil er nämlich auch den Nachlass von Kafka im Gepäck hatte:

„Brod ahnte nicht, welchen Wert dies haben würde. Ihm ging es aber darum – und das ist auch das Wichtigste –, dass er ein echter Freund war und deswegen den Nachlass retten wollte. Schließlich sind es gerade die Erinnerungen, die jemandem von einem nahestehenden Menschen bleiben. Aber es war nicht einfach. Praktisch über Nacht entstand das ‚Protektorat Böhmen und Mähren‘, und danach konnte man nicht mehr einfach so ausreisen. Für den Nachlass reichte aber nicht nur eine Tasche, die man sich über die Schulter hängt, sondern Brod schleppte einen ganzen Koffer dafür mit“, sagt David Stecher.

Das Manuskript von Kafkas Prozess besteht aus 171 dicht beschriebenen Blättern | Foto: Pavel Polák,  Tschechischer Rundfunk

Über Halitsch und Rumänien, wo sie einschifften, gelangten die Familien Brod und Weltsch nach Palästina. Max Brod ließ sich in Tel Aviv nieder und arbeitete dort als Dramaturg. Weiterhin bemühte er sich, die tschechische Kultur zu propagieren. Und entgegen Kafkas letztem Wunsch entschloss er sich, dessen Manuskripte zu veröffentlichen. So nahm nach dem Zweiten Weltkrieg allmählich das Interesse an Kafkas Schriften zu. Der Leiter des Literaturhauses:

Ausstellung im Prager Literaturhaus | Foto: Martina Kutková,  Radio Prague International

„Das Werk zeichnet sich dadurch aus, dass jeder etwas darin finden kann. Jeder kann sich nehmen, was er für geeignet hält. Ich würde aber niemals zustimmen, dass es darin um Einsamkeit geht – allerdings schon um das Alleinsein und den Kampf des Einzelnen. Doch der Mensch ist keinesfalls einsam, selbst wenn er allein ist. Kafka selbst war mit seinen hervorragenden Freunden das beste Beispiel dafür. Und einer seiner engsten Freunde, wenn nicht der engste, hat dafür gesorgt, dass wir überhaupt von Kafka wissen und dessen Werke bis heute erscheinen.“

Streit um Kafkas Werk

Max Brod  (1964) | Foto: Hans H. Pinn,  1916-1978 photographer,  Portrait Max Brod,  [1964],  סימול ARC. 4* 2000 08 076,  Max Brod Archive/The National Library of Israel

Max Brod starb 1968 in Tel Aviv. Seinen Nachlass – und damit auch Kafkas Manuskripte – erbte seine Sekretärin und Lebensgefährtin Ilse Ester Hoffe. Sie schenkte diesen Nachlass noch zu Lebzeiten ihren beiden Töchtern. Diese veräußerten angeblich Kafkas Manuskripte, wie David Stecher erläutert. Zum Beispiel ersteigerte 1988 ein Antiquar im Auftrag der deutschen Bundesregierung für dreieinhalb Millionen Mark die handschriftliche Version von „Das Schloss“ und übergab sie dem Deutschen Literaturarchiv in Marbach.

„Niemand der Zeitzeugen und Beteiligten lebt noch. Es heißt, dass jemand aus der Familie der Sekretärin die Hinterlassenschaften nach und nach verkauft hat. Dann kam es zum Rechtsstreit um die Manuskripte. Lange Jahre dauerte das Verfahren zwischen der Nationalbibliothek in Jerusalem und dem Deutschen Literaturarchiv. Schließlich gewann die israelische Nationalbibliothek den Prozess“, schildert Stecher.

Dennoch blieben Teile der Handschriften in Marbach, andere werden in Oxford aufgehoben und der Rest in der Nationalbibliothek in Jerusalem. Immer wieder hatte es auch Vermutungen über bisher unveröffentlichte Autographen Kafkas gegeben. David Stecher glaubt aber nicht, dass sich heute noch etwas finden lässt.

Ausstellung KAFKAesque | Foto: Mathilde Dutel,  Radio Prague International

Kafka lebt weiter

Jaroslav Róna | Foto: Martina Kutková,  Radio Prague International

Obwohl Franz Kafka vor einhundert Jahren starb, inspiriert er mit seinem Werk auch weiterhin Künstler in der ganzen Welt. Das ist zum Beispiel in der Ausstellung „Kafkaesque“ zu sehen, die noch bis September in Prag gezeigt wird. An der Schau im Dox, dem Zentrum für zeitgenössische Kunst, sind mehr als 30 Künstler aus dem In- und Ausland beteiligt. Zu ihnen gehört auch der US-amerikanische Hollywood-Regisseur David Lynch, der tschechische Filmregisseur Jan Švankmajer oder der Bildhauer und Maler Jaroslav Róna. Letzterer sagt, er stehe mit Franz Kafka durchgehend in einem inneren Kontakt:

Grabmal Franz Kafkas auf dem jüdischen Friedhof | Foto: Štěpánka Budková,  Radio Prague International

„Ich lese ihn immer wieder und bin ein großer Fan schon allein deswegen, weil sich mein Atelier auf dem Friedhof befindet, auf dem er bestattet ist. Das Grab liegt rund 300 Meter von meinen Räumen entfernt. Ich besuche es häufig, weil das Grab meines Vaters im selben Teil des Friedhofs wie das von Franz Kafka ist.“

Jaroslav Róna stellt im Dox einige Zeichnungen aus, die von Kafkas Erzählungen inspiriert sind, sowie zwei Bilder, die den Autor zeigen. Auf einem Gemälde ist Kafka zu Besuch bei Gregor Samsa, hier verarbeitet Róna also das Thema von „Die Verwandlung“. Auf dem anderen Bild ist der Schriftsteller in Triest und wird von einem Blech-Engel mit einem Schwert verfolgt. Dieses Motiv ist den Tagebuch-Aufzeichnungen des Schriftstellers entlehnt.

Jaroslav Róna,  Franz Kafka zu Besuch bei Gregor Samsa | Foto: Martina Kutková,  Radio Prague International

Mit Kafka intensiv beschäftigt hat sich Róna aber auch bei der Bildbearbeitung des Films „Amerika“ auf Grundlage des gleichnamigen Romanfragments. Zudem sagt der Maler, er habe eine enge Beziehung zu jenen Autoren, die sich dezidiert auf Kafka berufen, wie zum Beispiel Jorge Luis Borges oder Haruki Murakami. Und zu Kafkas Stil merkt er an:

Jaroslav Róna,  Kafka in Triest | Foto: Martina Kutková,  Radio Prague International

„Er hat gesucht, was hinter den Worten steckt. Das Schreiben sah er als unvollkommene Stütze, um das auszudrücken, was er mitteilen wollte. Davon zeugt auch die Tatsache, dass sich in seinem Tagebuch bis zu zehn Versionen eines Satzes finden lassen. Ich denke, Kafka spricht alle durch seine eigenartige Methode an, die richtige Komposition an Wörtern zu finden, um eine bestimmte Bedeutung mitzuteilen. So verfährt aber jeder Künstler. Es geht also nicht nur um das, was geschrieben steht. Dahinter entfaltet sich vielmehr eine eigenartige Welt und ein weiter Raum für Interpretationen.“

Franz-Kafka-Denkmal in Prag

Franz-Kafka-Denkmal von Jaroslav Róna | Foto: Martina Kutková,  Radio Prague International

Auch das wohl bekannteste Werk von Róna bezieht sich konsequenterweise auf Kafka. Es ist das Denkmal für den Schriftsteller an der Spanischen Synagoge in Prag. Die fast vier Meter hohe Statue aus Bronze zeigt zwei Körper: Der größere von ihnen ist ein leerer Anzug, auf dessen Schultern Franz Kafka als kleinere Figur sitzt. Inspiration für diese Darstellung fand Jaroslav Róna in der Erzählung „Beschreibung eines Kampfes“ des berühmten Schriftstellers. Im Text der Novelle schwingt sich der Erzähler (Kafkas Alter Ego) auf die Schultern seines bisher dominanten Begleiters und reitet auf ihm wie auf einem Pferd durch die Landschaft.

Franz-Kafka-Denkmal | Foto: Štěpánka Budková,  Radio Prague International

Die zwei Figuren verweisen aber auch auf Kafkas Klagen in seinen Tagebuchaufzeichnungen, dass er keine Zeit für das Schreiben habe und sich am liebsten teilen würde. Zudem besteht eine Anspielung auf die schwierige Beziehung zu seinem Vater. Er habe der Statue mehrere Möglichkeiten der Interpretation geben wollen, wie dies auch auf das Werk Kafkas zutreffe, so Róna. Dennoch tat sich der Bildhauer bei einer Sache ganz besonders schwer.

„Ich musste ziemlich leiden, weil ich Kafkas Profil nicht kannte. Alle heute erhaltenen Fotografien zeigen ihn von vorne oder nur leicht seitlich verdreht. Das heißt, aus ihnen konnte ich nicht erkennen, wie seine Nase aussah. Erst aus den Zeichnungen seiner Zeitgenossen habe ich geschlossen, dass er eine Hakennase gehabt haben muss, aber beweisen lässt sich das nicht. Ich kämpfte mit dem Gedanken, seinen Kopf auszugraben, um sein Gesicht rekonstruieren und genau sein zu können. Aber wahrscheinlich hätte ich mich das nie getraut“, sagt Róna.

Franz-Kafka-Literaturpreis | Foto: René Volfík,  Französische Botschaft in Prag

Eine Miniatur seines Denkmals erhalten im Übrigen die Träger des Literaturpreises, den die Franz-Kafka-Gesellschaft in Prag seit 2001 vergibt. Die Auszeichnung haben unter anderem schon der bereits erwähnte Haruki Murakami erhalten, aber ebenso Václav Havel, Margaret Atwood oder Milan Kundera.

Der 100. Todestag von Franz Kafka bietet nicht nur die Möglichkeit, Kafkas Werk und Leben aus aktuellen und neuen Perspektiven zu betrachten. Alle Veranstaltungen, Ausstellungen, Vorträge, literarische Links sind auf der Website des Projekts Kafka2024 zu finden.

Kafka 2024 | Foto: Adalbert Stifter Verein
Autoren: Martina Kutková , Till Janzer
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