Kampf gegen Ausgrenzung von Roma – Regierung beginnt ihr Konzept umzusetzen

Die katastrophale Lage der Roma in Tschechien ist nicht nur ein gesellschaftlicher, sondern auch ein politischer Dauerbrenner. Schon viele Regierungen versuchten in der Vergangenheit Strategien zu entwickeln, richteten spezielle Arbeitsgruppen ein, doch ein messbarer Erfolg blieb meistens aus. Auch das Übergangskabinett von Jan Fischer nahm sich dieses Themas an. Das neueste Konzept für eine bessere Eingliederung der Roma könnte aber vielleicht von Erfolg gekrönt werden.

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Das Jahr 2010 wurde von der Europäischen Union zum „Europäischen Jahr des Kampfes gegen Armut und soziale Ausgrenzung“ erklärt. Generell betrachtet klaffen in Tschechien die Unterschiede zwischen Arm und Reich immer noch nicht derart auseinander, wie in anderen europäischen Ländern. Gemäß einer repräsentativen Untersuchung im Auftrag des tschechischen Arbeits- und Sozialministeriums lassen sich im ganzen Land rund 300 ghetto-artige Orte sozialer Ausgrenzung feststellen, in denen Schätzungen zufolge an die 80.000 Menschen leben. In vielen Fällen handelt es sich um Plattenbausiedlungen oder einzelne Häuser am Rande größerer Städte.

Dennoch ist in Tschechien seit Jahren eine Bevölkerungsgruppe überdurchschnittlich hoch von sozialer Ausgrenzung betroffen: die Roma. Schon viele Regierungen haben in der Vergangenheit versprochen, die Lage der Roma zu verbessern.

Doch viel Positives hat sich diesbezüglich bisher nicht ergeben, und immer wieder wird von Menschenrechtsorganisationen darauf hingewiesen. Alle bisher bekannten Probleme unter den Roma existieren immer noch, wie die überdurchschnittlich hohe Arbeitslosigkeit, der geringe Bildungsgrad oder die hohe Verschuldung der Haushalte, weil sie zu Wucherzinsen Geld leihen oder leihen müssen. Dazu kamen in letzter Zeit leider auch zwei Brandanschläge auf Roma-Siedlungen und Einschüchterungsversuche von rechtsextremen Gruppierungen. Viele Roma reagieren auf diese Situation, in dem sie das Land verlassen und anderswo Asyl beantragen.

„Das Konzept für die Integration von Roma enthält von Beginn an eine Reihe von ganz konkreten Aufgaben für die einzelnen Ministerien. Das Ministerium für Menschenrechte wirkt hier eigentlich nur koordinierend, aber es hat weder die finanziellen Mittel, noch die personellen Ressourcen, um hier selber aktiv zu werden und zum Beispiel in den Kommunen aktiv zu werden. Aber wir können den Ministerien Aufgaben geben und es wird von diesen abhängen, wie sie damit umgehen und ob sie eigene Verfahrensregeln aufstellen“, so der Minister.

An diesem Konzept konnten sich erstmals auch die Vertreter der wichtigsten Roma-Vereinigungen beteiligen. Das ist ein Unterschied zu früheren Vorhaben. Auch das mag ein Grund dafür sein, dass die zahlreichen tschechischen Roma-Verbände erstmals nach vielen Jahren den Weg der Regierung richtig finden und sie auch unterstützen. Ivan Veselý leitet die Roma-Vereinigung Dženo:

„Es ist ein gut ausgearbeitetes Konzept, weil die Roma darin nicht nur als sozial ausgeschlossene Gruppe verstanden werden, sondern auch als nationale Minderheit, die stark bedroht ist, was die Einhaltung der Menschenrechte angeht."

Experten verschiedener Nichtregierungsorganisationen, die sich mit der Integration der Roma befassen, weisen seit langem auf drei Grundprobleme hin, ohne deren Lösung es wohl kaum gelingen wird, diese Minderheit in die Mehrheitsgesellschaft zu integrieren. Dazu gehört die Verbesserung der Bildung, der Zugang zum Arbeitsmarkt und nicht zuletzt auch die Wohnraumsituation. Nicht alle dieser Probleme lassen sich allerdings im selben Zeitraum lösen, wie Minister Kocáb eingesteht:

Michael Kocáb

„Bildung steht absolut an erster Stelle. Das Problem besteht darin, dass es sich um eine längerfristige Angelegenheit handelt. Gleichzeitig kreuzen sich dabei meist mehrere Probleme, die wiederum keinen Aufschub dulden. Damit meine ich die katastrophale Wohnungslage und Schwierigkeiten, sich in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Aber auch hier sehen wir die Schlüsselbedeutung der Bildung: Wenn man gerade in diesen Zeiten einen Arbeitsplatz bekommen will, dann muss man dafür auch die erforderliche Qualifikation mitbringen."

Im Bezug auf die Bildung gibt es jedoch noch eine weitere, sozusagen mentale Barriere: Kinder aus Roma-Familien werden immer noch überdurchschnittlich oft gleich von der ersten Klasse an in Sonderschulen gesteckt. Diese Praxis, die in der Zeit des Kommunismus gang und gäbe war, hat auch die politische Wende überstanden. Die Eltern der betroffenen Kinder wissen oft nicht, wie sie sich dagegen wehren können; die Grundschul-Lehrer neigen wieder dazu, weil sie Schwierigkeiten und zusätzlichen Arbeitsaufwand befürchten, Roma-Kinder abzulehnen.

„Man muss vor allem so genannte Ausgleichsmaßnahmen bereitstellen. Zurzeit besuchen 30 Prozent der Kinder aus Roma-Familien spezielle Schulen, und dieser Trend sollte gestoppt werden. Diese Spezialschulen dienen in erster Linie Kindern mit ernsthafter Behinderung und nicht Kindern aus gesellschaftlich ausgegrenzten Familien. Es wird also ein neues Bewertungssystem aufgestellt werden müssen, um die bisherige Zuteilungspraxis in Sonderschulen zu ändern. Auf der anderen Seite muss aber auch an die Eltern appelliert werden, dass sie ihre Kinder tatsächlich in reguläre Schulen schicken und ihnen im Rahmen ihrer Möglichkeiten beim Lernen helfen. Es müssen sich wirklich alle daran beteiligen", so Kocáb.

Eine Lösung, die sich in diesem Zusammenhang bietet, ist die Einstellung von speziell ausgebildeten Lehrer-Assistenten, die den Kindern nicht nur während des Unterrichts, sondern auch zu Hause beim Erledigen der Hausaufgaben unter die Arme greifen. Das Problem dabei war und ist, dass diese Assistenten meist von nichtstaatlichen Stellen, und häufig aus Mitteln ausländischer Stiftungen finanziert werden. Da diese Mittel oft begrenzt sind, kann auch die Zahl der Lehrer-Assistenten nicht erweitert werden. Einige Roma-Verbände, wie zum Bespiel auch Ivan Veselýs Dženo haben seit Jahren eigene Assistenten-Projekte laufen, anderen fehlen wiederum die Mittel dafür.

Eine weitere Neuerung, die in der neuen Strategie zur Integration der Roma enthalten ist, betrifft eine stärkere Einbindung von speziellen Roma-Beratern in die Arbeit der kommunalen Verwaltungen. Laut Ivan Vesely von Dženo geht es einfach darum, dass Persönlichkeiten, die von den örtlichen Roma anerkannt werden und einen gewissen Einfluss haben, sozusagen einen direkten Draht zu den Bürgermeistern erhalten:

„Es ist ein Schritt in die richtige Richtung. Denn eine Reihe von Bürgermeistern würde in dieser Sache gerne aktiv werden, weiß aber nicht, wie sie das verwirklichen soll. Die Bürgermeister haben oft keinen Zugang zu den Menschen, wissen nicht, wie sie mit ihnen Kontakt aufnehmen sollen. Die Aufgabe der Roma-Berater sollte dann sein, hier helfend einzuspringen und direkt mit der Stadtverwaltung oder den Bürgermeistern zu sprechen, um mögliche Probleme zu lösen. Die Berater werden notwendig sein."