Streit um den Nachlass von Kafka
Wer Kafka kennt, kennt auch seinen Freund Max Brod. Ihm hat Kafka seinen Nachlass übergeben mit dem Auftrag, ihn zu verbrennen. Brod hat den Nachlass nicht verbrannt und stattdessen Kafkas Werke veröffentlicht. Die Originale und der Rest von Kafkas Nachlass verstauben seit Jahrzehnten bei den Erben Max Brods in Israel. Wie man nun mit den Nachlässen der beiden Prager Schriftsteller verfahren soll, darüber ist ein Streit entbrannt.
„Die Kafka-Manuskripte, von denen man immer spricht, sind überwiegend verkauft. Was noch da ist von Kafka, sind wahrscheinlich einige Dutzend Zeichnungen und vielleicht noch das eine oder andere Manuskript, aber das sind keine Texte, die wir nicht kennen“, so Stach.
Deshalb erwarten sich Wissenschaftler vom Kafka-Nachlass nur wenige neue Erkenntnisse. Sie interessiert vielmehr der Nachlass von Max Brod, weil er ein enger Vertrauter Kafkas war. Seine Aufzeichnungen könnten das unvollständige Bild über Kafkas Leben vervollständigen. Reiner Stach zum Beispiel wartet besonders auf ein Tagebuch von Max Brod aus dem Jahre 1901, das er in der Nachlassliste gefunden hat:
„Der Mann, der diese Liste gemacht, hat extra noch dazugeschrieben: ‚Viel über Kafka’. Das heißt, in diesem Buch steht viel über die ganz frühe Zeit dieser Freundschaft. Und über diese frühe Zeit wissen wir sonst fast gar nichts.“
Das Problem dabei ist aber, dass nicht klar ist, wann der Nachlass einmal zugänglich sein wird. Seit gut einem Jahr wird darüber in Israel gerichtlich gestritten, denn der Staat Israel hat die Erben Max Brods verklagt. Inzwischen ist als weitere Partei im Prozess auch das deutsche Literaturinstitut in Marbach im Prozess zugelassen, das den gesamten Nachlass gern kaufen möchte.
Es gibt also drei Parteien und jede von ihnen hat eigene Interessen: Die Erben wollen Kafkas Nachlass möglichst gewinnbringend verkaufen, am liebsten nach Marbach. Der Staat Israel bezeichnet Max Brods und Kafkas Nachlass als „jüdisches Nationalerbe“ und besteht darauf, dass die Nachlässe nicht ins Ausland gelangen. Dem Literaturinstitut geht es vor allem darum, dass der Nachlass fachgerecht aufbereitet und zugänglich gemacht wird. Reiner Stach als Biograf ist es im Grunde gleich, ob er in Israel oder in Deutschland mit den Dokumenten arbeitet, Hauptsache er kann sie endlich einsehen. Dass das möglich sein wird, wenn die Nachlässe nach Jerusalem kommen, bezweifelt er, und zwar:
„Weil das Nationalarchiv in Jerusalem nicht die Mittel hat, diese Nachlässe zu erschließen und dann auch verfügbar zu machen, was ja auch Geld kostet.“
Mittlerweile seien die Fronten so verhärtet, dass Stach nicht an einen guten Ausgang in der Sache glaubt. Einen Fortschritt gibt es aber schon. Die Erben müssen den Nachlass nun zumindest einem Gutachter zugänglich machen.